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Kurvendiskussion in Europa: Mode ohne Magermodels

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Gesellschaft

Niemand wolle runde Frauen sehen, so Modezar Karl Lagerfeld, vehementer Verteidiger der Size Zero-Models. Während europaweit Kleidergrößen in der Modebranche diskutiert werden, dreht das deutsche Frauenmagazin Brigitte mit seiner Initiative Ohne Models den Spieß einfach um und steckt neuerdings seine Leserinnen in Haute Couture.

Es könnte ein ganz normales Fotoshooting sein: Eine junge Frau zupft ein letztes Mal an ihrem Kleid, bevor sie sich in Pose wirft. Um sie herum ein Heer von mit Pinseln und Papiertüchern bewaffneten Stylisten, die mit Argusaugen über die Perfektion von Haut und Haar wachen. Diese Szene mag sich tausende Male pro Tag abspielen, schließlich muss unsere modehungrige Welt immer wieder aufs Neue mit schönen Gesichtern versorgt werden.

Januar 2010Doch es gibt einen feinen Unterschied: Die Frau vor der Kamera ist kein Model, sondern eine 29-jährige Filmagentin aus Stockholm, ganz ohne Modelerfahrung und -maße. Trotzdem wird sie von der nächsten Ausgabe der Brigitte, dem auflagenstärksten deutschen Frauenmagazin, lächeln. Denn seit Januar 2010 treten im Rahmen der Initiative Ohne Models in den von Brigitte produzierten Modestrecken keine professionellen Models, sondern nur noch Leserinnen in Erscheinung.

„Echte“ Frauen mit Persönlichkeit gegen abgemagerte Kleiderständer

Der Trend weg vom professionellen Model und hin zur normalen Frau ist zwar nicht neu, doch wurde er bislang nicht mit einer vergleichbaren Konsequenz zum redaktionellen Programm erklärt. Es mag vor allem der Anblick rundlicher Schönheiten, die 2005 für Dove Body Lotion warben, gewesen sein, der den Stein ins Rollen brachteDie europäische Werbebranche kämpft zunehmend gegen Size Zero. Die No-Anorexia-Kampagne des italienischen Modelabels No-li-ta, für die der berühmt berüchtigte Fotograf Oliviero Toscani 2007 das an Magersucht leidende französische Model Isabelle Caro ablichtete, tat ihr übriges. Es folgten ein Verbot von Size Zero-Models erst auf spanischen, dann auf weiteren europäischen Fashion Weeks: Die harsche Kritik von Alexandra Shulman, der Chefredakteurin der britischen Vogue, an ihrer eigenen Branche und die Debatte über die Unnatürlichkeit unseres Frauenbildes war in vollem Gange.

Doch während viele Chefredaktionen den Trend zu alternativen Schönheitsidealen erkannt haben, sind konkrete Initiativen meist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwar lässt die französische Elle das amerikanische Übergroßen-Model Tara Lynn von ihrer Märzausgabe lächeln, doch das 30-seitige Spezial zum Thema Rundlichkeit wird in guter alter Manier von Modestrecken mit unterernährten Bikinimodels flankiert. Auch deshalb hebt sich die deutsche Brigitte durch ihren Vorstoß von anderen Modemagazinen ab, da sie ihre gesamte Modestreckenproduktion dauerhaft auf Leserinnenmodels umgestellt hat.

Besonders die Erkenntnis, dass austauschbare Models ohne Persönlichkeit die Produktion von authentischen Modestrecken unmöglich machen, hat die Chefredaktion der Brigitte 2009 zum Umdenken bewegt: „Hinter dem Beruf des Models steckt ja die Idee, die Frauen nicht selbst zu zeigen, sondern einen Platzhalter - ein Modell gewissermaßen. Das empfinden viele Frauen inzwischen als überholt, zumal die Schönheitsideale, wie sie auch von der Modelbranche geprägt werden, stark umstritten sind“, betont Brigitte Huber, Chefredakteurin der Frauenzeitschrift. Denn während manch ein Designer weiterhin nur für Size Zero-Models schneidere, habe sich die Modewelt durch den zunehmenden Einfluss von Schauspielerinnen und der Bewegung des Street Style deutlich verändert. Die Leserinnen-Models fungieren daher gerade nicht als anonyme Kleiderständer: „Die Frauen, die in der Brigitte Mode und Beautythemen zeigen, treten mit ihrer eigenen Identität und Persönlichkeit in Erscheinung.“

Natürlich birgt die Arbeit mit Nicht-Models für die Brigitte auch Probleme. Eine Leserinnen-Modestrecke verlangt einen erhöhten zeitlichen und organisatorischen Aufwand und auch das richtige Posieren will gelernt sein: „Ein Model ist es gewohnt, in schwierigen Posen bei widrigen Temperaturen mit einem Dauerlächeln auszuharren, während eine normale Frau nach eineinhalb Stunden sagt: ‚Ich will jetzt eine Pause machen.’ Aber es funktioniert und das sogar verblüffend gut.“ Das Produkt scheint nicht nur die Redaktion, sondern auch die Leserinnen der Brigitte zu überzeugen. Nicht umsonst haben sich in den letzten Monaten 30.000 Frauen aus der ganzen Welt auf brigitte.de für ein Shooting beworben. Auch in den Medien stößt die Initiative Ohne Models auf positive Resonanz. Nur in Italien und Frankreich, den Mutterländern der Mode, scheint der deutsche Vorstoß nicht recht wahrgenommen zu werden.

Trotzdem keine Übergrößen

Warum sehen dann aber die Leserinnen, die die Mode in der Brigitte präsentieren, trotzdem wie echte Models aus? Auch deshalb wird die Initiative häufig als halbherzig kritisiert. Brigitte Huber bemüht sich, diesen Vorwurf zu entkräften: „Brigitte zeigt Frauen jeden Alters und unterschiedlicher Figur, wird aber sicher kein Magazin für Übergrößen werden und auf dem Titel auch eher keine Frau über Mitte 30 abbilden. Wir inszenieren unsere Frauen mit Hilfe der besten Stylisten und Fotografen wie zuvor unsere Models, warum sollen sie darauf nicht den gleichen Anspruch haben wie unsere Profis?“ Und spätestens seit der Stars sans fard-Ausgabe der Elle im April 2009, für die Peter Lindbergh unter anderem Sophie Marceau und Eva Herzigova ungekämmt und ungeschminkt in Szene setzte, weiß ja nun wirklich jeder, dass auch an scheinbar perfekten Gesichtern mit Make-up und Photoshop noch so einiges verbessert werden kann. Wenn die Leserinnen also alle wie professionelle Models aussehen, dann illustrierten die neuen Modestrecken, so Brigitte Huber, vor allem eine altbekannte Wahrheit: „Mit dem richtigen Licht, dem richtigen Make-up, den richtigen Kleidern und dem richtigen Fotografen kann man aus jeder Frau eine hinreißende Schönheit machen.“

Fotos: Love Mag Cover ©Love Magazine; Brigitte Cover ©brigitte.de; ©Janine/flickr; Video ©Brigitte.de/Youtube