Mein Opa und die Sache mit Katalonien
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Selina GlaapMein Opa ist eher wortkarg, wie die meisten Kastilier. Doch bei meinem letzten Besuch im Altenheim hat er mich mit Fragen über Katalonien förmlich bombardiert: Was passiert da? Gab es ein Referendum? Was ist der Artikel 155? Zum ersten Mal bin ich es, der sprachlos zurückgelassen wird. Eine fiktive Erzählung.
Referendum. Unabhängigkeitserklärung. Katalanische Republik. Artikel 155 der Verfassung. Unabhängige Wahlen. Eine Strafanzeige der Staatsanwaltschaft - die Liste an Ereignissen der letzten Wochen ist lang. Es ist egal, ob man in Katalonien nun Kastilisch oder Katalanisch spricht, sogar die Schreibweise bekommt eine politische Bedeutung. Wer in den letzten Wochen in Spanien einen Internetzugang genutzt oder nicht ganz hinter dem Mond gelebt hat, wird sich orientierungslos gefühlt haben; ein Gefühl, das sich durch die gewohnte Informationsflut noch verstärkt. Die Unsicherheit ist groß.
Als ob das nicht schon genug wäre, überschlagen sich die Eregnisse in einer Geschwindigkeit, dass jeder neue Zeitungsartikel Gefahr läuft, innerhalb von wenigen Stunden nicht mehr aktuell zu sein. Es ist unmöglich, der Masse an Regierungserklärungen, Live-Schaltungen und politischen Reaktionen auf politische Reaktionen Herr zu werden. Das Geschehen, das die Titelseiten beherrscht, die ständig neuen Statusmeldungen und damit einhergehenden Klicks scheinen so komplex und mitunter irrational, dass sie in sozialen Netzwerken mit einem Szenario der Serie Stranger Things oder einem Film des spanischen Regisseurs Berlanga verglichen werden. Es ist besonders dramatisch, da wir es mit einer Geschichte zu tun haben, die auf wahren Begebenheiten beruht.
In einer Zeit, in der sich Fernsehdebatten und soziale Netzwerke mit Predigern füllen, die meinen, das nächste Kapitel dieser Geschichte voraussagen zu können, kann man sich vorstellen, wie schwierig es ist, die bisherigen Geschehnisse jemandem zu erklären, der von dem Durcheinander nur durch Hörensagen erfährt.
- Was ist los in Katalonien?
Bevor er ins Heim kam, las mein Opa täglich die Zeitung. Zum Glück hat er kein Twitter und ist einer der wenigen Personen in Spanien, die nicht wissen, wer Antonio García Ferreras (ein spanischer Claus Kleber, Anm.d.Red.) ist. Allerdings besuchen ihn Freunde und Familienmitglieder oft genug, um ihn auf den neuesten Stand zu bringen.
- „Also, was ist los in Katalonien?“ fragt er mich, auf eine einfache Antwort hoffend.
Die erste Option war, zu generalisieren (in keiner Weise sprechen wir hier über den Begriff Generalitat, der die politischen Organe Kataloniens zusammenfasst...) und das Ganze etwas abzukürzen:
- Katalonien hat viele Probleme, Opa.
- Ja, aber was ist passiert?
- Mal sehen...
Ich versuchte, mich zu erinnern und nutzte den Lieblingssatz eines jeden Serienjunkies:
- In welcher Folge sind wir gerade?
- Es gab ein Referendum, oder?
Kalter Schweiß lief mir über den Nacken. Er konnte sicher ahnen, dass ich Journalist geworden bin, um genau solche Dinge erklären zu können. Ist ja auch naheliegend.
- Äh... ja. Das Referendum war verfassungswidrig, aber sie haben es dennoch durchgezogen. Das weißt du, oder? Das mit den Urnen, der katalanischen Regionalpolizei Mossos, dem Tweety-Schiff und all das.
- Ja. Und dann?
Mein Opa setzte das Gesicht eines Fahrlehrers auf. Ich durfte nicht durch meine Prüfung fallen.
- Nun ja, Kataloniens Präsident Puigdemont hat gewonnen, die Unabhängigkeit erklärt und sie dann wieder aufgehoben.
- Aber alles gleichzeitig?
- Nein, man geht davon aus, dass er die Unabhängigkeit aufhob, um mit der spanischen Regierung zu verhandeln.
- Mit Rajoy (spanischer Ministerpräsiedent; Anm.d.Red.)?
- Ja. Und einige Menschen waren glücklich darüber, aber andere wurden wütend und haben Puigdemont als Verräter bezeichnet.
- Mit 'Menschen' meinst du die Unabhängigkeitskämpfer, oder?
- Ja, genau. Wobei, es wurden nicht nur Demonstrationen für die Unabhängigkeit Kataloniens organisiert, es gab auch Demonstrationen für die Einheit Spaniens, Proteste für dies und jenes. In der Presse stand, dass Puigdemont nach dem Referendum Wahlen in Katalonien einberufen würde. Puigdemont selber sagte, dass er sich vor Gericht verantworten würde, nahm dies dann aber wieder zurück, verzögerte das Ganze noch einmal und verkündete dann, dass er keine Wahlen einberufe.
- Und warum?
- Man sagt, dass in letzter Minute Verhandlungen stattfanden, aber die Regierung den Artikel 155 (der u.a. die Entmachtung der Regionalregierung erlaubt, Anm.d.Red.) nicht anwenden wollte. So rief das Parlament die Unabhängigkeit aus und...
Es folgten Sekunden der Stille. Mein Opa verzerrte das Gesicht.
- Und?
- Das weiß ich auch nicht.
- Wie, du weißt es auch nicht?
Ich verzweifelte.
- Es ist so, dass... Weißt du, wie schwierig es ist, über das, was gerade passiert auf dem Laufenden zu bleiben?
- Aber... bist du nicht Journalist? Hast du kein Handy? Oder Internet?
- Doch, schon. Aber du musst wissen, wie schwierig das ist. Sie rufen die Unabhängigkeit aus und wiederrufen sie dann. Öffentliche Auftritte werden angekündigt, verschoben, abgesagt und finden dann doch statt. Sie werfen sich gegenseitig Verrat vor und stehen am Ende doch auf der gleichen Seite. Im Fernsehen sieht man Bilder von schwerbewaffneten Polizisten und ein Minister sagt, dass die Bilder falsch seien. Niemand blickt da mehr durch! Menschen dekorieren ihre Balkone mit Flaggen, während andere auf Kochtöpfe und Pfannen trommeln. Tweets mit Beschimpfungen, Vorwürfen und Memes erscheinen. Weil wir keine Ahnung haben, was gerade passiert. Weil sich die Dinge jede Minute ändern und ich weiß nicht, ob Puigdemont zurückgetreten oder ein Präsident im Exil ist, ob die CUP (Unabhängigkeitspartei Kataloniens, Anm.d.Red.) bei den regionalen Wahlen antreten wird oder nicht, ob Podemos (linksorintierte Partei Spaniens, Anm.d.Red.) für die Unabhängigkeit ist oder dagegen. Ob Artikel 155 hart, weich oder irgendetwas dazwischen ist. Ob die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender TV3 (Katalonien) und TVE (Spanien) manipulieren, wann Garcia Albiol (spanischer Politiker, Anm.d.Red.) die nächste Stellungnahme abgibt oder ob das Ganze nur eine Folge von Lost ist.
Mein Opa schaute mich beunruhigt an, als ob ich den Verstand verloren hätte. Als er erkannte, dass ich ihn musterte, änderte er schnell seinen Gesichtsausdruck.
- Du wirst schon sehen, das wird sich geben. Gehen wir ein Stück?
Es war eine stille Übereinkunft. Während meines restlichen Besuchs redeten wir nicht mehr über Katalonien, aber das ließ mich noch mehr verzweifeln: Hörten wir auf über das Thema zu reden, um Diskussionen zu vermeiden oder, um meine mentale Gesundheit zu schützen? Indem wir das Problem ignorieren, lösen wir es nicht, aber nur wenige Probleme lassen sich durch ein Gespräch in einem Altenheim nahe Palenia lösen. Es ist schon schwierig genug, sich dem Thema auf dem politischen Spielfeld zu stellen - und noch schwerer es zu verstehen.
Bevor ich ging, hatte mein Opa noch eine Frage:
- Was zum Teufel ist ein Meme?
- Das heben wir uns besser für einen anderen Tag auf. Zu viele Fragen. Zu viel Unsicherheit.
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Translated from Mi tío abuelo y lo de Cataluña