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Literatur und Erotik: “Eros spannt immer noch seinen Bogen”

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Brüssel

Von Maria Moreno Übersetzt von Sebastian Seiffert Das Motto der diesjährigen Brüsseler Buchmesse lautete "Sex, books & Rock’n’Roll“. Eine Verbindung zwischen erotischer Literatur und der Rockkultur ist tatsächlich leicht ersichtlich. Schon seit dem Altertum hat Erotik einen Beigeschmack von Aufbegehren und Befreiung.

Heute hält die Literatur unserer Gesellschaft einen Spiegel vor – und die hat ihre Aufregungsstandards geändert.

Das Programm der Buchmesse nahm die Beziehung zwischen Rock und Literatur ins Blickfeld, um sich dem "Kampf gegen Tabus“ zu widmen und „die Welt und die in ihr wichtigen Werte zu hinterfragen“. Eine gute Gelegenheit also, die erotische Tradition in der Literatur Revue passieren zu lassen. Was ist aus diesem enfant terrible geworden, hat es noch immer sein ausschweifendes Wesen?

In den Bücherbergen der Messe erinnerte ein Theaterstück von Jean-Claude Idée zu Ovids Liebeskunst an die erste literarische Zensur der Geschichte. Eine Debatte über den Marquis de Sade konnte dessen angebliche Monstrosität relativieren. So wurde deutlich, dass seine Philosophie im Boudoir zunächst eine wütende Abrechnung mit überkommenen Wertvorstellungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts war. Das Werk zeigt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den religiösen, politischen und moralischen Fragen seiner Zeit, die über einfache Lust an sündiger Ausschweifung hinausreicht.

Ein anderer einschlägiger Autor der erotischen Literatur fehlte auf der Messe – Casanova. Wenn auch in seinen Erfahrungen weniger extrem als de Sade, teilte er mit diesem die Befreiung von Regeln und Beziehungen, die sich aus sexueller Lust ergeben. Vielleicht passt seine ungetrübte Sinnenfreude einfach nicht so gut in die Gegenwart, in der eher körperliche Ernüchterung und Enttäuschung als chic gelten. Als Botschafter der Aufklärung ist Casanova sicher die personifizierte Antithese einer tragischen Existenz.

Die entweihten Boudoirs

Der Zeitgeist war jedenfalls auf der Messe durch Annäherungen zwischen Lust und Selbstzerstörung gut vertreten. Geheimnisse, die die Vorstellungskraft anregen und der Erotik damit gut tun, scheinen im kruden Bildersturm keine Chance mehr zu haben. Nach Catherine Millet und in der Tradition von Virginie Despente verkörpert nunmehr Lydia Lunch den Aufstieg eines bissigen, gar brutalen "Feminismus“. An der Grenze zur Pornographie strotzen diese Romane von blutrünstigen Szenen und sind sprachlich gleichermaßen obszön wie flach.

Und doch geht es mehr um Provokation als um Subversion. "Sex sells“ – das gilt wohl auch und immer noch in der Literatur. Haben wir es hier mit reinem Marketing zu tun, mit einer Strategie des „Edelporno“, der schockieren will, um umso besser ein Massenpublikum zu erreichen? Indem anstelle des „drugs“ ein „books“ im Motto der diesjährigen Brüsseler Buchmesse auftauchte, konnte man selbiges durchaus als Aufruf zum Konsum verstehen.

Die Allgegenwärtigkeit des Sexuellen in der heutigen Gesellschaft bewirkt, dass man auch noch im scheinbar am wenigsten dazu einladenden Buch eine Sexszene entdeckt. Und im Grunde stört es uns eine solche Entdeckung auch nicht. Dennoch – in diesem allgemeinen großen Sexpalaver gibt es immer noch Autoren wie Caroline Lamarche, für die Erotik eine zarte Kunstform bleibt. In einer ent-erotisierten Welt sind witzigerweise gerade diejenigen Konformisten, die am meisten Lärm machen.