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Kurdistan: Schein oder Revolution?

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Neue Gesetze sollen die Rechte der kurdischen Minderheit garantieren. Doch wie ist die Lage jenseits öffentlicher Erklärungen wirklich?

Vor fünf Jahren wurde Abdullah Öcalan nach einer langen Irrfahrt durch Europa mit Hilfe ausländischer Geheimdienste unter dramatischen Umständen in die Türkei entführt. Die Verhaftung des politischen Führers der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) bedeutete eine historische Wende in dem blutigen Konflikt, der seit 1984 die Türkei destabilisierte. Überraschend rief er seine Partei zum Gewaltverzicht auf, woraufhin die PKK einen einseitigen Waffenstillstand erklärte und ihre Truppen in den Nordirak zurückzog. Bis auf wenige Zwischenfälle ist es seitdem ruhig geworden im Südosten der Türkei und die Kurdenfrage ist aus dem Blickfeld der europäischen Öffentlichkeit verschwunden. Doch wie erklärt sich diese Ruhe und wie stabil ist die Lage tatsächlich?

Atatürk und die Armee

Die Ursachen des Bürgerkriegs berühren zwei Grundpfeiler der Türkischen Republik: Das kemalistische Staatsverständnis und die Rolle der Streitkräfte in der Politik. Staatsgründer Mustafa Kemal erklärte, das türkische Staatsvolk sei eins und unteilbar, leugnete die Existenz der kurdischen Sprache, Kultur und Identität und stellte jede gegenteilige Behauptung als Separatismus unter Strafe. Die Kurdenfrage war nicht zu leugnen, doch wurde sie mit der Unterentwicklung der entlegenen Bergregionen erklärt und war folglich ein wirtschaftliches und nicht ein kulturelles Problem.

Die Armee sah sich als Hüter der Verfassung und beanspruchte das Recht, die Politik zu kontrollieren und notfalls regulierend einzugreifen. Über den Nationalen Sicherheitsrat, eine von der Armee dominierte Schattenregierung ohne jede demokratische Legitimation, herrschte sie während des Krieges uneingeschränkt über die Kurdengebiete. Während die gewaltsame Assimilation der Kurden sich zwingend aus der Fiktion des einen und ungeteilten Volkes ergab, diente der Krieg, die führende Position der Armee zu rechtfertigen. Eine Lösung hing daher direkt mit einer Abkehr vom kemalistischen Staatsverständnis und der Zurückdrängung der Armee aus der Politik zusammen.

Unter dem Druck der EU hat sich viel getan, insbesondere unter der pro-europäischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Sie hat im öffentlichen Rundfunk und Fernsehen mehrere Stunden pro Woche für kurdische Sendungen reserviert und Kurdischunterricht erlaubt. Damit hat sie erstmals die Existenz der kurdischen Sprache anerkannt. Ein weiteres zentrales Projekt der Regierung ist die Beschneidung der Macht des Nationalen Sicherheitsrates. Noch wehrt er sich, doch scheint die Armee langsam zu akzeptieren, dass sie keine Rolle in der Politik zu spielen hat.

Politische Gefangene

Doch ist damit die Kurdenfrage keineswegs gelöst. Noch immer können Tausende Flüchtlinge nicht in ihre Dörfer zurückkehren, da ihr Land von staatstreuen Dorfmilizen illegal besetzt ist. Noch immer kommt es in den kurdischen Gebieten zu Übergriffen der Sicherheitskräfte, da der Politikwechsel in Ankara nicht bis in die Polizeiwachen durchgedrungen ist. Noch immer bleiben Leyla Zana und die anderen drei kurdischen Abgeordnete, die 1994 inhaftiert wurden, hinter Gittern. Noch immer wird Kurdisch nicht an der Schule unterrichtet, lediglich in der Freizeit darf man auf eigene Kosten die Sprache lernen. Und auch die Zulassung des Kurdischen in den Medien kann nicht über die Diskriminierung kurdischer Journalisten, Intellektuellen und Politiker hinwegtäuschen.

Die Regierung Tayyip Erdogans hat den rechtlichen Rahmen für ein friedliches Miteinander der beiden Volksgruppen gelegt, doch verharren Polizisten, Offiziere und Richter vielfach in den überkommenen Denkweisen. Zwar existieren nun erstmals Gesetze, welche die Existenz der Minderheit anerkennen und ihr gewisse grundlegende Rechte zugestehen, doch bleiben diese Gesetze leere Worte, solange die Vertreter des Staates nicht nach ihnen handeln. Die Regierung in Ankara muss nun dafür sorgen, sie überall im Land zu implementieren und ihre Einhaltung zu überwachen.

Kein Vertrauen in Europa

Die EU spielt dabei eine wesentliche Rolle. Lange hat sie beide Augen zugedrückt und die massiven Menschenrechtsverletzungen aus Rücksicht auf ihren Nato-Partner übersehen. Die Intervention der Nato zugunsten der Kosovoalbaner rief eine gewisse Bitterkeit unter den Kurden hervor, da sie nicht zu Unrecht darin einen doppelten Standard sahen, beanspruchte die Nato doch, aus humanitären Gründen eingegriffen zu haben. EU und Nato haben viel Vertrauen bei den Kurden verloren. Umso konsequenter muss die EU nun darauf drängen, dass die Gesetze in die Tat umgesetzt werden. Denn mag der Widerstand der Kurden zum Teil mit Armut und Unterentwicklung zu erklären sein, dauerhafter Frieden wird erst herrschen, wenn Ankara ihre kulturellen und politischen Rechte vollends respektiert.