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'Nackte Männer': Trubel um Mannsbilder in Wien

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KulturGesellschaft

Seit dem 19. Oktober sind im Wiener Leopold-Museumnackte männer“ von 1800 bis heute zu sehen. Bereits vor der Eröffnung hatte sich das ein oder andere Wiener Gemüt an der komplett entblößten Männlichkeit auf den Ausstellungspostern gestört. Ein Besuch im Museum und ein Interview mit Kurator Tobias G. Natter über Nacktheit, Kunst und das Bild des Mannes über die Jahrhunderte.

Pierre & Gilles:

Wien. Zwei Plakate, zwei Ausstellungen, ein Sturm der Entrüstung. Auf einem Plakat ist eine schöne junge Frau zu sehen, bis auf den Halsschmuck völlig unbekleidet. Das andere zeigt drei junge Männer, die bis auf Stutzen und Fußballschuhe volle Montur zeigen. Der Proteststurm richtete sich gegen das zweite Plakat, das ein Kunstwerk des schwulen französischen Künstlerpaars Pierre & Gilles mit dem Titel „Vive la France“ zeigt. Die Reaktionen reichten von „pornografisch“ bis „gehirnlos“.

 ©Courtesy Galerie Jérôme de Noirmont, Paris

François-Léon Benouville (1821-1859) Achills Zorn, 1847

Denn während Bilder von weiblichen Brüsten nur noch müde Blicke hervorrufen, tut sich die westliche Gesellschaft mit der Abbildung von nackten Männern weit schwerer. Allein schon das Wort in einem Artikel zu lesen, klingt ungewohnt: Penisse waren auf den Plakaten zu sehen. Und die verletzten das Gefühl öffentlichen Anstands.

 ©Musée Fabre de Montpellier Agglomération

Ilse Haider: Mr. Big, 2006/2012

Ein kalkulierter Tabubruch? Vielleicht, aber ein gelungener. „Diese Ungleichheit – eine kulturelle Differenz – hat uns sehr interessiert“, sagt Kurator Tobias Natter. „Es ist ja kein Zufall, dass es schon unzählige Ausstellungen über Nacktheit und Frauen gab, aber nicht über Männer. Letztlich habe ich den Eindruck, dass es immer noch ein Problem darstellt, weil Männer, deren Nacktheit thematisiert wird, für einen Verlust an Kontrolle stehen – und das passt nicht in das noch immer vorherrschende Männlichkeitsbild.“

 ©Courtesy Galerie Steinek, Wien

Urs Lüthi, Selbsporträt aus der Serie der großen Gefühle, 1987

Doch in der Ausstellung geht es nicht um die Nacktheit an sich. Die Frage ist, wofür sie steht und wie sich Körper- und Schönheitsideale über die Jahrhunderte gewandelt haben. „Deutlich werden unterschiedliche künstlerische Zugänge, konkurrierende Männlichkeitskonzepte, der Bruch mit Konventionen. Der nackte Mann kann ja für vieles stehen. Mir war als Kurator wichtig, im Auftakt der Ausstellung mit fünf herausragenden Skulpturen aus fünf Jahrtausenden vom Alten Ägypten bis heute klar zu machen, dass der nackte Mann in unserer Kunst eine lange Tradition hat“, so Natter.

 ©Urs Lüthi

Elmgreen & Dragset: Shepherd Boy (Tank Top), 2009

Bei meinem Museumsbesuch weiß ich von alldem noch nichts. Die Skulpturen im ersten Saal beeindrucken tatsächlich und ziehen in die Ausstellung hinein. Instinktiv beginne ich Veränderungen und Kontinuitäten in den Bildern zu suchen. So werden Gemälde aus dem 19. Jahrhundert auch für den künstlerischen Laien ungewöhnlich interessant und vielfältig. Besonders sind aber ungewöhnliche Darstellungen bekannter Motive, sowie die Fotos antiker Statuen in Unterhemd und Unterhose.

 ©Courtesy Galleri Nocolai Wallner/VBK Wien 2012

Egon Schiele (1890-1918)

Tobias Natter: „Während noch um 1800 der nackte Held im Mittelpunkt steht, so richten innovative Künstler wie Egon Schiele um 1900 den Blick auf sich selbst. Damit radikalisieren sie das Künstlerselbstbildnis und stoßen eine Tür auf zur Moderne, in der das nackte Künstlerich ein zentrales Thema wird. Nach 1945 explodiert die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten geradezu.“

 ©Leopold Museum, Wien

Anton Kolig (1886-1950) Nackter Jüngling, 1919

Dafür implodiert in der Moderne etwas anderes, das Bild des Mannes als starkes Geschlecht. Was bedeutet heute Männlichkeit? Ein Junge, der Ballett tanzt oder ein junger Mann der nicht Karriere machen möchte, wird schief angesehen. Männer sollen in der Beziehung einfühlsam und für die Familie da sein. Gleichzeitig sollen sie auch Erfolg haben, Geld verdienen und im rechten Moment stark und sexy sein. Aber was ist stark? Männer verdienen zwar mehr, haben aber eine schlechtere Work-Life Balance und leben allgemein ungesünder und deutlich kürzer. Was die Gesellschaft und was die Partner von ihnen verlangen, ist oft widersprüchlich und doch wollen die meisten Männer unbedingt diesen Ansprüchen gerecht werden.

 ©Leopold Museum, Wien

Paul Cézanne (1839-1906) Sieben Badende (Sept baigneurs), um 1900

„Maskulinität ist für mich keine fixe Größe“, so Natter. „Vielmehr bezeichnet Maskulinität einen sich wandelnden kulturellen Begriff, der damit zu tun hat, welche Eigenschaften dem Mann zugeordnet werden. Bislang bildeten diese Zuschreibungen oft ein Gegensatzpaar zu jenen Begriffen, die gemeinhin als weiblich galten. Aber genau diese simple Polarität löst sich heute auf - und damit auch die sich daraus ableitenden gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Geschlechterverhältnisse. „Mannsbilder“ sind nicht erst heute – aber gegenwärtig ganz besonders – in Fluss geraten und genau das interessiert uns in unserer Ausstellung „nackte männer“.

 ©Fondation Beyeler, Riehen/Basel; Foto: Christian Bauer

Andy Warhol:

Wann ist Mann also nun ein Mann? Die Antwort ist hoffentlich bunter und vielfältiger, als die Skulptur der Ausstellung, die das Männerbild der Postmoderne repräsentiert – eine männliche Schaufensterpuppe, die ein „Sale“ T-Shirt trägt.

 ©The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts Inc./VG Bild-Kunst, Bonn 2012