Lucia Etxebarria: "Die Literatur ist die chauvinistischste aller Künste"
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Judith LaubDie spanische Sex, Drugs and Rock’n Roll-Schriftstellerin und 41-jährige Mutter hat sich den Revoluzzerdrang und die feministischen Ideale ihrer Jugend bis heute bewahrt.
"Sag', warum kommst Du nicht einfach bei mir zu Hause vorbei?." Ich schreibe die Adresse auf, die mir Lucia Etxebarria mit der größten Selbstverständlichkeit diktiert. "Bis in einer halben Stunde dann." Ich bedanke mich, lege auf und mache mich sofort auf den Weg, verlaufe mich in dem Viertel Lavapiés, sehe aber dann in der Ferne den Bahnhof Atocha. Ironie des Städtebaus: als ich das madrilenische Erotik-Museum sehe, weiß ich, dass ich nicht mehr weit von meinem Ziel entfernt bin. Ich klingele, sage meinen Namen, man öffnet. Im Gang sehe ich eine halbgeöffnete Tür, die ich mich nicht traue ganz zu öffnen. Gekreisch eines kleinen Mädchens dringt zu mir herüber und ein kleiner schwarzer Hund springt an mir hoch. Endlich erscheint Lucia. "Möchtest du etwas trinken? Ich habe Wasser oder…Wasser."
Umberto Eco, Mann und Schriftsteller
Ich setze mich im Wohnzimmer auf ein imposantes Sofa, umgeben von Gemälden und Postern, die sorgfältig durcheinander an der gelben Wand hängen. Das kleine Mädchen, das genauso blond wie Lucia braunhaarig ist, springt vom Balkon in ihr Zimmer und von ihrem Zimmer auf den Balkon. "Keine Sorge, sie will nur die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie ist schnell eifersüchtig." Weiß sie, wieso ihre Mutter Interviews gibt? "Nein, ich habe ihr meinen Beruf nicht erklärt. Für sie bin ich eine ganz normale Mutter. Ich hole sie von der Schule ab und lese ihr Geschichten zum Einschlafen vor."
Eine ganz normale Mutter, die ihre literarische Laufbahn mit einer Autobiografie über das legendäre Rockpaar der Neunziger, Kurt Cobain und Courtney Love, begann. Ihr erster Roman Amor, curiosidad, prozac y dudas (1997) - Von Liebe, Neugier, Prozac und Zweifeln - gehört zu den meistverkauften Büchern in Spanien.
Da sie perfekt Französisch spricht, sage ich ihr, dass ihr die Übersetzungen ihrer Bücher überhaupt nicht gerecht werden und frage sie, ob sie sich, wie Umberto Eco, bei den Übersetzungen das Recht auf Änderungen vorbehält. Sie lacht lauthals. "Ich habe keine Zeit. Und wenn ich die Zeit hätte, hätte ich keine Lust. Ich habe andere Dinge zu tun. Mein Leben besteht nicht nur aus meinen Büchern. Siehst Du, der Unterschied zwischen Umberto Eco und mir ist, dass ich über die Wirklichkeit schreibe. Deswegen muss ich mich an ihr reiben." Sie fügt lebhaft hinzu: "Umberto Eco ist zweifellos ein großer Schriftsteller, aber er zieht kein wildes, kleines Mädchen groß. Hast Du den Film Schau mich an von Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri gesehen? Darin kommt ein Schriftsteller vor, der sich nur seiner Kunst widmet. Es ist ein sehr wahrer Film."
Männer, Frauen, Künstler und Modernität
Das ist so und das war immer schon so. Künstler sind Künstler, Künstlerinnen sind Frauen. Die Literatur ist die chauvinistischste aller Künste. Es gibt eine klare Grenze zwischen der "sentimentalen" Literatur und der "männlichen" - wertvolleren - Literatur. Schriftsteller nehmen es mit ihrer Männlichkeit peinlich genau.
Schriftsteller nehmen es mit ihrer Männlichkeit peinlich genau.
Sobald wir mehr Bücher verkaufen als sie, sehen sie uns als eine Bedrohung." Sie beginnt sich sichtlich zu amüsieren: "Meine Bücher verkaufen sich sehr gut und außerdem bin ich nicht auf den Mund gefallen. Und so werde ich als Lesbe abgestempelt oder, in den besten Fällen, als Domina. Frankreich ist bei weitem fortschrittlicher als Spanien."
Nun beginne ich zu lachen und bemerke, dass wohl kein europäisches Land so reaktionär sei, wie meines. "Du sagst das, weil in Spanien homosexuelle Paare heiraten können. Ihr Franzosen seht Lucia Etxebarria und Pedro Almodovar und denkt, Spanien sei ein modernes Land. Zu allererst, wir beide sind bei euch beinahe erfolgreicher als bei uns zu Hause. Und außerdem habt ihr eine sehr gute Regelung in Sachen Elternurlaub." Ich halte dagegen, dass die Reaktion der sozialistischen Partei auf die Kandidatur von Ségolène Royal nicht gerade fortschrittlich war. "Aber es gab wenigstens eine Reaktion. Hier hätte man sie überhaupt nicht ernst genommen und sich nicht einmal die Mühe gemacht, darauf zu reagieren." Aber warum dann in Spanien leben? "Madrid ist nicht Spanien, das weißt du. Und außerdem wählte nicht ich die Stadt, sondern sie mich."
Das Schreiben: ein Broterwerb
Die Literatur ist eine nicht so subversive Kunst und die guten Autoren, die, die wirklich etwas zu sagen haben, werden nicht automatisch veröffentlicht. Sie erklärt mir: "Es liegt daran, dass es viele Förderungen gibt. Und so werden vor allem die gefördert, die die breite Masse lesen möchte."
2004 erhielt Lucia den Planeta-Preis für ihren vorletzten Roman Un milagro en equilibrio, zu Deutsch 'Ein Wunder im Gleichgewicht'. Mit viel Geschick, liebevoll, lustig und poetisch erzählt eine Mutter ihrem Kind von dem Glück es gezeugt, getragen und zur Welt gebracht zu haben.
Ihre Karriere ist das Schreiben: Journalistin, Übersetzerin, Skript-Schreiberin, Jobs in der Werbung. Mit Abstand kann sie darüber lachen. "Es ist nicht einmal die Literatur, die mich am meisten berührt. Musik und Gemälde können mich in einen Zustand versetzen, das kein Buch schafft. Trotzdem lese ich gern. Es ist nur so, dass ich buchstäblich in Trance gerate, wenn ich Musik höre."
Die Autorin zeigt auf bestimmte Bilder in ihrem Wohnzimmer. "Siehst Du, ich bekomme nichts wirklich Gutes mit dem Pinsel hin und ich bin eine grauenhafte Musikerin. Ich kann eben besser Geschichten erzählen. Ich sehe wirklich Geschichten. Sie kommen mir wie Visionen. Die Charaktere sind lebendig und komplett. Ich muss nichts mehr dazu erfinden. Es ist eben so, dass ich beim Schreiben besser von ihnen erzählen kann. Das ist alles. Es war nie mein Traum Schriftstellerin zu werden." Ihr größter Traum? Bekannt genug zu sein, um nicht mehr die eigene Promotion machen zu müssen.
Video (Spanisch): Lucia Etxebarria spricht mit der spanischen Fernsehmoderatorin Marta Robles über ihr Buch 'Lo que los hombres no saben' ('Was Männer nicht wissen')
Translated from Lucia Etxebarria : «La littérature est un art machiste»