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mein anderes ich en español

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Susanne Julia

Meine Kof­fer waren ge­packt und mit einem mul­mi­gen Ge­fühl er­war­te­te ich meine Reise nach Ma­drid. Ich hatte seit Jah­ren kein Spa­nisch mehr ge­spro­chen und doch würde es nun bald zu mei­ner All­tags­spra­che wer­den. Bei der Iden­ti­täts­bil­dung eines Men­schen spielt Spra­che eine wich­ti­ge Rolle. Ich selbst, so wie ich mich seit Jah­ren kannte, würde mich nun grund­le­gend än­dern.

Ich kram­te in den hin­ters­ten Win­keln mei­nes Ge­dächnt­nis­ses und konn­te tat­säch­lich zwei recht nütz­li­che und häu­fig ver­wend­ba­re Ver­ben aus­gra­ben: 'Tengo que' (Ich muss) und 'puedo' (Ich kann). Auf diese bei­den Grund­pfei­ler stüt­zen sich alle meine Sätze; sie waren so­zu­sa­gen das 'a' und 'o' mei­nes Wort­schat­zes. Ich be­gann eine ware Satz­bau­kunst, al­lein auf ihrer Grund­la­ge. Woll­te ich etwas zu trin­ken sagte ich: 'Ich kann etwas zu trin­ken haben?; woll­te ich je­man­den zu einer Aus­stel­lung ein­la­den sagte ich: 'Ich kann mit dir in die Aus­stel­lung?' Diese Satz­ge­bil­de lie­ßen ins­ge­samt das Bild eines Man­nes mit ge­rin­gem Selbst­be­wusst­sein ent­ste­hen, der sich kon­stant ver­si­chern muss­te, dass seine Hand­lun­gen ak­zep­ta­bel waren. Es wur­den mir mit­lei­di­ge Bli­cke zu­ge­wor­fen, die man sonst eher dem armen Tropf zu­wirft, der ge­ra­de eine schwe­re per­sön­li­che Krise durch­macht.

Zwei See­len woh­nen in mir

Woll­te ich etwas in die Zu­kunft set­zen, so war die Hand­lung immer etwas was ich tun muss. Am Wo­chen­en­de? Oh 'Da muss ich Ten­nis spie­len'. Und spä­ter? 'Ich muss mit einem Freund was trin­ken gehen'. Auf den Ge­sich­tern mei­ner Ge­sprächs­part­ner zeich­ne­te sich kaum ver­hoh­le­ne Be­sorg­nis ab. Wer zwang denn den armen Mann all diese Dinge zu tun? Konn­te er denn nicht selbst über seine Hand­lun­gen ent­schei­den, ohne dass eine nicht ge­nau­er de­fi­nier­te Be­dro­hung ihn zu die­sem straf­fen Zeit­plan zwang? Ich sah mein Spie­gel­bild und er­kann­te trau­rig eine zerfallene, ge­spal­te­ne Per­sön­lich­keit; einen Mann, dem nur zwei Op­tio­nen ge­blie­ben waren: Verb a oder Verb b. Weder a noch b waren be­son­ders at­trak­ti­ve At­tri­bu­te.

Ich brauch­te Ab­wechs­lung - da kamen mir Idio­me ge­ra­de recht. Im Fremd­sprach­un­ter­richt freut sich jeder Leh­rer immer dann be­son­ders, wenn ein Schü­ler eine fest­ste­hen­de Re­de­wen­dung ohne aus­drück­li­che Auf­for­de­rung ver­wen­det. Also etwa: 'den Wald vor lau­ter Bäu­men nicht mehr sehen' oder 'voll ins Schwar­ze tref­fen'. Meine Kol­le­gen und Freun­de wür­den sol­che Aus­drü­cke viel­leicht eben­falls zu schät­zen wissen. Ich lern­te drei, von denen ich dach­te, sie könn­ten leicht auf viele Si­tu­ta­tio­nen pas­sen.

  • 'como perro en bario ajeno' (wie ein Hund in der Frem­de)
  • 'so­brio como una cuba' (nüch­tern wie ein Wein­kel­ler)
  • 'ar­mar­se la gorda' (Kra­wal­le ver­ur­sa­chen).

Die Ge­nia­li­tät die­ser drei Aus­drü­cke, so dach­te ich, läge darin, dass ich sie alle in einer Un­ter­hal­tung in einem wah­ren Feu­er­wek aus um­gangsprach­li­cher Wort­ge­wandt­heit ab­feu­ern könn­te. Ich be­gann diese Aus­drü­cke erst bei­läu­fig in Un­ter­hal­tun­gen fal­len zu las­sen und ern­te­te oft ver­wun­der­te Bli­cke. Das schob ich auf mei­nen star­ken Ak­zent; viel­leicht hat­ten sie mich nicht rich­tig ge­hört. Bis ich es schließ­lich schaff­te, in jeder Un­ter­hal­tung auf Bie­gen und Bre­chen zu­min­dest einen Aus­druck un­ter­zu­brin­gen. Wäh­rend mein Ge­gen­über sprach, ar­bei­te­te ich fie­ber­haft an einer Ant­wort, in der es ent­we­der darum ging Kra­wal­le zu ver­ur­sa­chen oder be­trun­ken zu sein. Gänz­lich un­be­wuss­ter­wei­se er­füll­te ich damit das Kli­schee: eng­li­scher Fuß­ball-Hoo­li­gan. Schlim­mer noch: wie sich spä­ter her­aus­stell­te waren diese Idio­me noch nicht ein­mal wirk­lich Spa­nisch, son­dern süd­ame­ri­ka­nisch. Trotz aller Be­mü­hun­gen steck­te ich in einem Teu­fels­kreis: ich protz­te auch noch mit mei­ner Un­wis­sen­heit und mei­ner Fremd­heit. Wie­der al­lein. 

Ich zog mich in mein Schne­cken­haus zu­rück und ver­such­te diese bösen Geis­ter zu ver­trei­ben. Ob­wohl ruhig sein oft mit Schüch­tern­heit glei­chge­setzt wird, sah ich darin eine Chan­ce.  In mei­ner Mut­ter­spra­che stür­zten sich die Worte oft wie ver­zwei­felt aus mei­nem Mund, als ob sie mir ent­kom­men und in die Frei­heit ent­las­sen wer­den woll­ten, wo sie eine Re­ak­ti­on in der Welt außerhalb pro­vo­zie­ren konn­ten. Meine Zunge ließ sich nicht zü­geln. Auf Spa­nisch konn­te ich meine Stra­te­gie zu­erst über­den­ken. Zuvor ver­schwen­de­te ich leicht­fer­tig viele Worte, jetzt kon­zen­trier­te ich mich auf we­ni­ge, weise Worte. Der Wen­de­punkt kam, wie so oft, auf der Weih­nachts­fei­er der Ar­beit.

Als wir in einem Re­stau­rant zu aben­d a­ßen, wurde ich auf­ge­for­dert ein paar Worte zu sagen. Ich hatte schon ein paar Bier­chen intus, und so stand ich be­trun­ken und un­si­cher vor mei­nen mut­ter­sprach­li­chen Kol­le­gen. Noch konn­te ich meine Zunge in Zaum hal­ten, aber nur gerade so. Doch an­stel­le ein­fach drauf los zu brab­beln, at­me­te ich tief durch und kon­zen­trier­te mich auf jede Aus­sa­ge.

 'Mir geht es gut. Das Essen ist heiß und das Bier um­sonst. Lasst uns fei­ern!'

Zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen eine recht kurze Ansprache, doch eine, die auf viel Be­geis­te­rung stieß. Ich setz­te mich und die unumgängliche Schluß­fol­ge­rung drängte sich mir nun auf: Ein­fach und ge­ra­de­her­aus waren die Schlüs­sel­worter heute Abend.

der Lim­bo­tanz um die Sprach­bar­rie­re

So ent­stand lang­sam ein Per­sön­lich­keits­teil, mit dem ich mich wohl­fühl­te. Eine Mi­schung aus sorg­fäl­tig ge­wähl­ten Wor­ten, län­ge­ren Pau­sen und be­deu­tungs­vol­len, ge­dan­ken­ver­lo­re­nen Bli­cken. Phi­lo­so­phisch und nach­denk­lich: ein Mann der meint, was er sagt und sagt, was er meint.  Oft musste ich Sätze noch nicht ein­mal be­en­den. Ich fing den Satz ganz ein­fach an und wenn der Hö­he­punkt nahte, suchte ich durch Ges­tik und Mimik un­ter­malt nach dem rich­ti­gen Wort, um mei­nen Ge­füh­len Aus­druck zu ver­lei­hen. Ein kon­zen­trier­ter Ge­sichts­aus­druck ließ dabei den Ein­druck eines Man­nes ent­ste­hen, der ge­ra­de eine end­lo­se Liste an Vo­ka­beln durch­sucht. Bevor die Pausen zu lang werden, be­en­dete mein Freund den Satz für mich, oft­mals mit einem mir un­be­kann­ten Wort und einem en­thu­si­as­ti­schen Ge­sichts­aus­druck. 'Genau!' rufe ich dann. Zwei See­len auf glei­cher Wel­len­län­ge.

Sprach­bar­rie­ren kön­nen sich vor einem auf­bau­en, wie eine Lim­bost­an­ge. Eine schein­bar un­über­wind­ba­re Hürde und man steht da, wie ein be­gos­se­ner Pudel, wenn der Ver­such sie zu be­zwin­gen schei­tert. Mit etwas Flexibilität lässt sich diese Bla­ma­ge aber auch ver­mei­den. Meine Spra­che dreht und wendet sich genau wie ein Kör­per sich unter der Lim­bost­an­ge ver­biegt. Nie­mand ruft dabei 'Wie tief schaffst dus' und - nor­ma­ler­wei­se - buht auch nie­mand am Ende des Sat­zes. Beides ruft allerdings eine tiefe Zufriedenheit hervor, die aus der Anpassung entsteht. Mein spa­ni­scher Per­sön­lich­keits­teil ist dem eng­li­schen viel­leicht fremd, aber den se­mant­si­chen Sui­zid zu ver­mei­den und ein neues Selbst zu schaf­fen ist si­cher­lich Teil des An­pas­sungs­pro­zes­ses.

Translated from Forging a sense of self through language