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Los, Frauen – nutzt euer erotisches Kapital!

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Jeder Mensch verfügt über ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu erklärte so soziale Unterschiede und Erfolg. Halt, sagt die britische Soziologin Catherine Hakim von der London School of Economics (LSE), da fehlt noch was: Das erotische Kapital. Seit einigen Wochen darf Hakim ihre Ideen dazu in diversen Magazinen und Zeitungen verbreiten.

Die Grundaussage ist schnell zusammengefasst: Frauen, achtet auf euer Äußeres! Schließlich verdienen schöne Menschen 13% mehr als ihre mäßig attraktiven Kollegen und Kolleginnen. Dabei geht es Hakim doch um so viel mehr.

Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist für Catherine Hakim das leuchtende Beispiel einer Frau, die erotisches Kapital gezielt einsetzt. Die gute Nachricht für alle Frauen dieser Welt, die nicht Gisele Bündchen heißen und für alle Männer, deren Nachname nicht Pitt lautet - erotisches Kapital kann man erwerben, es ist nur teilweise angeboren! Hakim unterscheidet sechs verschiedene Elemente des erotischen Kapitals: Schönheit (beauty), sexuelle Anziehungskraft (sexual attractiveness), soziale Fähigkeiten (social skills), Lebhaftigkeit (liveliness), Auftreten in Gesellschaft (social presentation) und Sexualität (sexuality). Generell verfügen Frauen über mehr erotisches Kapital als Männer, denn – hört hört – sie arbeiten härter daran! So weit, so gut. Dumm nur, dass Frauen dieses Kapital im Beruf kaum einsetzen. Und wer ist Schuld? Die Antwort Hakims, selbsttitulierte Feministin, lautet: Männer und Frauen. Genauer gesagt: Die patriarchale Gesellschaft und der Feminismus.

BH statt Köpfchen

In Interviews geht Catherine Hakim kaum darauf ein, in ihrem Artikel 'Erotic Capital', erschienen 2010 in der European Sociological Review, führt sie ihre Argumentation umso deutlicher aus: „Da Frauen generell über mehr erotisches Kapital verfügen als Männer, leugnen Männer seine Existenz oder dass es einen Wert besitzt. Und sie haben Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass Frauen nicht auf legitime Art und Weise ihren relativen Vorteil nutzen können.“ Das Patriarchat, so Hakim, hindere Frauen daran, ihr erotisches Kapital zu nutzen. Man könnte auch sagen: Frauen wird ein schlechtes Gewissen eingeredet, wenn sie es tun. Solche Frauen gelten als dumm – Warum sonst würden sie ihr erotisches Kapital nutzen wenn nicht, um intellektuelle Mängel und fehlendes Fachwissen zu kaschieren? Nichts im Kopf, aber im BH. Erotisches Kapital kann also zum Nachteil werden.

Diese männliche Perspektive findet sich laut Catherine Hakim auch in den Sozialwissenschaften: „Das erotische Kapital wurde übersehen, weil hauptsächlich Frauen es besitzen und die Sozialwissenschaften haben Frauen generell übersehen und sich auf männliche Aktivitäten, Werte und Interessen fokussiert.“ Hakim nennt das „patriarchale Voreingenommenheit.“

Sind erfolgreiche Business-Frauen die Nymphen von heute

Aber, und das ist das eigentlich Interessante an Hakims Konzept: Die Frauen sind ja selbst Schuld! Anstatt sich von der patriarchalen Perspektive zu lösen, haben feministische Theorien, so sieht es Hakim, die moralischen Einsprüche gegen die Nutzung erotischen Kapitals sogar verstärkt. Das lässt sich auf eine falsche Dichotomie zurückführen: Aus feministischer Sicht wird eine Frau entweder aufgrund ihres menschlichen Kapitals (Ausbildung und Köpfchen) oder ihres erotischen Kapitals (Aussehen) gewertet. Beides zusammen funktioniert nicht. Zwar schwächt Hakim ihre Kritik ein wenig ab (der feministische Diskurs sei schließlich vielfältig und ändere sich ständig), reduziert 'den' Feminismus letztendlich jedoch auf eine schlichte Maxime – Frauen sind per se Opfer männlicher Unterdrückung. Die Sex-Keule muss ebenfalls ran: Heterosexualität sei vielen Feministinnen suspekt, schließlich würde man so „Im Bett mit dem Feind“ landen. Deswegen würde sich die feministische Sozialwissenschaft auch der Einsicht verweigern, dass ein attraktives Äußeres und Sexualität Machtvorzüge (power assets) seien, die Frauen vis-à-vis Männern einsetzen könnten.

Unterwegs in die falsche Richtung

Catherine Hakims Aufsatz wirft viele interessante Fragen auf – und geht dabei doch in die falsche Richtung. Es ist wichtig, sich zu fragen, ob Frauen an der geschlechtsspezifischen Lohnungleichheit – der Bruttostundenlohn von Männer liegt EU-weit 17% über dem der Frauen – tatsächlich eine Teilschuld tragen. In einem Interview mit Focus Online sagt Hakim: „Häufig bewerben sie [Frauen; A.d.R.] sich nicht auf Jobs, lassen Männern bei Beförderungen freiwillig den Vortritt. Sie wollen nicht bis abends spät im Büro sitzen, sondern legen mehr Wert auf Familie als Männer, dafür weniger auf beruflichen Erfolg.“ Ob der Einsatz von erotischem Kapital die Lösung ist, bleibt fraglich. Begrüßenswert ist vor allem Hakims Versuch, aus ihrem Konzept des erotischen Kapitals eine sozialwissenschaftliche Theorie zu machen, die weibliche Perspektiven aufwertet. Letztendlich verheddert sie sich jedoch in einer recht platten und undifferenzierten Feminismus-Kritik. Die Lösung für die Überwindung des Patriarchats scheint für Catherine Hakim ganz einfach: Erotisches Kapital nutzen und ab ins Bett mit dem Feind.

Illustrationen: Homepage: Beauty Is An Ugly Business (cc)candinski/flickr; Video: (cc)euronews/YouTube;Nymphen (cc)Gandalf's Gallery/flickr