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Nach Aleppo, für den Frieden: Marsch!

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Seit Dezember läuft der „Civil March for Aleppo“ von Berlin aus über den Balkan Richtung Syrien. Wie aus einem verzweifelten Video-Aufruf eine Initiative wurde, an der sich bisher über 2000 Personen aus ganz Europa beteiligt haben.

„Ich saß an meinem Schreibtisch und habe Nachrichten aus Aleppo gelesen“, erzählt Anna Alboth in einem Video mit hörbar emotionaler Stimme. „Und dann habe ich geweint.“ Als die junge Polin ihr Video kurz vor Weihnachten veröffentlichte, schien die ganze Welt entsetzt: Medien und Internet sprachen von 2016 als 'Schreckensjahr', das nun endlich zu Ende ginge. Es war die Unmittelbarkeit der Tweets und Bilder, die es in Echtzeit aus der Krisenregion in unsere Wohnzimmer schafften, die uns sprachlos machten. Die Reaktionen darauf: Weitere Tweets, Memes, Gifs oder entmutigende Ratlosigkeit.

Auch Anna Alboth, die als Journalistin und Aktivistin mit ihrer Familie in Berlin lebt und arbeitet, war lange Zeit ratlos. Doch die zweifache Mutter wollte es zusammen mit ihrem deutschen Mann Thomas nicht dabei belassen, betroffen zu sein. Sie startete einen Aufruf zu einem Protestmarsch von Berlin nach Aleppo: „Es gibt zu viele von uns, die so denken. Ich will diese Tränen und diese Wut in eine Aktion verwandeln. Ich möchte nicht einfach nur für Aleppo einstehen. Ich will nach Aleppo gehen.“

Anna und ihre Familie haben Erfahrung mit ungewöhnlichen Reisen. Auf ihrem Blog „The family without borders" (Die Familie ohne Grenzen) berichten die beiden von ihren Roadtrips durch Europa, nach Madagaskar oder auf die Fiji-Inseln. Doch diesmal soll die Reise anders sein - zu Fuß, egal bei welchen Wetterbedingungen und bis nach Aleppo in Syrien.

Auch wenn Aleppo seit Dezember offiziell befreit ist und zehntausende Zivilisten den Ostteil der Stadt letztendlich verlassen durften, die Lage in Syrien hat sich kaum verbessert: Weiterhin sind ganze Städte eingekesselt, es fehlt an Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung. Erst vor Kurzem wurde ein Bericht von Amnesty International bekannt, wonach im Militärgefängnis Sednaja bisher bis zu 13 000 Menschen hingerichtet wurden. Auch wenn die Medien davon berichtet haben, eine breite Entrüstungswelle blieb aus. Annas Initiative aber läuft weiter - im wahrsten Sinne des Wortes.

Für ihren Plan aktivierten Anna und Thomas zunächst Freunde und Bekannte. So zum Beispiel auch Sebastian Olényi, der von der Idee sofort hellauf begeistert war. „Offiziell bin ich Pressesprecher des Civil March for Aleppo in Deutschland, aber ich mache alles, was so anfällt: Unterkünfte buchen, den Transporter anmelden, die Initiative als Verein eingetragen“, beschreibt er sein Aufgabengebiet. Heute fiebern auf Facebook fast 30 000 Menschen mit den Forrest Gumps für den Frieden mit, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, zu Fuß jede Hürde bis nach Syrien zu nehmen.

Der Weg ist das Ziel

Der Aufruf war erfolgreich: Seit fast neun Wochen marschieren Menschen nun schon Richtung Aleppo. Am 26. Dezember 2016 startete die Gruppe in Berlin auf dem Tempelhofer Feld. Seitdem durchquerten sie Deutschland und Tschechien, inzwischen sind die Marschierenden in Österreich, um in wenigen Tagen die slowenische Grenze zu passieren. Meistens sind 50 bis 100 Menschen dabei, in der Umgebung von größeren Städten werden es auchmal 100 bis 200. Aber die Zahl und auch die Gesichter wechseln häufig: Die meisten kommen für ein paar Stunden, manchmal für ein paar Tage, ein Wochenende, erzählt Sebastian aus dem Organisationsteam. Nur wenige laufen die ganze Zeit über mit.

Täglich legt die Gruppe eine Strecke von 25 bis 30 Kilometern zurück. Wenn alles nach Plan läuft, dann kommen die Marschierenden bis Ende Mai an der griechisch-türkischen Grenze an. Ob es am Ende wirklich bis Aleppo gehen soll, steht aktuell aber wieder zur Diskussion: Die Zivilisten konnten Aleppo verlassen, daher gibt es keinen Grund mehr, genau dorthin zu gehen. Zugleich wollen sich die Marschierenden auf keinen Fall in Lebensgefahr bringen und dem Regime nicht zu Propagandazwecken in die Hände spielen. Für die Türkei, die derzeit auch kein ungefährliches Land ist, verhandeln die Organisatoren mit lokalen Behörden, um eventuell Schutz gewährt zu bekommen. Die Ankunft an der türkisch-syrischen Grenze ist für August vorgesehen. Bis dahin bleibt also Zeit zum Nachdenken und Organisieren. 

Soziale Medien zur Mobilisierung

Täglich posten die Marschierenden auch kleine Fotos, Videos und Karten auf der Facebook-Page, die direkte Eindrücke vom Marsch vermitteln. Darauf sind Schneestürme zu sehen, Trampelpfade zwischen matschigen Äckern und immer wieder Turnhallenböden mit bunten Schlafsäcken.

Oftmals ergreift Anna Alboth das Wort per Videobotschaft: „Eine Frau hat sich uns angeschlossen, sie hat ihren Job geschmissen, um mit uns zu gehen. Und der Tag wurde noch besser: Wir haben eine Band dabei!“ Anna schwenkt die Kamera: Ein paar grinsende Gesichter, dick eingepackt in Mützen und Schals drängen sich in den Bildausschnitt - es ist Aufbruchsstimmung.

Aus dem Graukalt gen Süden

Die Gruppe lief im Berliner Graukalt los und kämpfte sich bisher durch ordentlich Schnee und Wind: Im Januar herrschte in ganz Europa eine Kältewelle, die auch den Marschierenden zu schaffen machte. Doch Sebastian möchte nicht über Blasen an den Füßen, kalte Hände und Zehen oder schmerzende Schultern sprechen. Ihm sei die "Message" wichtig, frieren tun immerhin auch die in Europa gestrandeten Flüchtlinge.

Übernachtet wird in Schulsporthallen, aber auch in einem alten Kino, in einer Feuerwache oder in einer Moschee haben die Teilnehmenden schon geschlafen. Das Organisationsteam, das in der heißen Phase 120 Menschen zählte und nun noch aus etwa 15 Mitgliedern besteht, marschiert dabei nicht dauerhaft mit: Die Organisatoren arbeiten von Berlin, Warschau oder Madagaskar aus an dem Marsch. Sie rufen in Rathäusern der Gemeinden an, in denen der Marsch abends Halt macht, um nach Übernachtungsplätzen zu fragen. Die Marschierenden versuchen auch, lokale Flüchtlingsorganisationen oder Flüchtlingsfamilien zu finden, sodass abends Treffen und Austausch stattfinden kann. „In großen Städten klappt es immer, aber auch sonst versuchen wir jeden zweiten oder dritten Abend Programm anzubieten, damit wir uns fortbilden“, berichtet Sebastian.

Den Marsch innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden zu stampfen war keine leichte Sache. Bei Anna war wenige Tage, bevor es losgehen sollte, Land unter, erinnert sich Sebastian. Doch in kürzester Zeit hat der Civil March auf Facebook tausende Likes erhalten, und viele Unterstützer: „Tolle Idee“, „Bon courage!“ „Super“ lauteten die meisten Kommentare. Es gab aber auch kritische Stimmen, die Anna für naiv hielten und die Aktion für gefährlich, die eine klare Positionierung forderten - oder Rechtsaußen-Kommentatoren, die die ganze Aktion verbannten. Manche Medien bezeichnen den Civil March als „selbstmörderisch“ - viel mehr waren es aber, die die Initiative positiv aufnahmen.

 „Wir sprechen jetzt schon seit geraumer Zeit und wir haben noch kein bisschen über den Grund gesprochen, warum wir laufen“, unterbricht Sebastian. Er betont mehrmals, dass sie für den Frieden für alle Menschen in Syrien laufen, für Menschenrechte und humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung. Das sei in der Berichterstattung über den Marsch manchmal zu kurz gekommen, findet er. Und manchmal hätten Trittbrettfahrer versucht, den Marsch politisch für sich auszuschlachten: „Wichtig ist aber nicht der Marsch, sondern unsere Botschaft. Das zu kommunizieren haben wir mal besser, mal schlechter hinbekommen.“ Sebastian ist „beeindruckt, wie viele Menschen sich uns anschließen: Über 2000 Menschen waren inzwischen dabei! Und auch das Medienecho ist enorm.“ Und darum, an Menschen überall in Europa zu appellieren, sollte es in erster Linie ja auch gehen, ob nun schlussendlich bis Aleppo marschiert wird oder nicht.