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Nach den Wahlen in Belarus: Lukaschenkos verzweifelte Gewaltorgie

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Politik

Es ist eine Diktatur und es ist unsere Diktatur, in Europa, unmittelbar vor der Haustür der EU. Am 19. Dezember 2010 war es wieder so weit, die belarussische Bevölkerung war aufgerufen, ihren Präsidenten zu wählen. Laut (sicherlich geschönter) Statistik wurde Lukaschenko, der seit 1994 im Amt ist, mit knapp 80% wiedergewählt.

Proteste von Regierungskritikern, die daraufhin losbrachen, wurden brutal niedergeschlagen. Der belarussische Geheimdiesnt reichte Klage gegen 20 Oppositionelle des Landes ein. Ihnen drohen bis zu 15 Jahren Haft. Unsere Kolumnistin Claudine Delacroix zur ‘hässlichen Fratze des Regimes' nach den Wahlen.

Der Abschied vom schönen Schein der Demokratie begann schon in der Woche vor den Präsidentschaftswahlen in Belarus am 19. Dezember - mit ersten präventiven Verhaftungen und Drohungen von Seiten der Präsidialadministration und von Lukaschenko selbst, dass man gegen die geplante Kundgebung der Opposition nach Schließung der Wahllokale mit aller Härte vorgehen werde. Gleichzeitig wurde gestreut, dass der geplante Protest nicht etwa, wie von allen Kandidaten immer wieder betont, friedlich ablaufen werde, sondern dass man Informationen darüber habe, dass Sprengstoffanschläge und ähnliche kriminelle Aktionen geplant seien. Doch solche Versuche der Einschüchterung gehören dazu zum Drehbuch der Wahl, niemand in Belarus hatte ernsthaft etwas anderes erwartet.

Rückblick: Der letzte Diktator? 5 Fragen zu den Präsidentschafts-wahlen in Belarus

Überrascht hat allerdings, dass der Präsidentschaftskandidat Nekljajew noch vor der großen Kundgebung von Unbekannten in einheitlicher schwarzer Kleidung - vermutlich maskierten Ordnungskräften oder Geheimdienstleuten - krankenhausreif geschlagen wurde. Doch das war nur der Beginn der Gewalt von staatlicher Seite. Auf dem Oktoberplatz, wo nach Aussage Lukaschenkos vom Wahltag selbst niemand zu erwarten sei, hatten sich nach unterschiedlichen Angaben zwischen 20.000 und 40.000 Menschen versammelt. Wenn diese Zahlen stimmen, so war das die größte Kundgebung seit Lukaschenkos Machtergreifung 1996 und somit doch ein deutlicher Indikator für die Unzufriedenheit im Land.

Zwar ließ man die Demonstranten erst gewähren, aber als die Masse zum Haus der Regierung gewandert war, gingen an dem Gebäude, in dem auch die Zentrale Wahlkommission ihren Sitz hat, die ersten Fensterscheiben zu Bruch. Grund genug für die in Minsk zusammengezogenen bewaffneten Kräfte, nun ihre Gewaltorgie zu beginnen und auf brutale Weise und ohne jegliche Vorwarnungen die Versammlung aufzulösen.

Das Regime zeigt seine hässliche Fratze

Dass der Vorwand für dieses Vorgehen vielleicht nicht ganz zufällig zustande kam, darauf deuten Augenzeugenberichte von unterschiedlichen Seiten hin, die bei den Tätern Knöpfe im Ohr sahen und Kommandos, die zwischen ihnen ausgetauscht wurden, hörten. Stimmen diese Berichte, so war das gewalttätige Auseinandertreiben der Demonstration eine von langer Hand geplante Aktion mit eigens dafür eingesetzten Provokateuren. Dafür spricht auch der Grad an Koordination und Härte, mit dem noch in der gleichen Nacht und in den darauf folgenden Tagen gegen jede auch nur potentiell widerständige Institution oder Personengruppe vorgegangen wurde.

Es traf nicht nur die Mehrheit der oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, die verhaftet wurden oder verschwanden, es wurden ebenso noch in derselben Nacht die Büros von Menschenrechtsorganisationen und den Betreibern unabhängiger Nachrichtenseiten überfallen, Technik konfisziert oder zerstört. Die Masse der seit dem Wahltag festgenommenen Personen und die Art und Weise, wie Urteile im Schnelldurchgang und ohne Rechtsvertreter der Angeklagten gefällt werden, weckt bei manchen Erinnerungen an die stalinistischen Säuberungen von 1937.

Lest auch  unsere weiteren Lukaschenko-Kolumnen:

1) Absurdes aus Lukaschenko-Land

2) Absurdes aus Lukaschenko-Land: Blogger Medwedew contra Spammer Lukaschenko

3) Absurdes aus Lukaschenko-Land: Wie der Präsident, so der Protest 4) Absurdes aus Lukaschenko-Land: Doppelzüngige EU-Politik made in Belarus 5) Absurdes aus Lukaschenko-Land: 1994, 2001, 2006, 2010

In der Tat ist nahezu jede Gruppierung, die dem Regime in irgendeiner Weise ein Dorn im Auge war oder ein möglicher Unruheherd kritischen Denkens sein könnte, von der jetzigen Repression betroffen - Opposition, Journalisten, Zivilgesellschaft. Lange Zeit waren auch die meisten unabhängigen Internetseiten gestört, so dass sich die nun ohnehin führungslose Protestbewegung nur sehr schwer neu organisieren kann. Versuche dazu gibt es - Mahnwachen vor dem Untersuchungsgefängnis in Minsk, die Aufforderung Kerzen für die Freiheit anzuzünden, egal ob am Ort der Kundgebung oder zu Hause im Fenster. 

Aber das wird die Sache der Protestierenden allein nicht retten. Genauso wenig, wie die von Grigorij Kostusew, Präsidentschaftskandidat der Belarussischen Volksfront, eingereichte Klage gegen das Wahlergebnis. Entscheidend wird jetzt der internationale Druck sein - die EU, aber auch einzelne Mitgliedsstaaten, Russland und die USA dürfen jetzt nicht wegsehen, wenn in einem Land, das geographisch im Zentrum Europas liegt, gerade die zarten Knospen von beginnender Liberalisierung wieder zertreten werden und eine für autoritäre Verhältnisse extrem aktive Zivilgesellschaft ihrer Grundlage beraubt wird. 

Illustration: ©Adrian Maganza/adrianmaganza.blogspot.com