Mörder in Freiheit I
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Wie Österreich mit nationalsozialistischen Verbrechern nach dem Staatsvertrag umging - ein Beispiel
Franz Murer wurde 1912 in der Steiermark geboren. Bekanntheit erlangte unter dem Beinamen "der Schlächter von Vilnius". 1994 starb er, wenige Kilometer von seinem Geburtsort entfernt.
Die Verbrechen
Inzwischen trat er der NSDAP bei und wurde 1941 zuständig für "jüdische Angelegenheiten" in Vilnius. Während seiner Amtszeit, die bis 1943 andauerte, sank die Zahl der jüdischen Bevölkerung von 80.000 auf 600. Er hatte einen grausamen Ruf als Sadist. Ein bestechlicher Sadist - mit Schmuck und Gold konnte man sein Urteil mildern.
Simon Wiesenthal berichtet wie man unter seinem Befehl zwei Gruppen zusammen kommen ließ. Ein Arbeitskommando, das die Beteiligten der anderen Gruppe im naheliegenden Wald hinrichten sollte. Beim Arbeitskommando befand sich der Vater eines 17-Jährigen, der Sohn war in der anderen Gruppe. Der Junge versuchte sich zu seinem Vater zu schleichen. Murer erwischte ihn und erschoss ihn vor den Augen des Vaters.
Ein anderer Zeuge berichtet von dem Verbot im Ghetto Kinder zu bekommen. Murer nahm einer Mutter das Kind ab, vergiftete es und warf es ihr mit einem Lachen zurück ins Bett. Wiederum ein anderer berichtet von einem Mädchen mit krummen Rücken, das im Ghetto die Straße entlang lief und an Murer vorbeikam. Er soll zu einem Deutschen gesagt haben "Schauen Sie bloß, was es für Mist in diesem Ghetto gibt!", zückte seine Pistole und erschoss die etwa 10-Jährige.
Die Folgen
1947 hält sich Simon Wiesenthal in Gaishorn auf und stößt dort zufällig auf Murer. Er wird den Alliierten übergeben und landet im Zentralgefängnis Graz. 1948 reichen ihn die Briten, die bisher die Verantwortung trugen, weiter an die Sowjetunion. Viele sagen gegen seine grausamen Verbrechen aus, ein Jahr später wird er zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
1955 - jeder Österreicher kennt die Jahreszahl, der Staatsvertrag. Mit der Freiheit Österreichs übergibt die Sowjetunion alle Kriegsgefangenen und Kriegsverbrecher an die junge Republik. Die Übergabe war im ursprünglichen Sinne nicht mit einer Freilassung gleichzusetzen. Doch 1960 stößt Wiesenthal wiederum auf Murer. So rief er im Zuge der Murer-Akte bei dem Posten in Gaishorn an, um nach Details der Verhaftung zu fragen. Der Polizist meint, er wisse zwar nichts, zeigt sich aber hilfsbereit. Er würde sich später noch einmal melden und in der Zwischenzeit Murer befragen. Wiesenthal zeigt sich entsetzt. Murer war also frei. Er rief wiederum beim Justizministerium an. Dort erklärt man, es sei wohl ein bürokratischer Fehler unterlaufen.
Dank dem bürokratischen Fehler hatte es Murer inzwischen zum Mitglied der ÖVP geschafft und war zum Mitglied der Bezirkslandwirtschaftskammer gewählt worden. Als Wiesenthal 1962 mit internationaler Unterstützung eine neuerliche Festnahme gelingt, protestieren die Kollegen Murers gegen die Festnahme. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung sagen wiederum Zeugen aus, unter anderem auch der Vater, dessen Sohn erschossen wurde. Der Urteilsspruch lautet: "Nicht schuldig." Murer ist endgültig frei.