Mein Auslandspraktikum: Kulturschock Marseille-Paris
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Katha KlossAls Studentin im Bereich deutsch-französischer Journalismus hat es mich bereits mehrmals nach Deutschland verschlagen. Gerade mache ich ein Praktikum in Paris. Aber nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich mich in meinem eigenen Land wie eine Fremde fühle.
"Ah, du bist aus der Provinz?" Immer die gleiche Schiene. Das Wort "Provinz" macht mich einfach fertig. Denn es enthält ja an sich schon den Fakt, dass sich "die Pariser" - quasi von Gottes Gnaden - im Zentrum befinden, während rundherum Niemandsland ist. Oder fast. "Provinz" klingt nach einer unförmigen Masse Schlamm, in der sich ein paar Dorftrottel suhlen. "Hey, ich komme aus Marseille, weißt du? Die zweitgrößte Stadt Frankreichs. Richtig gehört! Diese Stadt, wo immer schönes Wetter ist." Damit kann man sogar einen Pariser ordentlich zurücknerven. Das macht dann schon zwei Entnervte.
Der erste Kulturschock tritt natürlich in Bezug auf Klima und Umwelt ein. In Paris machen sich Sonnenstrahlen ziemlich rar und mein Gesicht hat bisher ungekannte Teint-Varianten angenommen - eine hübsche, kadavereske Durchlässigkeit. Die dicke Schicht Schadstoffe scheint ihrerseits jedoch eine bevorzugte Heimat in der Atmosphäre über der französischen Hauptstadt gefunden zu haben. In Marseille wird sie vom Wind aus der Stadt gejagt und die Meeresluft ist von berauschender Sanftheit. In meiner Mini-1-Zimmerwohnung in Paris muss ich mich entscheiden: entweder den Muff des Verschlossenen oder das milde Auspuffparfüm von draußen.
Pariser Benimmregeln
Die Fremde macht sich also daran, ihre Integration in eine neue Kultur voranzutreiben. Hier in Paris muss man schnell laufen und wehe nicht vom Weg abkommen. Wenn ihr einen normalen Rhythmus lauft, werdet ihr mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit bald von einer Horde Pariser überrannt. Aber nach wenigen Tagen schon ist man bereits Teil der Masse und überrascht sich selbst, wie man gegen zu langsame Touristen pestet.
Marseille ist keine Modemetropole. Dort kann man wunderbar ein neon-orangenes T-Shirt mit knallrosa Leggins kombinieren. Das Oberteil sollte zudem so eng wie möglich anliegen, um den Waschbrettbauch hervorzuheben, der den ganzen lieben Winter lang angesetzt wurde. Deshalb braucht es nicht viel Klasse, um neben dem Durchschnittsbewohner von Marseille zu glänzen. Sobald man aber in Paris ankommt, ist man visuell nahezu erleichtert. Denn ziemlich viele Pariser haben ziemlich guten Geschmack. Manchmal komme ich mir in dieser Stadt vor, wie auf einem megagroßen Laufsteg. Sogar zum Einkaufen würde ich mich hier nicht in der Jogginghose aus dem Haus trauen.
Auch wenn wir die gleiche Sprache sprechen, sollten die Pariser gewappnet vor meinen spontanen dialektalischen Marseille-Auswürfen sein - ein "ah il m'a emboucanée avec sa cigarette lui!" [in etwa: ah, der hat mich mit seiner Zigarette zugeräuchert] oder ein "c'est vraiment kafi de touristes ici…" [in etwa: hier wimmelt es ja nur so von Touristen] rutscht mir immer gern mal wieder raus. Im Großen und Ganzen funktioniert meine Tarnung aber perfekt. Niemand steigt wirklich dahinter, wo ich herkomme. Außer, ich muss die Worte 'rose' [rosa] und 'jaune' [gelb] aussprechen. Dann gibt es kein Entrinnen, ich werde augenblicklich enttarnt.
Freiheit, Gleichheit, Beklemmtheit
In Paris akzeptieren Menschen, Unsummen von Geld für 12 Quadratmeter hinzublättern (18 Quadratmeter sind für ca. 750 Euro/Monat zu haben). Damit kann man eine unglaubliche Anzahl an Menschen 'vertüten'. Zu diesen Menschen gehöre nun auch ich. Ich lebe im sechsten Stock in einer 17-Quadratmeter-Wohnung in der Nähe von Montparnasse. Zumindest gibt es einen Fahrstuhl, nicht alle meine Freunde haben diesen Luxus. Eine solche Wohnfläche wird in Paris schon fast als Luxus angesehen. WC und Bad befinden sich innerhalb der Wohnung, sind von der Küche durch eine Holzschiebetür getrennt. Die Zähne putze ich mir im einzigen Waschbecken (meistens randvoll mit Geschirr), das diese Wochnung besitzt - in der Küche! Da kann man sich schon richtig privilegiert fühlen. Viele meiner Bekannten haben ihren Parisaufenthalt mit Dusche und Toilette auf dem Gang begonnen, die sie mit weiteren Bewohnern teilen mussten.
Wenn ich abends nach Hause in mein studio gehe, bin ich nie so richtig allein. Meine Nachbarin ist zu Hause. Umöglich, sie zu ignorieren. Die Wände sind so hauchdünn, dass ich wirklich alles was sie macht in Echtzeit und detailgetreu mitkriege. Die Klospülung beispielsweise ist perfekt zu hören, die Dusche oder der Holzlöffel, der beim Kochen auf die Pfanne schlägt. Ich weiß immer genau, wann sie Besuch hat (ich bevorzuge, wenn es sich um weiblichen Besuch handelt), ich höre sie niesen oder mit ihrem Fön wie eine Verrückte singen. Ihr Wecker klingelt Sonntag morgens zwischen sieben und acht, auch wenn sie auswärts schläft. Und oft höre ich, wie sie bis spät in die Nacht für ihre Prüfungen büffelt. Grundsätzlich tut sie ja nichts Schlimmes, sie lebt ein ganz normales Leben.
In Gedanken schweife ich zu meiner Nachbarin in Marseille ab, die am Sonntagmorgen um sechs Uhr gern mal Staub saugte. Sie fehlt mir. Dieser dumpfe und weit entfernt scheinende Lärm war ein Lacher gegen Paris. Das scheint mir nun fast gemütlich, sanftmütig wie ein Schlaflied. Fast so wie die Metro, die die Wände deiner Wohnung mehrmals stündlich zittern lässt. Man gewöhnt sich daran.
Alle Wege führen nach Paris
Die Marseillaise in mir hatte eigentlich damit abgeschlossen, abends wegzugehen: man endet dort immer an den gleichen Orten, wenn man denn einen Parkplatz findet. Der Bewohner von Marseille steht auf seinen großen 4x4, der gleich zwei Parkplätze komplett einnimmt. In der Hauptstadt hat man für abendliche Eskapaden die Qual der Wahl, und alle Orte sind über das dichte Metronetz einfach zu erreichen. Von den Preisen mal abgesehen.
Am Wochenende und am Abend treffe ich meine Freunde, die meistens auch aus Marseille sind. In Frankreich führen alle Wege nach Paris, dafür muss man nur einen Blick auf das Streckennetz der Bahn werfen. Die Pariser sind ahnungslos, aber es wimmelt in der Hauptstadt nur so von uns. Wenn ich mich mit Freunden treffe, tauschen wir Anekdoten über unseren Kulturschock hier in Paris aus und zaubern im Verborgenen unseren besten Dialekt aus der Tasche. Manche fühlen sich wohl in Paris, sie verleugnen manchmal sogar ihre Wurzeln. Andere fühlen sich fremd, so wie ich, und wissen, dass dieser notwendige Abstecher nach Paris nur einer auf Zeit ist.
Sie haben verschiedene Backgrounds, sehen anders aus und glauben an verschiedene Dinge. Ihr Leben kann jede Richtung einschlagen, ihr Zuhause morgen überall sein. Aber eine Sache bleibt in diesem Rausch vorhersehbar: an einem bestimmten Punkt werden alle von ihnen ein Praktikum absolvieren. Am besten im Ausland. Intern Nation - Porträts aus der Praxis europäischer Praktikanten 2015.
Translated from Mon expérience de stagiaire « étrangère » à Paris