Miss Platnum: "Es kann doch nicht sein, dass alle gleich aussehen und alle gleich klingen"
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In quietschbunten Outfits rappt die 27-jährige in Berlin lebende Rumänin Miss Platnum gegen den Schlankheitswahn und Zwangsehen und bleibt dabei unverblümt bodenständig.
In einem russischen Café in Kreuzberg, dem wohl buntesten Bezirk Berlins, warte ich auf Miss Platnum. Etwas aufgeregt, denn die Künstlerin ist bekannt für ihre schrillen, exzentrischen Auftritte und ihr Erscheinungsbild, das einen Spagat zwischen „Zigeunerbaronin“, Souldiva und Bling-Bling-Rapper wagt. Mit einem starken, falschen rumänischen Akzent, einer Bläserband und ihren nicht minder auffällig gekleideten Backgroundsängerinnen performt sie mit ihrer vollmundigen Soulstimme ihre Lieder. Ihr aktuelles Album Chefa hat sie bekannt gemacht, nicht zuletzt durch das Mitwirken von Peter Fox, einem Mitglied der legendären Berliner-Multikulti-Reggae-Band Seeed. Nach einem ausgiebigen Festivalsommer ist Miss Platnum, die gut-bürgerlich Ruth Maria Renner heißt, nun wieder zurück in Berlin und arbeitet an ihrem neuen Album, das im nächsten Frühjahr erscheinen wird.
Eine halbe Stunde zu spät kommt sie, und zwar mitnichten in einer Stretchlimousine, sondern auf einem alten Fahrrad. „Entschuldigung, ich hatte gerade noch ein Radio-Interview, das hat sich ein bisschen hingezogen“ - höflich ist sie also schon mal. „Und ein bisschen müde bin ich auch, wir haben gestern gefeiert“. Allzu k.o. sieht sie eigentlich nicht aus. Die Frau, die man mit großem Make Up, Kunststoffpelzmänteln und auch schon mal einem Krönchen auf der üppigen Frisur kennt, kommt gänzlich ungeschminkt zum Interview. Sie trägt eine lilafarbene Hose, ein kariertes Hemd und eine glänzende Jacke. Nicht gerade der Typ graue Maus, aber auch nichts, was in dieser Gegend Berlins Aufsehen erregen würde.
Keine Schubladen in Deutschland und Rumänien
Mit ihren gerade mal 27 Jahren hat Ruth schon einiges erlebt. Aufgewachsen im rumänischen Timişoara sind ihre Eltern 1989 kurz vor dem Ende des Ceauşescu-Regimes nach Deutschland geflohen und ließen die Achtjährige erst einmal bei den Großeltern, bevor sie sie ein halbes Jahr später nachholten. Wie hat sie ihre rumänische Kindheit geprägt, was an ihr ist deutsch und was rumänisch? „Es gibt ja dieses Klischee, dass die Deutschen sehr korrekt sind, und pünktlich. So bin ich auf jeden Fall nicht, das habe ich heute ja schon bewiesen. Vielleicht bin ich in bestimmten Dingen etwas lockerer und weniger kleinkariert, wobei ich damit nicht sagen will, dass ich alle Deutschen für engstirnig halte. Ich finde solche Schubladen doof“.
Sängerin zu werden, das war von jeher der große Wunsch von Miss Platnum. Nach dem Abitur hat es aber ein Jahr gedauert, bis sie sich auch wirklich getraut hat, diesen Traum zu verfolgen. Ihr erstes Album war allerdings ein ziemlicher Flop und hatte wenig mit dem zu tun, wofür sie heute bekannt ist. Ein herber Rückschlag, von dem sie sich erst einmal nicht so leicht erholt. Stattdessen stehen Drogen und Alkohol auf dem Programm. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuschmeißen, weil ich überhaupt nicht wusste, wo ich wieder anfangen sollte. Ich dachte eigentlich, dass ich alles ganz gut gemacht hätte und stand auch hinter diesem Album. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass es viel zu beliebig und an anderen Musikern orientiert war. Dann hatte ich zum Glück die Idee, mich mehr auf mich zu konzentrieren und darauf, was meine Eigenheiten und das Spezielle an mir sind.“
Wilde Konzerte, Käsekuchen und Chicken Wings
Auf Miss Platnums Konzerten geht es wild zu, es wird viel gesprungen, getanzt und am Ende gibt es auch das ein oder andere Glas Wodka. „Mit meiner Musik will ich eigentlich nur die Menschen glücklich machen. Es ist einfach ein tolles Gefühl, das dir die Musik geben kann und es ist ein noch tolleres Gefühl, zu wissen, dass man dieses Gefühl anderen Menschen weitergeben kann.“
Lebensfreude ist das Stichwort: In ihrem Lied „Give me the food“ singt Miss Platnum über den Essensgenuss, von scharfen Chicken Wings, Kaffee mit viel Sahne und Käsekuchen. Das hat ihr den Stempel der Sprecherin für die weniger schlanken Frauen aufgedrückt und das ist das, was in jedem Bericht über sie nicht fehlen darf. „Gerade in meiner Branche ist es einfach so, dass die meisten total dürr sind und jeden Tag ins Fitnessstudio rennen. Klar, ich gehe auch joggen, aber ich will einfach keinen Hunger haben, weil ich finde, dass das scheiße aussieht und ungesund ist. Es sollte normal sein, dass es nicht nur einen Figurtyp geben darf. Das ist wie im Musikbusiness: Es kann doch nicht sein, dass alle gleich aussehen und alle gleich klingen.“
Wie um dieses Statement zu unterstreichen, nimmt sie einen großen Schluck aus ihrer Cola (nicht Light!). Was ist ihr sonst noch wichtig? „Mein Leben muss entspannt verlaufen, ich hasse Stress in jeglicher Hinsicht. Nicht, weil ich faul bin, sondern weil ich finde, dass es nichts Gutes ist. Es macht vieles kaputt und es macht dich ungesund“. Ein entspanntes Leben, ein Traumjob, Erfolg und Bestätigung von ihrem Publikum: Selbstzweifel scheinen Miss Platnum nicht gerade zu plagen. „Manchmal schaue ich mir auch das an, was ich mache und denke, es ist alles total egoistisch. Ich habe ja keinen sozialen Beruf, mit dem ich anderen helfe. Ich bin immer noch auf der Suche nach etwas, bei dem ich wirklich das Gefühl habe, dass ich direkt etwas geben kann. Das fehlt mir noch im Leben und ich denke, das ist wichtig.“
Ein Lied gegen die Zwangsehe
Dass sie sich für politische und gesellschaftliche Themen interessiert, wird nicht nur in ihren Liedern, wie zum Beispiel „Marry me“, in dem sie über Zweckehen zwischen osteuropäischen Frauen mit westeuropäischen Männern singt, deutlich. „Ich wünsche mir weniger Intoleranz in der Welt. Ich bin ja manchmal leider selber so, man ist oft einfach zu faul, sich mit den Dingen auseinander zu setzen. Hier in Deutschland habe ich das Gefühl, dass viele überhaupt nicht wissen, was abgeht. Es wäre gut, wenn sich das System so verändern würde, dass die Menschen sich bewusst werden, was man selber erreichen kann. Ich glaube, dass es eigentlich überhaupt nicht schwer ist - es wird einem nur schwer gemacht.“
Für ihre persönliche Zukunft wünscht sich Miss Platnum, die schillernde Bühnendiva, übrigens etwas ganz Bodenständiges: „Ich hoffe, dass ich gesund bleibe, dass ich weiterhin genug Energie und Kreativität habe. Und irgendwann wünsche ich mir eine Familie und ein kleines Haus, vielleicht auf dem Land“.
Erster Erscheinungstermin November.