Künstler, Krach und Revoluzzer: Was vom Protest in Griechenland bleibt
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“We are not anti-system, the system is anti-us.” Das ist nur einer der vielen Slogans, die auf den Transparenten rund um den Syntagma Platz im Herzen Athens prangen. Omnipräsent ist dabei das Wort ochi: Nein! Nein zur Regierung, nein zum finanziellen und politischen System, nein zum Verrat an der Demokratie. Die so genannte 'Volksversammlung von Syntagma' hatte sich am 10.
Juli sogar noch an den Bürgermeister der Stadt gewandt, um auf ihr Versammlungsrecht zu pochen. Doch besonders viel Stimmung will aber trotzdem nicht mehr aufkommen, denn die meisten Demonstranten sind mittlerweile in die Ferien auf die griechischen Inseln gefahren. Junge Griechen lassen bei Luft ab.
cafebabel.com
“Demokratie ist wie Rock: ein Lebensstil. Der Geist der Demokratie ist zu unserem Lebensstil geworden. Man muss den anderen respektieren, abwarten, zuhören und verstehen, um etwas zu verändern. Wir wollen eine Bewegung wie in der Antike gründen und die Demokratie erneuern. Sie ist hier geboren worden, deswegen müssen wir Griechen sie auch wieder neu erfinden.“
Vassilis, Werbespotproduzent
“Dieses Land funktioniert einfach nicht, weder die Politik noch der Staat. Das liegt daran, dass es kein Programm gibt. In diesem Land wird nicht nach Plan gearbeitet. Die Menschen denken immer nur ans Heute, sie denken nie an morgen. Griechenland ist wunderschön als Ort, aber nicht als Land.“
Anonym, Kunstlehrer
“Wir sind alle politisch engagiert, das ist klar. Aber wir fühlen uns nicht von den großen politischen Parteien vertreten, weder von Pasok noch von den Neuen Demokraten. Wen repräsentieren die schon? Nur die 25% der Bevölkerung, die überhaupt wählen gegangen sind. Aber diese Krise ist kein politisches, sondern ein wirtschaftliches Problem. Deswegen geben wir auch nicht der EU die Schuld. Wir sind für die EU, aber die Krise halst uns wirklich eine Menge Ärger auf! Griechenland ist eine Wirtschaftsdiktatur und nichts anderes. Deswegen werden wir hier bleiben und gegen das System protestieren. Wir haben gerade erst angefangen...“
Maria, arbeitslos
“Ich bin hier, weil ich nichts zu verlieren habe. Ich bin Künstler, aber ich habe nicht die Mittel, um das zu schaffen, was ich will. Deswegen habe ich ein neues politisches System erfunden, Ecoarchie. Es geht dabei vor allem um Solidarität, um Fürsorge für die anderen. Alles ist kostenlos – Wasser, Essen, Strom, Wohnungen. Es gibt keine Zigaretten, keinen Alkohol, keine Umweltverschmutzung und jeder muss vegan leben. Es ist ein ökologisches System, das sicherstellt, dass Künstler alles das haben, was sie brauchen, um kreativ zu sein. Ecoarchie basiert auf der antiken griechischen Idee von der Polis. Man könnte sagen, dass die Weisheit zwar in Griechenland geboren worden, aber nicht dort geblieben ist.“
Zeus, Künstler
„Ich arbeite als Freiwillige für Free Gaza. Wir sind schon ganz am Anfang der Proteste gekommen, am 25. Mai. Zuerst haben wir sogar hier geschlafen! Unser Ziel ist es, das politische System zu attackieren. Ich fühle mich nicht von ihm vertreten und wähle noch nicht mal die Grünen, sondern noch kleinere Parteien, die mir „echter“ vorkommen. Dieses Gebäude [das griechische Parlament oberhalb des Syntagma Platzes] bedeutet mittlerweile gar nichts mehr.“
Calliope, arbeitet in einer Bäckerei
“Die Regierung muss abtreten, das ganze politische System muss abgeschafft werden. Die Demokratie sollte uns eine Wahl lassen, aber wir haben keine. Das ist keine Demokratie mehr, denn es hat nichts mehr mit den Idealen der griechischen Antike zu tun. Ich glaube, die Mitteleuropäer denken, wir sind faul, weil wir immer draußen sind. Es ist nur immer heiß, deswegen ist es normal, zusammen draußen rum zu sitzen. Ich will arbeiten.“
Kostas, arbeitslos
“Eine politische Klasse von ungefähr 10.000 Menschen allein kann nicht so eine Krise in einem Land mit 11 Millionen Menschen auslösen. Es muss mehr Gründe dafür geben. Wenn sich jeder richtig verhalten hätte, wären die Probleme nicht so riesig. Es geht nicht nur um die Politiker, sondern um jeden einzelnen. Die Finanzkrise ist ein Fakt, aber die Unruhen und die Gewalt haben mehr mit innenpolitischen Problemen zu tun. Ich glaube, es geht mehr um ethnische Spannungen, die schon vorher da waren und wahrscheinlich von der Krise ausgelöst wurden, nicht nur in Griechenland, sondern auch auf dem Balkan, in Spanien und im Mittleren Osten. Meiner Meinung nach sollten die Medien uns öfter daran erinnern, dass es keine ethnische Gewalt geben sollte.“
Nikitas, arbeitet für eine Onlinewerbeagentur
“Die Löhne sind im Moment sehr niedrig und Jobs schwer zu finden. Ich habe bis vor kurzem noch als Copy Writer in einer Werbeagentur gearbeitet, aber wegen der Krise habe ich meinen Job verloren and seitdem nichts Neues gefunden. Die Regierung hat gerade angekündigt, dass sie 4000 neue Jobs bei der Polizei schaffen will. Ist das nicht ein bisschen komisch?“
Anonym, arbeitslos
“Die griechischen und europäischen Massenmedien geben nur Fehlinformationen über das, was hier geschieht. Wir wollen, dass unsere Meinung gehört wird, nicht die der Regierung. Deswegen haben wir im Dezember 2008 Radio Entasi gegründet. Wir waren schon vor den Demos da und werden es auch danach noch sein. Aber Entasi ist kein Piratenradio! Wir haben die Lokalverwaltung extra um die Erlaubnis gebeten, hier zu senden. Im Moment sind wir 20 Freiwillige und versuchen, den ganzen Tag über hier zu sein und die Generalversammlungen live zu übertragen.“
Maria, Kunstgeschichtestudentin und Radiojournalistin (www.entasifm.org)
“Ich fühle mich hier wohl, denn hier hat keiner Vorurteile gegen Ausländer. Ich bin Albaner und jeder akzeptiert mich. An anderen Orten in Athen ist es nicht leicht für Albaner, aber hier ist alles okay. Ich bin vom Sicherheitsdienst und kämpfe mit den Polizisten. Das ist echt cool! Aber jetzt ist es viel ruhiger als letzte Woche. Ich kämpfe für die gleiche Sache wie alle anderen, ich gehe wohin alle gehen. Aber eigentlich weiß ich gar nicht so genau, worum es hier geht...“
Anonym, Bauarbeiter und Security Guard
Wer die Proteste live verfolgen will, kann das auf der Homepage der Initiative Real Democracy tun: www.real-democracy.gr
Fotos: Homepage (cc)biglebo/flickr; Alle Fotos im Text ©Mélodie Labro