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Mittal stürmt Europas Stahl-Festung

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Durch die feindliche Übernahme des europäischen Stahlkonzerns Arcelor will sein indischer Konkurrent Mittal seine Stellung auf dem Stahlmarkt festigen. Doch der Widerstand der Europäer ist groß.

Der Aufstieg von Lakshmi Mittal zum fünftreichsten Mann der Welt war atemberaubend. Geboren im nordindischen Bundesstaat Rajasthan, in einem Ort ohne Strom und fließendes Wasser, hat er in rund drei Jahrzehnten aus dem kleinen indischen Stahlunternehmens seines Vaters den größten Stahlkonzern der Welt aufgebaut. Mitte der 1970er Jahre zu einer Zeit, als die Stahlbranche sich in einer tiefen Krise befand und kaum jemand etwas auf bessere Zeiten gab, begann er, 1976 erst in Indonesien und dann in aller Welt Stahlwerke aufzukaufen und zu modernisieren. Der jüngste, von China ausgehende Stahlboom füllt ihm nun zur Belohnung die Kassen.

Die Stahlindustrie ist zersplittert

Mittals jüngster Coup verspricht sein Meisterstück zu werden. Am 27. Januar kündigte er für Beobachter der Branche überraschend an, für 18,6 Mrd. Euro den wichtigsten Wettbewerber Arcelor übernehmen zu wollen. Da dieser einen Zusammenschluss ablehnt, ist es ein Plan für eine „feindliche Übernahme“.

Mittals Angebot folgt einer klaren Logik, denn seit vielen Jahren hat die Stahlindustrie ein großes Problem: Sie ist zersplittert. Selbst die größten Stahlkocher haben nur einen recht kleinen Anteil am Weltmarkt. Das macht sich bemerkbar, wenn die Firmen die Rohstoffe Koks und Eisenerz einkaufen und ihre Produkte verkaufen wollen, etwa an die Automobilindustrie. Während Mittal und Arcelor bislang etwa jeweils fünf Prozent des Stahl-Weltmarktes beliefern, teilen sich die drei Erzlieferanten CVRD, BHP Billiton und Rio Tinto rund 80 Prozent des Weltmarktes. Das erlaubte diesen, im vergangenen Jahr die Erz-Preise um etwa 70 Prozent zu erhöhen.

Beiden Konzernchefs, Lakshmi Mittal und Guy Dollé von Arcelor, ist das bewusst. Wie Mittal spricht auch Dollé seit einiger Zeit von der Konsolidierung der Stahlbranche. Beide träumen davon, einmal einem Konzern vorstehen zu können, der die magische Grenze überschreitet und jedes Jahr 100 Millionen Tonnen Rohstahl produziert. Jetzt scheint es Mittal zu sein, der das Ziel als erster erreicht.

Branchenbeobachter, die die Geschäftaussichten aus Sicht des Finanzmarktes beurteilen, loben deshalb die Strategie Mittals. Beide Konzerne ergänzten sich geografisch und in den Produkten, so ihr Argument. Mittal ist in Nordamerika und nach dem Kauf vieler ex-sozialistischer Stahlkocher von Polen bis Kasachstan in Osteuropa Marktführer. Arcelors Schwerpunkt liegt dagegen in Westeuropa und Südamerika. In der Qualität trennen die beiden Konzerne nach Ansicht von Experten noch einige Jahre. Hier macht sich der technologische Vorsprung der traditionsreichen westeuropäischen Stahlkocher Arbed, Aceralia und Usinor bemerkbar, aus denen Arcelor 2001 hervorgegangen ist. Bei einer Übernahme Arcelors könnte Mittal in Zukunft eine größere Bandbreite von Produkten anbieten und zudem die Stahlqualität seiner bisherigen Standorte steigern. Die Synergien belaufen sich auf bis zu einer Milliarde Dollar, heißt es.

„Airbus des Stahls“

Doch beim Wort Synergien klingeln bei den Beschäftigten die Alarmglocken. Mittal ist derzeit schon dabei, an seinen Standorten Stellen abzubauen. Von den 155 000 Beschäftigten dürften bis zum Jahr 2010 rund 45 000 ihre Stelle verlieren. Die Sorgen der derzeit 98 000 Stahlkocher in den Arcelor-Werken sind deshalb verständlich und es verwundert nicht, dass es gegen Mittals Plan große Widerstände gibt. Vor allem Frankreich, Spanien und Luxemburg, wo die größten Werke und der Sitz des Unternehmens liegen, versuchen die Übernahme Arcelors abzuwehren. In Frankreich und Luxemburg sind Gesetze verabschiedet und in Planung, die feindliche Übernahmen erschweren sollen.

Guy Dollé zeigt sich zuversichtlich, die feindliche Übernahme abwehren zu können. „Arcelor und Mittal passen nicht zusammen“, sagt er. Und wenn er Arcelor den „Airbus des Stahls“ nennt, wird deutlich, dass es bei dem Übernahmekampf auch um Symbolik geht. Sollte Arcelor vom indischen Aufsteiger Mittal geschluckt werden, würde damit auch etwas von der Industriepolitik verschwinden, die mit der Begründung der Montanunion 1951 begann und als deren größter Erfolg der Fluzeugbauer Airbus gilt. Bei Lakshmi Mittal findet dieser Widerstand kein Verständnis. Er bezeichnet die Abwehrpläne als „rassistisch“.

Wenn alles nach Mittals Plan läuft, wird die EU-Kommission am 19. Mai grünes Licht für die Fusion geben. Und die Aussicht auf höhere Gewinne hat bislang die Investoren noch immer überzeugt. Mittal wird dann Chef eines globalen Konzerns sein, in dem nationale oder europäische Interessen kaum noch eine Rolle spielen werden. Die Konzentration auf dem Stahlsektor wird sich auch danach fortsetzen.