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Le 77: Das abgedrehte Bawler-Trio aus Belgien auf dem Weg nach oben

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90er-Jahre-Brille als Markenzeichen, völlig abgedrehte Musikvideos: Cafébabel hat das verrückte belgische Rap-Trio Le 77 an Bord eines spontan zum Studio umfunktionierten Busses interviewt. Félix alias Félé Flingue (MC), Morgan (Beatmaker) und Peet (MC) haben uns die Geheimnisse einer tiefenentspannten Band und ihres Bawler-Raps anvertraut.

Dour Festival 2019, Belgien. Pünktlich zum Interview am Freitag durchbrechen warme Sonnenstrahlen den zuvor mit dunklen Gewitterwolken verhangenen Himmel. Zum Feiern trägt jeder seinen sorgfältig ausgewählten Festivallook. Ganz oben im Survival-Kit des Festivalbesuchers liegt die Sonnenbrille griffbereit. Die Rede ist nicht von einer einzigen, sondern von einem ganzen Koffer voller Sonnenbrillen, den Le 77 am dritten Festivaltag auf die Hauptbühne „The Last Arena“ schleppt. Anlässlich ihres dritten Albums „ULTIM“, das sie am 21. Juni herausgebracht haben, wollen sie beim Publikum Eindruck machen.

77 – eine Zahl mit zwei möglichen Bezeichnungen: Soll es wie in Belgien septante-sept oder wie in Frankreich soixante-dix-sept heißen?

Peet: Es heißt septante-sept und es wird immer septante-sept heißen, aber wir nennen uns „Le Sept-Sept“.

Warum dieser Name?

Morgan: Das ist die Nummer des Hauses, in dem alles angefangen hat. Zuerst waren wir Freunde, irgendwann wollten wir dann zusammenleben, weil wir uns einfach gut verstanden haben, und deshalb sind wir in ein Haus in Laeken (ein Brüsseler Stadtviertel, Anm. der Üb.) gezogen, eben mit der Hausnummer 77. Als wir dann angefangen haben, zusammen Musik zu machen, haben wir einen Bandnamen gesucht und ... wir dachten an Kobras, Panther, lodernde Feuer ... aber das war irgendwie nicht das Richtige. Alles viel zu kompliziert. Dann dachten wir uns, Nummer 77, das passt!

Wer macht was in der Band?

Morgan: Also Félix rappt vor allem. Ansonsten setzt er sich auch gerne mit seiner Meinung durch. Wir akzeptieren das, ich würde sogar sagen, dass wir das brauchen. Félix ist, was das Image angeht, extrem wichtig. Ich bin nur für die Beats zuständig. Und Ryan (Manager) hat wie wir ein Wörtchen mitzureden beim Songwriting, beim Image ... also bei allem, was das Künstlerische betrifft. Entscheidungen fällen wir zusammen und wir versuchen immer auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

Félé Flingue: Was ich hier noch hinzufügen würde: Morgan ist das Herzstück der Band und auch von uns allen hier. Er ist der Grundpfeiler; durch ihn haben wir uns alle kennengelernt. Er ist auf jeden Fall der Kitt, der uns zusammenhält. Und die WG, gibt es die noch?

Félé Flingue: Na ja, nachdem wir drei Jahre zusammengewohnt hatten, lief unser Mietvertrag aus und wir haben entschieden, umzuziehen, da wir die Bude schon gut zerstört haben. (Lachen) Die Kaution haben wir jedenfalls nicht wiedergekriegt. Das war der Hammer, es gibt haufenweise Geschichten, die man über diese WG erzählen kann. Man könnte wahrscheinlich sogar einen Film daraus machen. Aber nach einer gewissen Zeit tut es auch gut, wenn jeder sich und sein Leben wieder neu ordnen kann. Damals wollten wir alle nur Spaß haben, aber irgendwann reicht das halt nicht mehr. Aber es war so eine geile Zeit!

Und ihr hattet eine Katze?

Félé Flingue: Wir hatten sogar mehrere.

Morgan: Und zwei Fische, eine Schildkröte, ein Kaninchen …

Félé Flingue: Sie sind alle in die Staaten gegangen, sie haben uns für das Business sitzen lassen.

Morgan: Sie sind schneller durchgestartet als wir.

Félé Flingue: Sie sind jetzt im Showbiz, arbeiten in Hollywood und so. Und es gab nicht mal eine Nachricht, so „Hey, alles cool hier, ihr fehlt uns“. Nichts. Was für Wichser.

Morgan: Peet sieht unseren einen Kater, der uns abgehauen ist, oft in der Stadt. Er will nicht mal herkommen. Mit seinem verdammten „Miauuu“ sagt er uns quasi „Fickt euch“.

Félé Flingue: Er ist immer von super vielen Frauen umgeben und so …

Peet: Ehrlich gesagt wär’s mir lieber, wenn wir über was anderes reden, das ist ein echt sensibles Thema.

Morgan: Ja, hast recht. Man muss ja nicht noch zusätzlich Salz in die Wunde streuen.

In euren Songs ist oft die Rede von Bawlern. Was bedeutet das?

Félé Flingue: Die Definition von diesem ominösen Bawler: Das ist jemand, der sein Leben komplett selbst in die Hand nimmt, der das wird, was er will, und vor allem auch zu sich selbst steht. Und das erkennt man dann sofort daran, wie andere einen sehen. Jemand, der eine eher ausgefallene Sportart wie Curling betreibt, wäre für mich ein gutes Beispiel für einen Bawler. So eine Sportart, die nur wenige Leute betreiben. Aber das ist ihm egal, er ist mit vollem Einsatz dabei und erfolgreich. Das gilt für alle, egal, was sie machen. Es geht darum, dazu voll und ganz zu stehen, was tief in dir steckt, und was daraus zu machen. Was Großes und Schönes.

„Wenn du das, was du liebst, mit vollem Einsatz machst und man das in deiner Musik spürt, dann bist du ein Bawler“

Und was ist das Rezept für einen guten Bawler-Song?

Morgan: Das Rezept für einen guten Bawler-Song ist, dass Herz mit drinsteckt. (Lachen)

Peet: Na ja, ich denke, dass wir halt eindeutig unseren eigenen Stil haben. Der ergibt sich aus dem, was wir drei ausstrahlen, und ich glaube, dass niemand anderes genau unsere Musik machen könnte. Da steckt Seele mit drin, weißt du?

Félé Flingue: Und das kann auf jeden zutreffen, denn Bawler zu sein bedeutet für uns, dass du machst, was du liebst. Wenn du also Lust hast, zu Orchestermusik zu rappen oder Musik mit egal welchem Instrument zu machen, do it.

Peet: Wenn du das, was du liebst, mit vollem Einsatz machst und man das in deiner Musik spürt, dann bist du ein Bawler. Wenn du aber Musik machen willst, die es so oder so ähnlich schon gibt, ist das wieder was anderes.

Wie wird eure Musik beeinflusst?

Peet: Mich inspirieren ganz unterschiedliche Musikrichtungen und selten nur einzelne Personen. Ich wollte immer vieles, das mich inspiriert hat, auf einmal einfließen lassen. Das kann von Aretha Franklin bis Michael Jackson gehen. Von Bob Marley bis Nas, Hocus Pocus, Brooke Hampton, Schoolboy Q etc. Je nachdem, wie man drauf ist, lässt sich diese Frage anders beantworten. Dann sagst du dir: „Mann, ich hätte vielleicht lieber das und das sagen sollen.“ Was dich beeinflusst, was du hörst, ändert sich sehr schnell. Bei mir ist das so, phasenweise.

Was eure Musikvideos angeht, die sind ja vollkommen abgedreht. Produktion und Performance scheinen für euch Ehrensache zu sein. Ist das Visuelle genauso wichtig wie eure musikalische Identität?

Félé Flingue: Ja, total. Ein Beispiel dafür wäre „Lady Bawler“. Ursprünglich wollten wir zu diesem Song gar kein Musikvideo drehen. Aber in dem Fall bringen die Visuals echt was, so ist der Song bekannt geworden. Im Visuellen liegt außerdem eine Herausforderung, denn für uns sind solche Videodrehs momentan budgettechnisch ziemlich schwer umzusetzen. Doch wir haben das Glück, tolle Leute aus vielen verschiedenen Bereichen um uns zu haben. Ich glaube, unser Image zeichnet sich auch enorm dadurch aus: Freundschaft, Kontakte, unsere Musik und unsere Fantasie. Mit all diesen Leuten können wir halt ziemlich krasse Sachen machen. Unsere Videos entstehen immer aus unseren Ideen. Weil der Aufwand dafür aber so riesig ist, wenden wir uns an Regisseure, die diese Ideen dementsprechend weiterentwickeln und ausarbeiten, bevor wir uns ranmachen. Doch das wird alles im Budget berücksichtigt. Der belgische Rap löst heutzutage in Frankreich eine Menge Begeisterung aus.

Was haltet ihr davon?

Félé Flingue: Wir sind stolz, ja sogar echt stolz!

Peet: Wir treten zurzeit sogar öfter in Frankreich als in Belgien auf.

Félé Flingue: Anfangs haben wir nur Belgier mit unserer Musik erreicht und irgendwann sind wir auch in Frankreich bekannter geworden und haben nun überall Fans. Ja, also wenn du Videoclips hochlädst, sind sie im Internet für alle sichtbar und gehen viral oder eben nicht. Eine Zeit lang haben wir uns so sehr ins Zeug gelegt, dass wir auf unseren Frankreich-Tourneen sogar Minus gemacht haben. Wir haben zwar ein neues Publikum gewonnen, dafür aber viel Geld verloren.

Peet: Der Typ, der uns in Frankreich managt, glaubt fest an uns und organisiert dort ständig und überall unsere Auftritte. Es ist ja nicht so, als würden sich alle Franzosen für uns interessieren. Der geht dann direkt auf die Leute zu und sagt dann so Sachen wie: „Ey, Leute, lasst die Jungs mal auf eurer Bühne rappen und guckt euch an, was die so machen.“ In Frankreich hat man an uns geglaubt. Und wir haben das Glück, überall in Frankreich auftreten zu dürfen und so vor einem immer wechselnden Publikum alles zu geben. Die Leute feiern’s oder eben nicht. Und die meisten finden’s toll. Und wir sind megahappy.

Apropos Publikum, wie sieht’s damit aus?

Morgan: Es ist ein treues Publikum!

Félé Flingue: Die sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie wir.

Peet: Die tragen Sonnenbrillen und machen die Rockhand. (Geste)

Morgan: Die sind halt Bawler. Jetzt wo du weißt, was ein Bawler ist … unser ganzes Publikum besteht aus Bawlern.

Und was bedeutet das Publikum auf dem Dour Festival für euch? Ihr rappt da ja jetzt schon das dritte Mal infolge…

Félé Flingue: Durch die Unterstützung unseres Publikums konnten wir immer coolere Sachen machen. Lefto war derjenige, der uns unseren ersten Auftritt auf dem Dour Festival verschafft hat. Er sorgt immer für ein Lineup mit lokalen Künstlern. Nach und nach konnten wir uns bewähren und auch das Interesse der Veranstalter wecken, so dass wir heute auf der Hauptbühne stehen. Es ist auch einfach schön zu sehen, dass es für uns immer weiter bergauf ging. Wir haben wirklich was Tolles erreicht.

Morgan: Man gibt uns die Hauptbühne, so nach dem Motto: „Okay, ihr wart schon zwei Jahre infolge hier. Aber dieses Jahr bekommt ihr die Hauptbühne.“ Das ist auch ein Zeichen von Unterstützung. Vom allerersten Auftritt an haben sie uns auf größeren Bühnen auftreten lassen. Sie haben immer an uns geglaubt. Schon die Bühne in unserem ersten Festivaljahr (2017) war die größte, die wir jemals betreten haben. Das ist echt voll verrückt, wenn die Fans vor der Bühne alle so dicht an dicht stehen. Und in diesem Jahr auf der Main stage hatte ich das Gefühl, vor wirklich VIELEN Leuten zu stehen. Und wenn man die Leute dann so richtig mitrappen hört, das ist halt echt, wow … also einfach ultrageil, wie unsere Fans unsere Songtexte gegrölt haben.

Peet: Und das Beste daran: Alle waren Bawler! (Lachen)


Übersetzt von Peter Ahrens, Beatrice Berner, Guéric Cardet, Julia Dettling, Carolin Goldhofer, Nadia Labiedh, Geneviève-Emmanuelle Litte, Antonia Lührmann und Alex Zentgraf (Master Übersetzungswissenschaft - IÜD Heidelberg).

Story by

Célia Péris

Mon aventure Cafebabel a commencé en 2018 et depuis lors on ne s'est plus quittés. Tant sur les événements que sur le papier, contributrice et coordinatrice, je me donne pour mission de dorloter la communauté babélienne.

Translated from Le 77 : maison du bonheur et rap de bawler