Miriam Michel: „Feminismus ist wie Staubputzen“
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Sie inszeniert feministische Theaterstücke, untersucht, wie Körperbehinderung und Geschlecht zusammengehen und ruft im Notfall die Gender-Polizei. Ach ja, manchmal lässt sie sich auch mit Eiern bewerfen. Die Künstlerin Miriam Michel hat keine Angst vor unbequemen Fragen - schon gar nicht vor denen, die sie sich selbst stellt.
Miriam Michel hat eine Theorie, und auf diese Theorie ist sie ganz schön stolz. „Feminismus ist wie Staubputzen“, sagt sie und rührt in ihrem gigantisch-großen Caro-Milchkaffee. „Niemand hat Bock auf Staubputzen, weil man sich denkt: Ist doch sauber! Aber wenn man es eine Weile nicht macht, sieht es plötzlich richtig dreckig aus.“ Soll heißen: So richtig Bock auf Feminismus hat keiner - ohne ihn sammelt sich aber einfach zu viel Dreck an. Miriam rückt ihr Haargummi zurecht und nickt: „So sieht’s nämlich aus.“
Zum Treffen in einem Bochumer Café ist sie 15 Minuten zu spät gekommen. Stau. Der Verkehr im Ruhrgebiet ist unberechenbar, das weiß hier jeder. Miriam hat sich dran gewöhnt. Von Saarbrücken aus hat es die 1979 geborene Saarländerin 2008 in den europaweit größten Ballungsraum verschlagen. Hier lebt sie als freie Künstlerin in Bochum - wobei „Künstlerin“, es nicht so ganz trifft, denn Miriam ist einer dieser „Slash“-Menschen: Sie ist Theaterwissenschaftlerin/Amerikanistin/Soziologin. Zumindest hat sie das studiert. Außerdem arbeitet sie als Regisseurin/Dramaturgin/Performancekünstlerin und macht ihren Master in Szenischer Forschung an der Ruhr Universität Bochum.
Einsatz für die Gender-Polizei
Zuletzt hat Miriam im Theater Hagen das Kinderstück Prinz Sternschnuppe inszeniert, in dem es darum geht, dass der Prinz eben gerne rosa Tutu trägt und die Prinzessin gerne Hosen. Momentan leitet sie für das Projekt Pottfiction (Eigenbeschreibung auf der Webseite: „Theater, Kunst und Camps für Jugendliche der Kulturmetropole Ruhr“) die Gruppe in Hagen. Sie organisiert Workshops, betreut die jugendlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen - und diskutiert mit ihnen über sozialen Konstruktivismus und Gleichberechtigung, gerne in der gruppeneigenen WhatsApp-Gruppe. „Wir haben sogar den Begriff der Gender-Polizei eingebracht“, erzählt Miriam. Gender-Polizei, das steht in Deutschland eigentlich für vermeintlich hysterische Feministinnen, die alles und jeden genderisieren wollen. Ein negativer Begriff also.
Nicht so bei Miriam und ihren Jugendlichen. „Wenn jemand etwas Sexistisches entdeckt, dann sagen die Jugendlichen: Alter, da brauchen wir jetzt die Gender-Polizei!“ Letztens zum Beispiel sei einem Mädchen aufgefallen, dass selbst bei Pferden die Pferdedecken nun dem Geschlecht des jeweiligen Tieres angepasst würden: Rosa und Pink für Stuten, dunkle Farben für Hengste. Bei einem der zu Pottfiction gehörenden Workshops haben Miriam und ihre Gruppe die anderen Gruppen in Cross-Dressing empfangen. „Wir haben das gar nicht kommentiert“, sagt Miriam, „sondern so getan, als sei das völlig normal.
Für Miriam ist Feminismus keine Denk- und Lebensweise sei, die sich nur auf Frauen beschränke: „Es geht um Gerechtigkeit und Freiheit.“ Viele ihrer Performances – ob solo oder mit dem Kollektiv dorisdean - beschäftigen sich deshalb mit Fragen des menschlichen Zusammenlebens und der Kommunikation. dorisdean beispielweise setzt sich mit Körperbehinderung auseinander: „Die Frage nach Unbehagen steht dabe im Mittelpunkt. Körperbehinderung ist etwas, das Unbehagen schafft. Wir fragen danach, wie Geschlecht und Behinderung zusammengeht. Es findet nämlich oft eine Entsexualisierung behinderter Menschen statt“, erklärt Miriam. In ihren Solo-Performances legt sie den Schwerpunkt mehr auf Ungerechtigkeit: „Ich sage immer, Ungerechtigkeit an jedem einzelnen Ort ist Ungerechtigkeit an allen Orten.“
Fühlen kann schmerzhaft sein
In ihrer Arbeit geht es Miriam auch darum, sich selbst zu hinterfragen. Sie findet es spannend, wie sich ihre eigene Wahrnehmung von der anderer unterscheidet. „Ich kenne keine Wahrheit. Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Menschen gibt“, sagt Miriam. „Wahrnehmung bedeutet ja sehr wörtlich: das, was du als ‚wahr‘ annimmst.“ Das würde natürlich auch zu Konflikten führen. Letztendlich, so Miriam, gehe es darum, zu sagen: „Ich bin hier, ich bin real, und was ich fühle, ist real.“ Dieses Fühlen kann durchaus auch schmerzhaft sein, so wie in Miriams Performance Ei Ei Ei. Für diese ließ sie sich von zwei Freunden nacheinander mit 40 Eiern bewerfen. „Das tat richtig weh!“. Miriam verzieht das Gesicht.
In der Performance hat Miriam eine Erfahrung verarbeitet, durch die sie sich verletzt, gedemütigt und ausgeliefert fühlte. Miriam erklärt: „Ich wollte das in eine gewisse Ästhetik überführen, mich aus meinem eigenen Narrativ befreien. Quasi die Erfahrung zum Material werden lassen. Ich wollte mich selbst befragen und mich in ein Zentrum stellen, das mir durchaus gefährlich vorkommt.“ Sie blickt über den Rand ihrer Kaffeetasse und grinst: „Die Leute unterstellen mir oft, ich sei Dogmatikerin - naja, ich bin einfach sehr radikal in meinen Prinzipien.“ Miriam Michel, so viel steht fest, ist eine hervorragende Staubputzerin.
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