Liebe grenzenlos – Das Europa(ar) der Zukunft
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Seit die EU ihrem studentischen Nachwuchs Erasmus schenkte, verlieben sich immer mehr junge Europäer im Ausland. Doch wenn jeder in sein Heimatland zurückkehrt, weicht die Euphorie schnell den alltäglichen Problemen. Drei Paare erzählen.
Eine bessere Gelegenheit, eine große schlanke Blondine anzusprechen, hätte Guillaume sich kaum wünschen können: Henrike hatte für ein halbes Jahr das Dachzimmer im Haus seiner Mutter gemietet, sie war gerade erst in Frankreich angekommen. Guillaume fasste sich ein Herz, auch wenn dies aufdringlich laut pochte, und schlug der hübschen deutschen Austauschstudentin vor, sie morgen auf ihrem ersten Weg in die Uni von Tours zu begleiten. Nach wenigen Wochen waren sie ein Paar.
Zungenbrecher und nackt baden
Die ersten zarten Worte der Liebe blieben kryptisch. „Man kann schließlich nicht nach Vokabeln fragen, wenn der andere gerade eine Liebeserklärung macht. Erklären lassen sich Gefühle sowieso nicht“, lächelt die 23-jährige Henrike. Es dauerte, bis Henrike ihrem Liebsten die einwandfreie Aussprache des deutschen Zungenbrecher-Kosenamens „Schätzchen“ eintrichtern konnte. Den Kampf mit der deutschen Sprache hat Guillaume trotzdem aufgenommen, auch wenn dem Hobby-Gitarristen manchmal noch „Schlaubsauger“ statt „Schlagzeuger“ rausrutscht.
Kulturelle Unterschiede spüren die beiden allerorten und Henrike musste einige Fettnäpfchen durchwaten, bevor sie die französischen Höflichkeitsformen verstand. Sie lernte, „nicht immer gleich zur Sache kommen zu wollen, sondern etwa im Restaurant auch mal länger auf die Bestellung warten zu können“, erzählt sie. Guillaume hingegen irritierte die Vorstellung, dass seine Freundin schon mal mit Freundinnen nackt in die Dresdner Seen hüpfte. „Ich musste ihn erst an die FKK-Strände bei Berlin schleppen, damit er das versteht. Jetzt ist er sogar ein heimlicher Verfechter des Nacktbadens geworden“, erzählt sie kichernd.
Zwischen Stehlampe und Fikus
Auch bei Rachel und Lucas hatte alles wunderbar angefangen: Als Erasmusstudenten lernten sich die sanfte Rachel aus einem Vorort von Paris und Lukas aus Prag 2002 in einem Café in Leipzig kennen. Während ihres Studiums in Paris hat Rachel mehrmals die Woche abends gejobbt, schlief am nächsten Morgen fast ein in der Vorlesung, damit sie alle zwei Monate zu Lucas nach Prag fahren konnte. Lucas tat dasselbe. Auf den langen Fahrten mit der Mitfahrzentrale erlebten sie die wildesten Geschichten. „Einmal bin ich mit einem Deutschen mitgefahren, der seinen gesamten Umzug im Kofferraum hatte. Von Prag wollte der nach Spanien. Ich war 12 Stunden zwischen seiner Stehlampe und dem Fikus eingeklemmt“, erinnert sich Rachel lachend.
Aber seit Rachel ihren Abschluss gemacht hat, sieht alles anders aus. Gerne würde sie forschen, über französische Literatur des Mittelalters oder über politische Theorie. Aber an der Karlsuniversität findet sie als ausländische Anfängerin keine Stelle, allein schon wegen ihrer schwachen Tschechisch-Kenntnisse. Aber genau die Prager Universität bietet für Lucas die besten Aussichten, eine Doktorandenstelle hat er schon in der Tasche. Doch Rachel will beruflich nicht den Kürzeren ziehen: „Warum müssen immer die Frauen hinterher reisen? Wozu hab ich denn studiert, wenn ich nachher nicht arbeiten gehen kann?“
Beide sehnen sich die Leichtigkeit ihrer Erasmus-Tage zurück. Aber irgendwann muss man Entscheidungen treffen, die das Leben wesentlich verändern. „Man kann nicht immer nur träumen“, seufzt Rachel.
Clash mit der Schwiegermutter
Ein europäischeres Paar als Liv und Kostas kann man sich gar nicht vorstellen: Die Deutsche und der Grieche haben sich im englischen Bath kennen gelernt, wo sie sich auf ihren Euromaster vorbereiteten. Im Oktober 2004 haben sie geheiratet. Dass sie Englisch miteinander reden, ist für die beiden überhaupt kein Problem. „Es hat sogar Vorteile: Man wählt die Worte viel genauer. In seiner Muttersprache würde man vielleicht einfach plappern. Es geht eher darum, was sich hinter der Sprache verbirgt“, sagt Liv.
Für die Familie in Griechenland war es eine Schande, dass ihr Sohn ein uneheliches Kind gezeugt hatte. Am liebsten wäre es Kostas Mutter gewesen, wenn sie noch vor der Geburt geheiratet hätten. Immer wieder kommt es zu clashes mit der Mutter, deren einnehmendes Wesen Liv befremdet: „Die grabscht sich meinen Sohn, dass ich mir fast wie die baby-sitterin vorkomme.“ Bei der Namensgebung legten Liv und Kostas Wert darauf, dass alle Seiten den Namen aussprechen konnten. Die griechische Tradition verlangt aber, dass das Kind den Namen des Großvaters bekommt. Den fand Liv aber schrecklich. Jetzt heißt der Kleine Gabriel Nikolaos. Liv ärgert sich, denn in Griechenland nennen sie ihn sowieso nur Niko. „Da hätte ich vielleicht sensibler sein müssen“, gesteht sie. Trotzdem freut sie sich auf die spannende Zukunft, die auf die junge Familie wartet. Egal wo, egal in welcher Kultur.