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Million Dollar Baby: Frauensport in Istanbul

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Sophie Beese

GesellschaftLifestyle

An den Olympischen Spielen 2012 in London nahmen mehr türkische Frauen (66) als Männer (48) tei: „Der Unterschied zwischen Männern und Frauen liegt darin, dass türkische Männer Sport nicht wirklich mögen; was sie mögen, ist zu gewinnen”, seufzt eine Freundin in Istanbul, Europas Sporthauptstadt 2012.

Sind türkische Frauen „fairer” als Männer, wenn es um Sport geht? Ist das ihr Erfolgsrezept? Sind sie bessere Teamplayer? Von den 66 Sportlerinnen, die vom 27. Juli bis 12. August an den Olympischen Spielen in London teilnahmen, spielten 24 im Basketball- oder Hallenvolleyball-Team. „Wir sind auf jeden Fall fairer und objektiver als Männer“, bekräftigt Nursen, 56-jähriger Fan des Fenerbahçe Istanbul Fußballvereins, die beim Spiel zwischen Manisaspor und Fenerbahçe im Jahr 2011, bei dem nur Frauen und Kinder ins Stadion durften, live dabei war. „Wir haben keine Vorurteile. Wir wollen uns nicht vor dem Spiel prügeln. Wir wollen einfach nur zuschauen und unser Team unterstützen. Die Lebensfreude spüren, wenn wir im Stadion sind.“ Aber auch Frauen müssen es lieben, zu gewinnen. Wo bliebe der Wettbewerb ohne den Willen, zu kämpfen und zu gewinnen?

Million Dollar Baby Istanbul

Ich nehme die erst Fähre und dann den überhitzten, stickigen Bus nach Kavacık auf der asiatischen Seite von Istanbul: Willkommen im MMA Corvos Fitnessstudio. „Manchmal rufen mich Männer an, die mir stundenlang am Telefon davon erzählen, wie sie Kämpfer werden wollen. Aber wenn ich ihnen dann erzähle, wo sich das Studio befindet, sagen sie, das sei zu weit weg“, erzählt der Gründer Burak Deger Bicer, der mich mit offenen Armen und einer vorzüglichen Tasse Kaffee empfängt. „Und die wohnen nur 3 Kilometer über die Brücke. Suzan wohnt mehr als 30 Kilometer entfernt und kommt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Training.“ Suzan Özen ist eine Boxerin, die im Internet von dem Fitnessstudio erfahren hat. Genau wie in dem Film Million Dollar Baby (2004) betrat die 28-Jährige das Studio und verkündete: „Ich will Boxerin werden.“

Als sie später währen des Brasilianischen Ju-Jitsu-Trainings mit den anderen ringt und über die Matte rollt, scheint das niemanden zu stören. Sie ist geschminkt und hat das Raben-Logo auf ihren Oberarm tätowiert – so wie einige andere Mitglieder auch. Sie begegnet mir mit einem strahlenden Lächeln und als Burak ihre ersten Sätze dolmetscht, erkennt man bereits, dass Brasilianisches Ju-Jitsu ihr Leben ist. „Ich habe mein ganzes Leben nach etwas gesucht - und jetzt habe ich es gefunden“ erzählt sie.

„Es ist ein Glück, auf das ich lange gewartet habe. Mein Ziel ist, den Sport zu meinem Beruf zu machen. Aber es ist schwer, Sponsoren und Geld aufzutreiben, um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können. Obwohl meine Familie aus der Osttürkei stammt und sie ein dörfliches Leben führen, sind sie anders, denn sie unterstützen meine Entscheidung. Mein Vater hat gesagt: ‚Wenn meine Tochter etwas macht, weiß sie, was sie tut‘.“

Wir denken nicht an die Brüste einer Frau, sondern daran, dass sie vielleicht kürzere Beine hat und so weiter.

„Es gibt es viele Vorurteile über Kampfsport in der Türkei“ fügt Burak hinzu. „Besonders misstrauisch sind die Leute jedoch, wenn Frauen involviert sind und wenn dabei auch gerungen wird und es zu Körperkontakt kommt. Aber wir verurteilen Menschen nicht. Es ist uns egal, ob du reich, arm, ein Junge oder ein Mädchen bist, wir achten auf Techniken. Wir denken nicht an die Brüste einer Frau, sondern daran, dass sie vielleicht kürzere Beine hat und so weiter. Es sind meist die Anfänger, die sich unwohl fühlen. Manchmal lasse ich Männer, die neu in den Club kommen, mit Suzan ringen, um ihnen zu zeigen, wie effektiv unsere Arbeit ist. Sie kann mit einem Mann kämpfen, der doppelt so groß ist wie sie selbst und ihn besiegen. Manche Männer akzeptieren diese Situation, lieben den Sport dafür und trainieren. Andere hassen es, fühlen sich schlecht und gehen. So ist das nun einmal.“

Kopftuchrennen

Im Belgrader Wald, 15 Kilometer nordwestlich von Istanbul, teilen Reyhan und Nergiz ihr Frühstück mit mir. Die Lehrerinnen für Deutsch und Englisch sind an ihrem freien Tag aufgebrochen, um wandern und Rad fahren zu gehen. „Unsere Freunde glauben, wir seien verrückt“ lachen sie. „Die meisten von ihnen verbringen ihre Zeit in Cafés und Bars. Sie halten uns für ziemlich merkwürdig.“ Als ich ein Stück mit ihnen Rad fahre, kann ich schwer einschätzen, ob die Leute, an denen wir vorbeifahren, verwirrt sind oder amüsiert, angestarrt werden wir jedenfalls.

Reyhan hat erst vor zwei Jahren Fahrradfahren gelernt. „Ich bin in einem kleinen türkischen Dorf aufgewachsen und wir konnten uns kein Fahrrad leisten“, erklärt sie. Auf dem Rückweg mit dem Bus zum Taksim-Platz sehe ich an diesem heißen Julitag Männer in den Bosporus springen und tauchen. Frauen mit Hijabs sitzen daneben und schauen zu. Während es also bereits schwierig ist, Sport zu treiben, wenn man traditionell erzogen wurde – auch wenn Suzan hier mehr Glück gehabt zu haben scheint – kann ein Kopftuch eine zusätzliche Hürde darstellen.

Emma Tarlo, Aurorin des Buches Visibly Muslim: Fashion, Politics, Faith (deutsch: Sichtbar muslimisch: Mode, Politik, Glaube) hat Daten gesammelt, die zeigen, dass Frauen durch Kleidervorschriften vom Sporttreiben abgehalten werden. Cindy van den Bremen, die in den Niederlanden lebt und mit einem Türken verheiratet ist, hält das nur für ein Vorurteil. Sie ist Designerin und hat die Marke Capsters gegründet: sportliche Kopftücher mit Klettverschlussprinzip. Dank ihrer Entwicklung hoben die Fifa und der jordanische Prinz Ali bin al-Hussein das Hijab-Verbot auf.

„Wenn es um Sport und den Hijab geht, ist das wichtigste, dass Frauen mehr Macht erhalten“, erklärt Cindy. „Frauen aus muslimischen Ländern oder Gemeinden sehen sich oft mit vielen Hindernissen konfrontiert, wenn es darum geht, Sport zu treiben. Vorbilder sind in solchen Regionen deshalb enorm wichtig für andere Frauen; diese zeigen ihnen, was möglich ist - mit oder ohne den Hijab. Bei Capsters sind wir weder gegen noch für das Kopftuch, wir unterstützen einfach das Recht der Frau zu wählen und ihren Willen frei zu äußern. Der Rest hängt von ihr ab.

| Noch sind keine Türkinnen, die sich im Bosporus abkühlen, in Sicht

Ein Kopftuch bedeutet nicht zwangsläufig Unterdrückung. Und hinter moderner Kleidung steckt nicht unbedingt ein progressiver Geist. Für manche Frauen stellt die Möglichkeit, mit einem Hijab Sport zu treiben, den ersten Schritt aus einem Leben dar, das sie zu einem Hausfrauendasein verurteilt. Für andere hingegen ist es ein bewusster und stolzer Schritt. Ob mit oder ohne Hijab, es ist immer noch eine Herausforderung, die traditionelle Einstellung zur Rolle der Frau in der türkischen Gesellschaft zu überwinden. Sicher braucht es dazu eine ganze Menge Kampfgeist. Das bringt die Athletik-Weltmeisterin Nevin Yanit genau auf den Punkt: “Wenn ein kleines Mädchen anfängt, Sport zu treiben, fragen sich viele, ob erwachsene Frauen so etwas auch tun können.“

Nachdem sie jedoch bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Barcelona eine Goldmedaille gewann, mussten Vertreter aus ihrer Stadt feststellen, dass sie bisher auf einem Feldweg trainiert hatte. Daraufhin wurde ein neues Leichtathletik-Stadion in Mersin nach ihr benannt, in dem sie jetzt auch trainiert.

Dieser Artikel ist Teil der cafebabel.com Reportagereihe Orient Express Reporter II 2012. Vielen Dank an das cafebabel.com Localteam in Istanbul.

Illustrationen: Teaserbild mit freundlicher Genehmigung von ©london2012.com; Im Text © Carole Viaene

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Translated from ‘Million Dollar Baby’ Istanbul - no hurdle to being a woman in sport