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"Kunstraub" oder der letzte Tag des Tacheles

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Gesellschaft

R.I.P.: Das Tacheles, das seit 22 Jahren berühmteste besetzte Haus der deutschen Hauptstadt, wurde kürzlich geräumt. Ist das alte Berlin der Mauer nun endgültig verschwunden? Fest steht, dass 80 Künstler ihre Werke woanders unterbringen müssen, unter ihnen auch Alexander Rodin.

Und dass die Proteste der Zivilgesellschaft, die dank Social Network und der Unterstützung der Medien auch andere europäische Länder angesteckt haben, die Ankunft der Schaufelbagger nicht verhindern konnten.

Es ist tatsächlich das Ende für eines der berühmtesten Gebäude Berlins und für die 80 Künstler unterschiedlichster Nationalität, die darin Zuflucht gefunden hatten. Am 4. September 2012 hat die HSH Nordbank, unter strenger Polizeikontrolle und der Anwesenheit weiterer Beamter, die offizielle Räumung des Tacheles in der Oranienburgerstraße durchgesetzt: Das bedeutete das Aus für das alternative Kunsthaus, dem letzten Zeugen Berlins zur Mauerzeit. Im Jahr 1990 war es, da besetzten einige Berliner Künstler das Gebäude, um dessen Abriss zu verhindern. Seine Zukunft sicherten sie unter Berufung auf den Denkmalschutz, der dem Haus seinen historischen Wert bescheinigen sollte.

Die Sprengung des Hauses konnte im letzten Moment nur dank einer Abmahnung des damaligen Kommunalausschusses verhindert werden. Im Jahr 1992 überstand der Kunstverein eine Inspektion und erhielt eine Bestätigung über die Sicherheit des Gebäudes und seinen statisch einwandfreien Zustand von den auf Seiten der Behörden beauftragten Ingenieuren. So konnten unter der künstlerischen Leitung von Jochen Sandig die ersten Tacheles-Künstler, Maler, Bildhauer, Theatergruppen und unterschiedliche Orchester auftreten. Unter ihnen waren etwa das Orphtheater, Henry Arnold, Regine Chopinot, Rike Heckermann, Lars-Ole Walburg, Sasha Waltz, Christopher Winkler und neuerdings auch die Musiker des Deutschen Symphonieorchesters Berlin.

Die Bank will die nun leer stehende Ruine plus Grundstück, zusammen etwa 25.000 Quadratmeter, verkaufen. Martin Reiter, der Sprecher der Künstlergemeinde, beschreibt den letzten Tag des Tacheles folgendermaßen: „Wenn etwas zu Ende ist, ist es zu Ende - und dann ist es nötig, das anzuerkennen. Wir sind bereit zu akzeptieren, dass das Haus geräumt werden muss. Ich bleibe jedoch bei dem Gedanken, dass es sich hier um einen echten Kunstraub handelt, und zwar mit Billigung der Polizei.“ Eine Äußerung im Sinne des Ortsnamens: „Tacheles“ kommt nämlich von jiddisch „Klartext reden“.

R.I.P. Tacheles

Die örtlichen Behörden hatten sich zunächst versichert, dass das Gebäude tatsächlich leer steht und dann jeden Eingang versiegelt. Damit bleiben die Ruinen des Kunsthauses zum ersten Mal in Stille zurück. „Wir haben lange gekämpft, in letzter Zeit leider vergeblich. Jetzt müssen auch wir der Logik des Profits weichen“, bekräftigt Linda Cerna, Chefin des Vereins Tacheles e.V. Vierzig Künstler setzten ihre Arbeit in den Werkstätten des Hauses bis zum letzten Tag fort – trotz des Drucks der Anwälte und Investoren. Die von allen Seiten hagelnden Proteste, die Mobilisierung und die Anteilnahme anderer Künstler und der Stadtbevölkerung, die Demonstrationen - nichts hat schlussendlich geholfen. Nicht einmal die jährlich registrierten Besucherzahlen im Tacheles: 500.000 an der Zahl. Der Gerichtsvollzieher, eskortiert von der Polizei, stieß auf keinerlei Widerstand und das Gebäude konnte schlussendlich friedlich geräumt werden.

Nicht einmal die Behörden für Denkmalschutz funkten im Namen des historischen Kulturerbes des Gebäudes dazwischen. Das Haus wurde 1904 erbaut, es überlebte zwei Weltkriege, den Nationalsozialismus, die DDR und die Mauer und wurde so zum Symbol der Befreiung der Stadt und der deutschen Wiedervereinigung: Jetzt soll es ohne Rücksicht darauf niedergerissen werden, zugunsten irgendeines Hotels oder Luxuseinkaufszentrums. Die Künstler und der Tacheles-Verein hatten vergebens um einen regulären Mietvertrag gebeten.

Ungereimtheiten

Hunderte von Touristen, die jeden Tag das Tacheles besuchten, bevölkerten nach der Besichtigung die zahlreichen Geschäfte und touristischen Betriebe im Umkreis. Warum dachte man nicht an eine geregelte Aktivität des Kunsthauses, zugunsten der Bewahrung seines einzigartigen historischen Wertes für die Stadt? Auch in Berlin regiert mittlerweile der Profit. Als gebe es auch für Gebäude von historischem oder kulturellem Wert mittlerweile eine Art Adelstitel. Man muss sich nur die Millioneninvestitionen für die Renovierung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Ku’Damm ansehen. Der Glockenturm war baufällig, sicher, aber er war auch ein farbechtes Zeugnis der Zerstörungen durch die Bombardements des Zweiten Weltkrieges.

Auch die Gelder, die geflossen sind, damit sich die Läden und Lokale im Tacheles eine neue Bleibe suchten, sollten nicht vergessen werden. Die bekannte Bar, das Kino und der Nachtclub des Tacheles waren bei der Berliner Jugend fest etabliert und trugen auf ihre Art zur Erhaltung des Gebäudes und dem Fortbestand der Bewegung bei. Zudem wurde ordentlich Druck auf die zahlreichen, im Tacheles beherbergten Künstler gemacht, denen keine greifbaren finanziellen Mittel für eine angemessene rechtliche Vertretung zur Verfügung standen. Und dann ist da natürlich noch Alexander Rodin, eines der bekanntesten Gesichter des Hauses, der im Dezember 2011 von zwanzig Bodyguards aus seinem Atelier im fünften Stock geworfen wurde.

So verbleiben, zumindest im Moment, nur die schweigenden Ruinen des finsteren Gebäudes mit den bepinselten Wänden. Es ist das Ende einer Legende, aber der Anfang eines Mythos, der für die Zukunft bewahrt werden muss, zwischen all den Trugbildern der Stadt in stetigem und hektischem Wandel. Der Verein Tacheles e.V. wird von Berlin Mitte in das etwas außerhalb liegende, aber nicht weniger sprudelnde Viertel Neukölln umziehen. Es bleibt keine andere Wahl als die neuen Verhältnisse zu akzeptieren, wenn möglich mit einem Lächeln. Auch das ist Berlin.

Illustrationen: Im Text (cc)corscrj/flickr

Translated from Chiusura del Tacheles: "Un furto d'arte sotto gli occhi della polizia"