Legida in Leipzig: Running-Gag Lügenpresse
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Zum zweiten Mal demonstrierte das islamfeindliche Bündnis Legida, der Pegida-Ableger in Leipzig, am vergangenen Mittwoch. Wer sind die Demonstranten zwischen „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“-Rufen? Ein „Annäherungsversuch“ an die Abendspaziergänger.
Wartend wärmen sich Journalisten in einem Café direkt neben dem Augustusplatz auf. Kalt ist es seit ein paar Tagen. Noch letzte Woche ging ein Wind durch Leipzig, man hätte ihn als Metapher sehen können – nur ein Gesprächsthema herrschte tagelang in der Stadt vor: die Anschläge auf das französische Satireblatt Charlie Hebdo und die erste Legida-Demonstration. Jetzt ist es nur noch sehr kalt. Noch zwei Stunden bis zur zweiten Versammlung von Legida. Im Café sitzt man im gläsern überdachten Hinterhof, wo Tische aufgereiht sind: Rentner bei Himbeerkuchen, Familien mit Kinderwagen und an zwei Nachbartischen spricht man Arabisch. Ein schönes Miteinander, meint man.
Nachdem 1. die Montagsdemo in Dresden am 19. Januar wegen Terrorwarnung abgesagt wurde, 2. Pegida-Gründer Lutz Bachmann und Kathrin Oertel am Montag erstmals mit der „Lügenpresse“ sprachen, 3. Bachmann am Mittwochmorgen als Vereinsvorsitzender zurückgetreten war (auf Facebook entdeckte man frühere hetzerische Posts und ein Bild von ihm mit Hitlerbart) und 4. kurzzeitig die Falschmeldung kursierte, die Route des Leipziger „Abendspaziergangs“ wäre verändert worden, weiß man nicht so recht, was einen am Mittwochabend erwarten soll.
Schon morgens waren die ersten Polizeiwagen angerückt – 4000 Mann sollen es heute Abend sein. Rund um den Augustusplatz stehen die Fahrzeuge nun dicht an dicht. Um 17 Uhr ist der Platz selbst noch fast leer, wie in einer Burg ohne Aussicht fühlt sich das an. Die Gegendemonstranten jedoch sind längst angekommen. Ohne Presseausweis kommt keiner mehr durch die Blockade aus Gegendemonstranten und Polizei zu Legida. Außer, er sagt ausdrücklich, er wolle zur Demonstration. Eine Polizistin meint: „Aber wir schauen da schon, wer ins Bild passt.“ Was die Auswahlkriterien sind, sagt sie nicht.
Asylanten, Wäscheklau und und und
Viele passen natürlich ins Bild, das man noch letzte Woche von der #NoLegida-Seite der Blockade vor Augen hatte. Ein Mann in beiger Anglerjacke beispielsweise, der anderthalb Stunden vor Beginn bereits auf dem Platz steht. Er tritt von Fuß zu Fuß und verlangt bei einer Interviewanfrage erst einmal den Presseausweis, denn: „Wir haben es hier ganz massiv mit Lügenpresse zu tun.“ Wie er nach kurzem Blick auf das Papier davon ausgehen kann, dass es sich hierbei um keine dieser handelt, ist schwer auszumachen. Überhaupt wirkt er eher froh, endlich mal zu Wort kommen zu dürfen.
Er redet schnell, fast denkt man, er hätte sich vorbereitet: „Folgendes. Ich bin 48er Jahrgang und DDR-Bürger. 1989 bin ich auf die Straße gegangen, gegen Honecker und Co. Heute bin ich wegen vielem hier: Bei uns, am Rand von Leipzig, in Paunsdorf, wir werden schon betitelt als Ghetto, entsteht ein Asylantenheim nach dem anderen. Die Kriminalität ist ziemlich hoch: Wäscheklau und und und. Rumänen, Bulgaren, Russen gibt’s bei uns jede Menge.“ Islamisierung? „Na gut, hin oder her, es werden immer mehr.“ Danach folgt ein wirrer Aufklärungsversuch über türkische Gastarbeiter.
Deutschland ist scheiße, ihr seid die Beweise
Ein Mann mit alternativem Kleidungsstil passt nicht in dieses Bild. Eher könnte man sich ihn in einem der vielen autonomen Hausprojekte in Leipzig vorstellen. Er ist 31 Jahre alt, Musiker und Künstler. Wieso er hier sei? Er sehe, wie sich sein Land mit Parallelgesellschaften verliere. Er spricht vorsichtig. „Gleiches gesinnt sich ja immer zu Gleichem. Die Asiaten sind hier für sich, die Türken haben ihre Shishabar, sind dort für sich, jeder hat seine Grüppchen. Das ist auch in Ordnung, aber das führt eben zu Parallelgesellschaften. Ich weiß nicht, ob der Mensch die Reife zu einem Miteinander hat, ich fürchte nicht. Man sieht das ja: das führt zu Bürgerkrieg, wir müssen diese maßlose Einwanderung kontrollieren, sonst führt das zu Chaos.“
Er unterbricht sich, als die Gegendemonstranten „Haut ab“ im Chor schreien und buhen. Er habe Angst vor „dieser Offenheit, dieser Toleranz“, die sei für ihn geheuchelt. Vielleicht ist das ein einziger Punkt, den man versuchen könnte zu verstehen: Da ist eine Masse, die schreit: „Deutschland ist scheiße, ihr seid die Beweise!“, da ist eine Masse, die mit Gewalt versucht, die Blockade zu sprengen – das macht sicher vielen echte Angst. Und doch: man neigt hier zu Schwarz und Weiß-Malerei, denn herrscht nicht die polemische Logik einer Demonstration und der Gegenveranstaltung?
Das Miteinander, das man letzte Woche auf der anderen Seite erleben konnte, nämlich schnell ausgetauschte Freundlichkeiten und Handschuhteilen mit dem Nächsten, dieses Miteinander kann man auch hier sehen. Da lacht man zusammen in der Schlange vor dem Kartoffelsuppenstand – eine Art Kesselmaschine, Uralt-Look – da tauscht man kollegial derbe Witze aus, in der Schlange vor den drei angemieteten Dixieklos: „Was die Frauen aber auch immer so lange brauchen auf Toilette.“ Ironische Töne von einem Dickbäuchigen mit Bierflasche in der Hand: „Wie schade, sie haben in der Oper und im Gewandhaus die Lichter ausgeschaltet. So weit ist es mit dem Stromsparen schon gekommen.“ Auch der Running-Gag der „Lügenpresse“ geht natürlich immer.
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