Mit einem Papiertiger gegen den Drachen
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Der europäische Menschenrechtsdialog ist acht Jahre nach seiner Einführung heftig umstritten. Beispiele wie die Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Xinjiang zeigen, dass er nicht funktioniert.
China ist im Wandel. Keine Wirtschaft wächst so rasch, kein Land verändert sich so schnell wie China in den letzten Jahren. Sichtbarster Ausdruck dieses Wachstums ist das Baufieber, welches das ganze Land erfasst hat. Die Städte verändern ihr Gesicht über Nacht und oftmals erinnert heute nichts mehr an das China von vor zehn Jahren. Der Wandel der Städte ist zum Symbol geworden für den Aufbruch Chinas, aber auch zum Symbol für wachsende Ungleichheit, soziale Spannungen, Vetternwirtschaft, Korruption und staatliche Willkür.
Vor diesem Hintergrund hat sich auch die Lage der Menschenrechte nicht verbessert. Die chinesische Regierung rechtfertigt dies damit, dass die Interessen des Individuums hinter denen der Gemeinschaft zurückzutreten haben. Während die ausländischen Investoren über den damit einhergehenden Mangel an Rechtssicherheit beunruhigt sind, zeigt sich die Öffentlichkeit besorgt über die Verletzung der Menschenrechte. Aus diesem Grund ist 1995 der europäische „Menschenrechtsdialog“ entstanden.
Das Motto lautet Kooperation statt Konfrontation. Der öffentliche Druck soll durch einen konstruktiven Dialog ersetzt werden. Die Entwicklung der Menschenrechtslage soll von Vertretern von Staat und Zivilgesellschaft kritisch begleitet werden, gemeinsame Konferenzen sollen Fachwissen vermitteln helfen und die Übersetzung juristischer Standardwerke ins Chinesische soll die Reform des chinesischen Rechtssystems unterstützen. Ziel dieses interkulturellen Dialogs ist die Verbesserung der Menschenrechtslage, die politische Öffnung und der Aufbau eines Rechtsstaats. Chinesische Polizisten lernen von ihren europäischen Kollegen, wie man sich in einem solchen Rechtsstaat verhält und Richter werden mit den Grundlagen der Gewaltentrennung vertraut gemacht.
Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang
China erklärte sich 1995 jedoch nur unter der Bedingung zum Dialog bereit, dass die Europäer fortan auf eine öffentliche Verurteilung Chinas in der UN-Menschenrechtskommission verzichten. In Folge des Widerstands Frankreichs kam eine solche Resolution seit 1997 tatsächlich nicht mehr zustande, wobei weniger politische als wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend waren. Denn China verhandelte gerade mit dem Airbus-Konsortium über einen Großauftrag.
Auch in der Folge wurde die Menschenrechtspolitik von wirtschaftlichen Interessen bestimmt. Es fehlte eine einheitliche europäische Linie, da jeder vorwiegend daran interessiert war, seine eigene Technologie zu verkaufen. Solange sich der Erfolg der Staatsbesuche in China an der Zahl der abgeschlossenen Wirtschaftsverträge misst und das Konkurrenzdenken vorherrscht, wird es China weiterhin ein Leichtes sein, die Europäer gegeneinander auszuspielen. Heute, nach acht Jahren, ist daher die Wirksamkeit des Menschenrechtsdialogs umstritten.
Sicher, die Menschenrechtslage hat sich verbessert. Insbesondere die individuellen Rechte, wie das Recht auf Eigentum oder die Reisefreiheit sind heute garantiert. Doch die öffentlichen Rechte, wie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit oder die Meinungs- und Pressefreiheit, sind weiterhin eingeschränkt. Solange die Wirtschaft wächst und der einzelne mehr Rechte erhält, so die Strategie Pekings, werde sich die politische Opposition kontrollieren lassen. Doch vom Aufschwung profitiert heute nur eine Minderheit, während andere Bevölkerungsgruppen marginalisiert werden.
Das Scheitern in Xinjiang
Das Beispiel Xinjiangs spricht hier Bände. Bis 1949, als es von China annektiert wurde, war Sinkiang vorwiegend von muslimischen Uiguren besiedelt. Doch infolge einer gezielten Siedlungspolitik hat sich heute das Gleichgewicht zugunsten der Han-Chinesen verschoben.
Die beeindruckende Skyline der Provinzhauptstadt Urumtschi beweist, dass der Fortschritt auch in Xinjiang angekommen ist. Doch in Kashgar, dem kulturellen Zentrum der Uiguren, zeigen sich dessen Schattenseiten. Gesichtslose Neubauten ersetzen die Lehmbauten der Altstadt, deren Bewohner enteignet, vertrieben und um ihre ohnehin unzureichende Entschädigung betrogen werden. Wer dagegen protestiert, wird inhaftiert, wer klagt, kommt selbst vor Gericht. Für die Uiguren ist kein Platz mehr im modernen China. Nur wer seine Religion, seine Sprache und seine Kultur aufgibt, sich vollständig assimiliert, findet Zugang zu Universität, Wirtschaft und Politik.
Jeder, der sich gegen diese Politik wehrt, ist ein Separatist, und Separatisten sind in der Sprache der chinesischen Propaganda Terroristen. Immer wieder gab es Aufstände, die blutig niedergeschlagen wurden, gerechtfertigt wurde dies mit dem „Krieg gegen den Terror“. Die Strategie geht auf, da auch in Europa der uigurische Separatismus weitgehend mit islamischem Fundamentalismus gleichgesetzt wird.
Der europäische Menschenrechtsdialog ist im Fall Xinjiangs gescheitert. Denn die Weigerung, Peking für seine Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang öffentlich zu kritisieren, zeugt weniger von einer gezielten Strategie als von der Gleichgültigkeit Europas. Dass die Uiguren von der internationalen Gemeinschaft vergessen werden, fördert ihre Radikalisierung und trägt zur weiteren Eskalation der Situation bei.
Europa darf nicht weiter zusehen, wie in China die Menschenrechte missachtet werden. Die Position einzelner Staaten, bei Bedarf die Menschenrechte wirtschaftlichen Erwägungen unterzuordnen, ist kurzsichtig. Denn ohne Pressefreiheit, freie Gewerkschaften und eine freie Zivilgesellschaft lassen sich keine effiziente Wirtschaft und keine gerechte Gesellschaft aufbauen. Damit der Menschenrechtsdialog nicht länger ein Papiertiger bleibt, muss Europa daher alle Mittel des Völkerrechtes nutzen, um den öffentlichen Druck auf Peking zu erhöhen.