Lenin lebt!
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Helene SindlWährend der Anti-Regierungsproteste im Dezember 2013 stürzten Demonstranten die Leninstatue in Kiew und griffen sie mit Hämmern an. In Charkiw schlugen Protestierende vor durch die Umbenennung der Leninstraße in „Lennonstraße“ Lenin vergessen zu machen. Doch obwohl sein Herz vor neunzig Jahren zu schlagen aufhörte, ist Lenin noch immer in Russland präsent.
In Russland ist Lenin überall. Der Persönlichkeitskult Lenins lebt in Russland unter Putin weiter. Sein Erbe lebt weiter für den Fortschritt des Staates und zum Opfer der bürgerlichen Freiheit. Er lebt weiter in riesigen detailgetreuen Repliken auf fast jedem Stadtplatz, in einem Straßennamen in jeder Stadt, in Geschenkeläden in jeder Straße. Er lebt auch in einer Kiste vor dem Kreml. Zusammengeflickt und vielleicht inzwischen eher Wachs als Fleisch, zeugen die endlosen Reparaturen an seiner Leiche von Russlands Weigerung, Lenin sterben zu lassen.
Vor siebzig Jahren machte sich Lenins Leiche während des Zweiten Weltkriegs in der Transsibirischen Eisenbahn auf den Weg. Er war auf der Flucht vor jenen Deutschen, die ihm 1917 in der Hoffnung er würde Russlands Kriegsbemühungen mit einer Revolution zerstreuen, sicheres Geleit nach Russland gaben. Während er im Ersten Weltkrieg also der deutschen Sache diente, verbrachte er den Zweiten Weltkrieg damit sich vor ihnen in der Landwirtschaftlichen Akademie in Tjumen zu verstecken.
In Sibirien ist Lenin allgegenwärtig
Je weiter man östlich nach Sibirien reist, desto größer und allgegenwärtiger wird Lenin. Die entlegensten, verfallensten Siedlungen, nicht asphaltiert und nur mit einer Handvoll Häusern, besitzen dennoch eine nach Lenin benannte Straße. „Leninstraße“ ist an zusammengebrochenen Holzhütten in Burjatien und an gewagt gestapelten Backsteinhaufen in der Nähe des Baikal angenagelt zu sehen.
Ulan-Ude, der Hauptstadt von Burjatien, die gleich neben dem Baikalsee liegt, prahlt mit dem größten Leninschädel der Welt. Anscheinend wurde der Kopf dort als eine Bestrafung für die burjatische Gegenwehr gegen die Bolschewiki platziert.
Doch wie groß auch immer eine Nachbildung von Lenins Schädel sein mag, keine von ihnen vermag dem Maß an Einfluss gerecht zu werden, den Lenin auf unsere Welt hatte. Es ist schwer sich vorzustellen wie sie aussehen würde, wenn Lenin nicht die bolschewistische Revolution angeführt hätte. Kein Jahrhundert geprägt vom Kommunismus. Kein Sieg über Nazi-Deutschland. Kein halbes Jahrhundert bestimmt vom kommunistisch-kapitalistischen Kalten Krieg.
Obwohl niemand die brutalen Realitäten der Sowjetunion vermisst, scheinen manche sich nach dem ideologischen Glanz zu sehnen. Präsident Putin selbst erklärte den Zusammenbruch der Sowjetunion zur „größten geopolitischen Tragödie“ des zwanzigsten Jahrhunderts. Gelegentlich vermissen es die Leute etwas zu haben, an das sie glauben können. Das menschliche Gedächtnis ist selektiv und wir haben die eindrucksvolle Fähigkeit das Positive hervorzuheben und vergangene Probleme zu verdrängen.
„Was zur Hölle ist das?"
In einer Bank in Jekaterinburg wurde ich Zeuge einer dramatischen Zurschaustellung dieser Nostalgie. Ein Mann tänzelte in einem glitzernden silbernen Anzug herum. Die Nähte waren gesäumt von falschen Diamanten und seine Krawatte war übersät mit Pailletten. In seiner Montur strahlte er prachtvoll alles andere als Klasse aus. Er stolzierte wie ein Pfau aus dem Weltraumzeitalter umher.
Er nahm ein Mikrophon, ein Fotograf rückte an und der Pfau zog mit einer überschwänglichen Geste einen Lostopf unter einem Laken hervor. Er kündigte den belustigten Kunden, drei mürrischen, alten Damen in schäbigen Mänteln (und mir), die großartige Tombola an. In melodramatischem Tonfall erklärte er die Tombola für alle Kunden mit einem Kredit von über 500 000 Rubel (ungefähr 11000€) zugänglich. So viel hatte mit Sicherheit keiner der Anwesenden. Der Pfau fuhr damit fort herumzustolzieren und diese prächtige Tombola zu erklären, an der niemand teilnehmen konnte. Die drei alten Damen wurden zunehmend verstimmter. Sie knurrten und zerrten empört an ihren abgetragenen Mänteln. Schließlich explodierte eine von ihnen mit revolutionärer Leidenschaft: „In der Sowjetunion konnte jeder an der Tombola teilnehmen! Jeder! 500000 Rubel ... Was zur Hölle ist das! SSSHUGAR!“
Es ist leicht zu erkennen, warum sie über diesen glänzenden Pfau verärgert waren. Ihr Unmut angesichts der Ausgrenzung von der Tombola, findet sich in großen Teilen der Bevölkerung wieder, die das Gefühl haben, nicht teilnehmen zu können. Um zum ewigen Lenin zurückzukehren; dieser sagte schon 1917: „Die Unterdrückten dürfen alle paar Jahre entscheiden, welche Repräsentanten der unterdrückenden Klasse sie im Parlament repräsentieren und unterdrücken.“
Translated from Lenin's Legacy- Ukraine, Russia, Siberia