Mannigfaltige Staatsmodelle
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Vom französischen Zentralstaat bis zur Autonomie der spanischen Regionen – unter der Vielzahl europäischer Staatsentwürfe ist für jeden Geschmack ein Modell dabei. Doch die Patentlösung für alle gibt es nicht.
Europa, das politisch zusammenwachsen möchte, ist geprägt durch eine Vielzahl an politischen Modellen. Die Unterschiede sind auf die Geschichte und die Kultur jedes einzelnen Landes zurückzuführen. Ob „kooperativer Föderalismus“ in Deutschland, „konkurrenzfähiger Föderalismus“ in Spanien, Zentralismus in Frankreich und der tschechischen Republik oder der Slowakei. Es sollte nicht darum gehen, ein allgemeingültiges Modell für ein vereintes Europa zu benennen, sondern zu sehen, wie verschiedene Länder Europas ihr politisches Leben organisieren.
Bund- und Länderangelegenheit
Föderalismus in Deutschland hat eine lange Tradition, unterbrochen durch den nationalsozialistischen Einheitsstaat von 1933-1945. Nach dieser dunklen Zeit und ebenso gefordert von den vier Besatzungsmächten war es klar, dass Deutschland in Form eines föderalen Staates neu existieren würde. Das Grundgesetz von 1949 legte dafür die gesetzliche Basis und gewann nach der Wiedervereinigung für Gesamtdeutschland an Gültigkeit.
Deutschland ist durch horizontale und vertikale Gewaltenteilung gekennzeichnet, d.h. dass die legislative, judikative und exekutive Gewalt sowohl in jedem der 16 Länder als auch im Bund ausgeübt wird. Somit ist die Kontrolle der verschiedenen Gewalten erhöht. Den Ländern sind in vielen Bereichen Kompetenzen zugesprochen (z.B. im Bereich der Bildung) und gleichzeitig soll eine Art finanzieller Solidaritätsausgleich zwischen ärmeren und reicheren Ländern zu Gleichheit führen und Konkurrenzkämpfe zwischen den Ländern verhindern. Dieses demokratische Prinzip hat die letzten Jahre, besonders seit der Wiedervereinigung und dem Dazukommen von verschiedenen ärmeren Ländern, zu Kritik der reicheren Länder, wie z.B. Bayern geführt, die sich ungern weiterhin in der Situation der permanenten Ausgleichszahler sehen.
Die einzelnen Länder werden auf Bundesebene im Bundesrat zur Garantie ihrer Interessen vertreten. Die Anzahl ihrer Vertreter variiert je nach Einwohnerzahl des Landes zwischen eins und drei.
„Konkurrenzfähiger Föderalismus“
Spanien ist durch seine starken und sichtbaren kulturellen, ethnischen, nationalen und territorialen Unterschiede charakterisiert. Die regionale Vielfältigkeit, die Rivalitäten der verschiedenen Regionen und die Handhabung der verschiedenen Sprachen sind seit langem auf der politischen Agenda Spaniens. Sein territorialer Pluralismus und die daraus folgende Dezentralisierung ist jedoch nicht das gewollte Ergebnis der spanischen Verfassung von 1978. Die Realität hat jedoch dazu geführt, was manche „kompetitiven Föderalismus“ nennen. Der Ausdruck „Staat aus autonomen Regionen“ wird in der Verfassung nicht erwähnt. Die politische Regionalisierung und die Dezentralisierung des Staates wurden durch bewussten regionalen Wettbewerb und strategisch politisches Verhandeln zwischen den historischen Einheiten (Baskenland, Galizien und Katalonien) und der Regierung erreicht. Dieser Prozess ist fortschreitend, die Regionen verhandeln und erweitern ihren Status und ihre Kompetenzen immer wieder neu. Jede der 17 autonomen Regionen bestimmt ihr eigenes Model sowie die Kompetenzen, über die sie verfügen.
Die politische Situation Spaniens führt nicht nur zu starker Rivalität zwischen den drei historischen Regionen und der Regierung. Es besteht ebenso Rivalität und Wettkampf zwischen den 17 Regionen untereinander. Dazu kommt, dass es wenig Zusammenarbeit zwischen der zentralen Regierung und den Regionalregierungen gibt. Ebenso kann der Senat durch seine schwache Position keine signifikante Repräsentationsfunktion der Regionen auf nationaler Ebene einnehmen. Dies mag vielleicht ein Grund dafür sein, dass vieles bilaterale zwischen der Zentralregierung und einer bestimmten Kommune verhandelt wird.
Für manche ist Spanien eines der wahrscheinlich am meisten dezentralisierten Länder.
Die unteilbare Republik
Das kann man über Frankreich nicht sagen.
Frankreich ist ein zentralistisch regiertes Land par excellence. Aufgeteilt in Départements, Regionen und Kommunen, geht die Entscheidungsmacht hauptsächlich von Paris aus.
Ab 1982 wurden verschiedene Dezentralisierungsreformen beschlossen, doch stehen viele französische Politiker dieser Veränderung eher feindlich gegenüber. Und somit können besonders die Reformen der 80er Jahre eher als eine Verstärkung des zentralistischen Modells auf lokaler Ebene bezeichnet werden.
Der amtierende Ministerpräsident Raffarin wollte ebenfalls die Dezentralisierung Frankreichs verstärken, doch auch er stieß in sämtlichen Kreisen auf starken Widerspruch. Der Hauptkritikpunkt ist, dass die Reformen zu zunehmender Ungleichheit zwischen den Regionen führen.
Mag Frankreichs historisch und kulturell bedingt zentralistischer Staat seit mehr als 20 Jahren auch starke Veränderungen erleben, so sieht die Dezentralisierung ihre Finalität sicher nicht in einem föderalen Staat.
Im Osten nichts neues
Bevor es zur Teilung zwischen der Tschechei und der Slowakei kam, war der Wunsch des slowakischen Teils, die Kompetenzen zwischen der Föderalregierung und den beiden Landesregierungen neu zu bestimmen. Hierbei schlug die slowakische Regierung vor, dass die Landesregierungen zu Lasten der Föderalregierung mehr Kompetenzen erhalten sollten, was von tschechischer Seite nicht besonders unterstützt wurde. Die tschechische Regierung und die Bürger sprachen sich für Zentralismus als Regierungsform aus. Die dadurch entstehende Krise fand keinen wirklichen Kompromiss, und schließlich kam es zur offiziellen Teilung. Beide Länder sind heute zentralistisch geführt. Die einst vorhandene föderalistische Form, wenn auch in kleinem Maße, wurde nicht beibehalten.
Europa ist geprägt durch Zentralismus sowie durch verschiedene Formen des Föderalismus. Ein einheitliches Model zu finden, mag sicher illusorisch sein. Doch vielleicht wächst aus dieser Vielfalt ja vielleicht irgendwann einmal ein „neues“ Model als Alternative.