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London: Proteste gegen Maggie Thatchers Prunk-Beerdigung

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Kim Winkler

Politik

„What a waste of money!“ Was für eine Geldverschwendung: Zehn Millionen Pfund für „die Hex“! Gestern wurde die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher offiziell in London beerdigt – das Ausmaß der Zeremonie ging vielen Briten zuweit, die ihrer Wut mit lauthalsen Demonstration Luft machten.

Bevor sich mehr als zweitausend Gäste in der voll besetzten St. Paul’s Cathedral in London von Großbritanniens erster weiblichen Premierministerin verabschieden, wird der Sarg der Baronin auf Trauerprozession durch die Londoner Innenstadt gefahren. Am Wegesrand haben sich nicht nur ihre treuen Anhänger aufgestellt. Wenige Gehminuten von der Kathedrale, am Ludgate Circus, hat sich eine Gruppe versammelt, die ihrem Unmut über den prunkvollen Abschied von „Thatcher, Milksnatcher“, der Milchdiebin, Luft macht.

Ein Grund für den Protest ist neben Thatchers Unbeliebtheit auch der Umfang der Trauerfeier. Es sei nicht nur unverständlich um die zehn Millionen Pfund für ein Begräbnis auszugeben - die genaue Höhe der Kosten soll erst im Nachhinein bekannt gegeben werden. Zudem finde die Beerdigung nahezu zeitgleich mit der Einführung neuer Sparmaßnahmen statt. „Es gibt nichts Heuchlerischeres!“ empört sich der Musiker Phil Passera aus London. Auch der 19-jährige David hat dafür kein Verständnis: „Steuerzahler sollen für dieses Begräbnis zahlen, wenn ihnen gleichzeitig erzählt wird, dass es kein Geld für Sozialleistungen und Krankenhäuser gibt.“

Der Philosophie-Student des Londoner King’s College mischt sich mit einem Stapel der Zeitung The Socialist unter die Demonstranten, als auch schon die erste Musikkapelle am Ludgate Circus vorbeizieht. Gefolgt wird sie von berittenen Grenadier Guards, den roten Soldaten mit den schwarzen buschigen Helmen, die man normalerweise vor dem Buckingham Palace sieht. Auf der gegenüberliegenden Seite werden sie von einer Gruppe Militärs bejubelt, von dieser Seite wir ihnen nur „buh“ und „Waste of money“ zugerufen.

Zum Tod von Margaret Thatcher: Europaskepsis einer Eisernen Lady

David teilt die Meinung derjenigen, die sich hier versammelt haben, um Thatcher die kalte Schulter zu zeigen. Er ist heute gekommen, um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass es sich nicht um eine nationale Trauerfeier handele: „Die Hälfte des Landes hat sie gehasst.“ Ein junger Mann aus Nordirland, der seinen Namen nicht nennen möchte, ist auch der Ansicht, dass man sich dagegen auflehnen müsse so zu tun, als trauere das ganze Land um den Verlust der ehemaligen Premierministerin.

Kein Grund zu feiern

Thatcher war eine Soziopathin!

„Die Königin der Privatisierung verdient keine staatliche oder vom Staat bezahlte Beerdigung“, meint der Mann aus Ulster. Er spielt damit darauf an, dass Thatcher viele staatliche Industrien, wie etwa den Energiesektor, privatisiert und den Sozialstaat abgebaut hat. „Es gibt nichts Positives, das man über sie sagen kann.“ Diejenigen, die das tun, seien entweder blind oder wollen die Wahrheit nicht sehen. „Sie war eine Soziopathin. Es gibt keinen Grund zu feiern“, findet er.

Plötzlich kommt ein Aufschrei von rechts: „Schmore in der Hölle!“ Eine Frau in rotem Mantel durchkreuzt wütend die Menge. „Wacht auf! Diese Frau ist schuld, dass wir keine Mittel für unsere Kinder haben. Ich liebe mein Land, deshalb bin ich hier, um gegen diese Frau und die Geldverschwendung für dieses Spektakel zu protestieren!“

Die Zeremonie, für die sogar Big Ben zum Schweigen gebracht wurde, ist zwar offiziell kein Staatsbegräbnis. Eine Trauerfeier in diesem Ausmaß hat es zum letzten Mal aber nur für Prinzessin Diana und die Mutter der Queen gegeben. „Normalerweise ist eine solche Zeremonie nur für Mitglieder der königlichen Familie oder Kriegsführer vorgesehen. Dies ist Hochglanzpropaganda für die konservative Partei“, so Jones.

Mit dieser Massenveranstaltung, so die Demonstranten, werde vertuscht, dass Großbritannien in Bezug auf Thatchers Politik und deren Vermächtnis gespalten ist. „Sie war schon während ihrer Regierungszeit umstrittener als je ein anderer Regierungschef in diesem Land. Unglaublich viele Menschen haben ihre Politik gehasst und unter ihr gelitten“, sagt Jones. Auch David protestiert gegen die dominierenden Bilder einer „nationalen Trauer um eine großartige Staatschefin: „Als ihr Tod die Runde machte, fanden Straßenpartys im gesamten Land statt.“

Rückgrat zeigen?

Um diese Stimmung aufzugreifen, dies aber in geregelten Bahnen verlaufen zu lassen, haben sich Rebecca Lush Blum und Hilary Jones daher zusammengetan und auf Facebook zu der friedlichen Protestaktion 'Turn your back on Thatcher' aufgerufen, Thatchers Sarg während der Prozession den Rücken zuzudrehen. „Let’s be calm, peaceful and dignified“, lautet deren Parole. Friedlich und würdig ging es im Großen und Ganzen schon zu, allzu ruhig jedoch nicht. Als die nächste Marschkapelle vorbeizieht, werden die Rufe schon lauter: „Maggie, Maggie, Maggie - dead, dead, dead!“ Auch andere Sprechchöre ziehen durch die Menge wie Laola-Wellen im Fußballstadion.

Jones und Lush Blum kennen sich noch aus den Achtzigern, als sie sich gemeinsam für Umweltschutz und gegen Thatchers Straßenbaupläne engagiert hatten. Ihre radikalen Zeiten als Aktivisten haben sie jedoch nun hinter sich gelassen. Wegen Kind und Familie haben sie sich diesmal eine Erlaubnis zum Protest von der Polizei eingeholt, um zu vermeiden, nicht festgenommen oder stundenlang eingekesselt zu werden. Der Protest sei aber notwendig, die Konsequenzen von Thatchers Politik seien bis heute zu spüren: „Warum wir heute von der Rezession betroffen sind? Weil Thatcher damals die Banken reguliert hat, die daraufhin außer Kontrolle geraten sind. Heute wie damals dürfen die Steuerzahler die Suppe auslöffeln.“ 

Etwas abseits der grölenden Menge steht Jill, 60, mit ihrer Tochter Kelly. Jill fiel die Entscheidung schwer. Aber letztendlich waren es ihr die dreißig Pfund wert, die sie die Anreise gekostet hat. Sie sei es ihrer Familie schuldig. „Thatcher hat uns so viel genommen,unsere Jobs, aber auch Selbstrespekt und Würde. Diese Menschen [Konservativen] haben nicht an die Arbeiterklasse gedacht, an die Bergarbeiter, die Stahlarbeiter, die Schiffsbauer. Sie waren der erste Schritt zur Abschaffung öffentlicher Dienste zum Nutzen der Allgemeinheit“, sagt sie sichtlich berührt. Jill, die wie ihr Mann durch Thatchers Regierung ihren Job bei einer Londoner Behörde verloren hat, steigen Tränen in die Augen. Auf die Frage hin, ob sie der Prozession auch den Rücken drehen werde, antwortet sie: „Das werde ich ganz sicher tun. Als ich von ihrem Tod erfahren habe, hat sich solche Erleichterung in mir breit gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass eine böse, grausame Frau diese Welt verlassen hat. Mir ist nicht nach Feiern zumute, aber hier zu sein, ist auf jeden Fall besser als mir diese gezwungene Trauer zuhause im Fernsehen anzusehen.“

Nachdem der Leichnam der Eisernen Lady bereits St. Paul’s Cathedral erreicht und sich die Menge etwas gelockert hat, drängt sich die Masse plötzlich um zwei ältere Herren, die sich lautstark streiten. Sie scheinen zu keinem Konsens zu kommen und so reißt sich einer von ihnen wutentbrannt los. Er heißt Dennis Pyne und ist verärgert über den Protest. „Alles Marxisten! Kommunisten!“ ruft er den Reportern zu, für die er ein gefundenes Fressen ist, und führt weiter aus: „Ihr gebt ihr auch an allem Schuld! 90 Prozent aller Briten finden, dass sie eine außergewöhnliche Premierministerin und eine großartige Staatsfrau war.“ Der 68-jährige Chauffeur im Ruhestand ist sich der Aufmerksamkeit, die er auf sich zieht, sichtlich bewusst und legt nochmal nach: „Die ganze Aufregung wegen zehn Millionen Pfund. Wir geben neun Milliarden für Auslandshilfe aus, da sind zehn Millionen doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich finde jedenfalls, dass sie eine großartige Staatsfrau war“, sagt er zum Abschluss und geht davon. Damit ist die Protestaktion auch am Ende. Und nach und nach wird aus dem roten Protestmeer wieder grauer Asphalt.

Illustrationen: Fotos und Video ©Kim Winkler für cafebabel.com

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