Neo-Bourbonen: Neapels Möchtegern-Separatisten
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Die italienischen Neo-Bourbonen träumen von der Zeit des Königreichs der beiden Sizilien, als die Bourbonen Neapel regierten und die Stadt reich und angesehen war. Als Erklärung für die heutigen wirtschaftlichen Probleme Süditaliens machen sie den Norden zum Sündenbock. Cafébabel hat eine Aussteigerin getroffen.
Bei einer der Demonstration der Neo-Bourbonen vor wenigen Monaten wollte Laura Noviello die italienische statt der bourbonischen Flagge schwingen. Die Initiative der jungen Frau stieß nicht auf Begeisterung bei den Neo-Borbonici, einer separatistisch angehauchten Gruppe im süditalienischen Neapel, die sich auf das historische Erbe des Königreichs beider Sizilien stützt. Das war der 17-Jährigen zu viel. Sie kehrte der Gruppe endgültig den Rücken. Italien sei für sie eine Nation. Abspaltung sollte nach über 150 Jahren Einheit kein Thema mehr sein.
Enge Gassen, Wäscheleinen und abgeblätterte Fassaden überraschen Touristen, die das erste Mal nach Neapel kommen. Das fröhliche Treiben in der drittgrößten Stadt Italiens hat nichts mit den schicken Straßen Roms zu tun. Der Mezzogiorno, wie der Süden Italiens auch genannt wird, ist arm und die Arbeitslosigkeit hoch. Junge Menschen, die daran glauben, sich hier eine Karriere aufbauen zu können, sind selten zu finden. Laura Noviello ist eine der wenigen aus ihrem Freundeskreis, die trotzdem weiter in Neapel bleiben will. Archäologin in Pompei will sie werden. „Meine Freunde denken, ich bin verrückt,“ sagt sie.
Die Geschichte der Region lag der jungen Neapolitanerin schon immer am Herzen. Vielleicht hatte sie es auch deshalb zunächst zu den Neo-Bourbonen verschlagen. Einen Grund dafür, dass die Menschen in Süditalien nicht an die Zukunft ihres Landes glauben, sieht sie darin, dass diese ihre Vergangenheit nicht wirklich kennen. In vielen Fällen würde die italienische Geschichtsschreibung das Erbe des Südens nicht würdigen. Als Laura anfing sich für das Thema zu interessieren, schloss sie sich den Neo-Borbonici an, einer politischen Bewegung, die sich in Opposition zum italienischen Staat positioniert und die Schuld an der Misere im Süden auf den wirtschaftlich stärkeren Norden des Landes abwälzen will. Sie trauern den Tagen des Königreichs beider Sizilien nach und halten die Vereinigung Italiens 1861 für den größten Fehler in der Geschichte ihres Landes.
Besser ohne den Norden
Im Großen und Ganzen wäre es schön, wenn ihr ‚Königreich Neapel‘ wieder entstünde und man sich vom römischen Joch befreien könnte. Zwar soll kein König auf den Thron gesetzt werden. Doch sehnt man sich nach der „goldenen Zeit“, als Neapel eine reiche Stadt mit einer starken Industrie war. Die nostalgische Flucht in die Vergangenheit war ja bekanntlich schon immer eine Patent-Lösung für aktuelle Probleme…
Während Gennaro de Crescenzo, der Präsident der Neo-Bourbonen-Bewegung, im Gran Café Gambrinus, einem prestigeträchtigen Café im Herzen Neapels mit Stuck und Goldornamenten an der Decke, Espresso bestellt, sagt er: „Wenn wir uns die Trends der Vergangenheit ansehen, wäre der Süden ohne den Norden heute definitiv besser dran.“ Das ist natürlich nicht für bare Münze zu nehmen. „Arm und unterdrückt waren die meisten Leute vor und nach der Vereinigung von Italien,“ erwidert Enrico Rebeggiani, Wirtschaftsprofessor an der Universität Federico II in Neapel.
Separatistische Bewegungen wie die Neo-Borbonici seien eine Konsequenz aus der Tatenlosigkeit der Politik. Diese zeige keine Reaktionen auf die steigende Arbeitslosigkeit und Armut und die zunehmenden Spannungen zwischen Nord und Süd. „Jetzt haben wir einen linken Premierminister [Matteo Renzi; A.d.R.], der in Wirklichkeit auch nur eine jüngere Ausgabe von Berlusconi ist“, sagt er. Viele Bürger Süditaliens fühlten sich von der Regierung in Rom nicht repräsentiert. Und statt aktiv zu werden, schlitterten die Italiener und Italienerinnen in die viel besungene Politikverdrossenheit.
Die Neo-Bourbonen können jedoch nicht als eine politische Antwort verstanden werden, weil sie keinerlei Ambitionen zeigen, in der Politik aktiv zu werden. Sie möchten sich selbst gern als kulturelle Bewegung verstanden wissen, auch wenn viele Forderungen und Ansätze mit der Politik verwoben sind. Im Café Gambrinus legt der Neo-Bourbonen-Chef Crescenzo sein 2014 veröffentlichtes Buch Il Sud. Dalla 'Borbonia felix' al carcere di Fenestrelle . Perché non sempre la Storia è come ce la raccontano [Der Süden. Von der Borbonia Felix zu den Fenestrelle-Gefängnissen. Warum Geschichte nicht immer so ist, wie sie erzählt wird; A.d.R.] auf den Tisch. Mit nicht selten nostalgisch verklärten Publikationen wie dieser, Demonstrationen, kulturellen Veranstaltungen und Unterricht an Schulen wollen die Neo-Borbonici eine alternative Geschichtserzählung von Neapels Vergangenheit erstarken lassen.
Wie von der Tarantel gebissen
Diese auf Kultur getrimmte Ausrichtung der Bewegung war für Laura Noviello zunächst auch der Grund, sich den Neo-Bourbonen in Neapel anzuschließen. Sie hat ihre Leidenschaft für die traditionellen Tänze des Südens wie Taranta, Tarantella, Pizzica und Tammurriata entdeckt. Oft barfuß getanzt, sind die Tänze ein starkes Symbol für die enge Bindung zwischen Tänzern und ihrer identitären Verwurzelung. Sie erzählen die Geschichte von Frauen, die während der Feldarbeit von giftigen Spinnen gebissen wurden. Um wieder gesund zu werden, tanzen sie bis zur Ekstase zum Klang der Tamburine.
„Die Tänze gewinnen heute wieder an Popularität, weil sie ein symbolisches Zeichen der Rebellion sind“, erklärt Noviello. Eine Rebellion gegen die Überbetonung neuer Werte, gegen die Globalisierung und das Vergessen von Traditionen. Die Regierung kümmere sich nicht ausreichend um den Süden. „Es gibt keine Einigkeit. Wir werden gezwungen, zum Arbeiten in den Norden zu gehen. Aber sie erkennen unsere Arbeiter nicht an, obwohl ihre Industrien wegen unseren Arbeitskräften laufen,“ sagt Laura.
Tanzen ohne Lösungen
Es ist kaum verwunderlich, dass diese Spannungen den Wunsch nach Separation wecken. Die Neo-Borbonici sind nicht die einzigen, die meinen, ohne den jeweils anderen besser dran zu sein. Eine bekanntere separatistische Partei Italiens ist die Lega Nord, die immer wieder zu verstehen gibt, dass sie den Süden gern los wäre. Neben den Neo-Bourbonen gibt es im Süden auch andere kleinere Splittergruppen, wie etwa die Autonomiebewegung MpA oder die Sizilianische Allianz.
Bislang fehlen die politischen Antworten auf das Nord-Süd Gefälle, mit dem Italien – genau wie viele andere europäische Staaten – konfrontiert ist. Von kleinen Bewegungen wie den Neo-Bourbonen werden die Antworten wohl nicht kommen. Denn die kümmern sich jetzt lieber erstmal um wichtige Dinge wie den Boykott des Giro d’Italia 2015, das italienische Pendant zur Tour de France. Da sich die Strecke zu sehr auf den Norden und das Zentrum des Landes konzentriere, möchte man Sponsoren für eine ‚Tour der beiden Sizilien‘ ausfindig machen. Denn, so Laura, die Welt liebe Neapel, aber Italien hasse es.
Dieser Artikel ist Teil unserer cafébabel-Sonderreihe EU-IN-MOTION, mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und der Fondation Hippocrène.