Künstler als engagierte Bürger ihres Landes. Das Festival "Kunst & Revolte" brachte den Arabischen Frühling nach Berlin
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von Christiane Lötsch
Jeder spricht über den Arabischen Frühling. Die Akademie der Künste ließ in Zusammenarbeit mit dem Instituto Cervantes und der Bundeszentrale für politische Bildung KünstlerInnen aus dem arabischen Raum selbst zu Wort kommen.
Festivaltrailer
Faten Rouissi spannt eine Wäscheleine über die Bühne und hängt auf: Die Liste der 145 politischen Parteien, die sich seit dem Sturz Ben Alis in Tunesien gegründet haben, einen aufgemalten, zugenähten roten Mund, um auf die weiterhin bestehende Zensur und mangelnde Meinungsfreiheit hinzuweisen, vergrößerte Fotografien von Menschen auf der Straße, die mit ihrem Engagement den Arabischen Frühling ausgelöst haben.
Die Lecture Performance „Sprachen der Revolte“ verfolgt den persönlichen Werdegang der Bildenden Künstlerin zur engagierten Bürgerin – mit künstlerischen Mitteln und einer Prise Ironie. Über facebook rief sie zu Happenings im öffentlichen Raum auf. Nachbarn, Freunde und Künstler bemalten ausgebrannte Autowracks auf einem abgelegenen Parkplatz, verkleidete Frauen bügelten die „herrschaftliche Schmutzwäsche“ und umdekorierte Straßenschilder formulierten absurde Verbote: „Zeitgenössische Kunst - für Fußgänger verboten!“. Im Interview betont die energiegeladene Künstlerin, dass die Sprache der Kunst für jeden verständlich sein sollte. „Ich möchte die Bürger Tunesiens aus ihrem Alltag reißen, so dass sie ihre Forderungen an die Zukunft des Landes formulieren können“. An der modernen Kunst würde sie die Augenblicklichkeit und ihr sofortiges Reaktionsvermögen auf die politischen Umbrüche schätzen. Künstler hätten die Aufgabe, Energien zu bündeln, um das Land beim Wiederaufbau zu unterstützen. Eine Art „SOS Culture“ sozusagen.
Marquage calligraphique, Foto © Faten Rouissi
Ein Jahr nach dem Arabischen Frühling haben sich nicht nur neue Parteien, sondern auch eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern zu Wort gemeldet. Teilweise schon vor der Revolution aktiv, bekamen sie nun mehr Gehör. Die Dokumentarfilme aus Ägypten, Tunesien, Algerien, Syrien und den palästinensischen Gebieten, die in der Akademie der Künste und im Instituto Cervantes gezeigt wurden, vermittelten das Lebensgefühl der Menschen vor und nach der Revolution. Den Künstlern fällt in diesem Prozess eine besondere Rolle zu. Einerseits Teil oder sogar Auslöser der Ereignisse, andererseits außenstehende Beobachter mit ihren Kameras.
Die tunesische Regisseurin Nadia El Fani zum Beispiel geht mit ihrer Kamera an Orte, zu denen sie sonst keinen Zutritt bekommt. In einem Männercafé, dessen zeitungsverklebte Fenster Schutz vor fremden Blicken spenden, filmt sie vermeintlich gläubige Männer, die trotz Ramadan reichlich essen und trinken. Diese alltägliche Scheinheiligkeit möchte sie mit ihrem Film „Ni Allah, ni Maître“ (2011) aufdecken. Die religiöse Praxis könne ihrer Meinung nach im Privaten stattfinden und sollte das öffentliche und politische Leben nicht dominieren. Ein laizistisches Gesellschaftssystem wie in Frankreich könnte sie sich vorstellen und trifft damit den Nerv der Islamisten, die eine Auflösung der islamischen Identität und Nation befürchten. Für ihren Film wird Nadia El Fani in Tunesien angefeindet, aus dem Ausland jedoch unterstützt.
„Ni Allah, ni Maître“ von Nadia El Fani, Filmstill © Nadia El Fani
Kritik kommt auch von ihrem Landsmann Ben Hichem Ammar, der dazu aufruft, ein spezifisch tunesisches Modell zu entwickeln und weder amerikanische noch französische Systeme zu kopieren. Die islamische Religion und Tradition als auch die Infrastruktur einer modernen Gesellschaft müssten in diesem Modell integriert werden, damit keine „Gesellschaft mit zwei Geschwindigkeiten“ entstünde. Für seine Filmreportage „La Tunisie vote“ (2011) reiste Ben Hichem Ammar durch das Land, um am Tag der ersten freien Wahlen die Stimmungen, Hoffnungen und Emotionen von jungen und alten, gläubigen und nicht-gläubigen, gebildeten und ungebildeten Menschen in berührenden Nahaufnahmen einzufangen. Allen gemeinsam ist die Freude über die neu gewonnene Freiheit, aber auch die Sorge, wie es mit ihrem Land ökonomisch und politisch weitergehen wird.
Als Amal Ramsis 2010 begann, ihren Film „Forbidden“ (2011) in Kairo zu drehen, war an freie Wahlen noch nicht zu denken. Die ägyptische Regisseurin kämpfte gegen die alltäglichen Verbote, mit denen sie sich nicht abfinden wollte: Küsse und Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit, der Verkauf von digitalen Abspielgeräten oder das Drehen in den Straßen Kairos waren untersagt. Die energische junge Frau drehte trotzdem, als Touristin verkleidet, und fing mit viel Empathie das Leben und die Menschen auf der Straße, aber auch die ständige militärische Präsenz und die endlosen Stahlzäune ein, die alltägliche Wege zu einem labyrinthischen Unterfangen machen. In Privatwohnungen führte sie Interviews mit befreundeten Aktivisten, Journalisten und ihrer Putzfrau, um dem durch Verbote geprägten Lebensgefühl mit viel Ironie und Galgenhumor nachzuspüren. Amal Ramsis wollte sich nicht mit den allgegenwärtigen Verboten arrangieren, wie viele es taten, um ein halbwegs normales Leben führen zu können. In der Mitte des Films wendet sie sich offen an ihren Zensor, der den Film ohnehin verbieten würde. Doch der letzte Tag des Schnitts fiel mit den ersten Demonstrationen auf dem Tahrir Platz zusammen– der Film wird nun ein Denkmal für das Lebensgefühl vor der Revolution.
Freedom, Foto © Faten Rouissi
In moderierten Gesprächen, in Workshops und Podiumsdiskussionen kamen die Künstlerinnen und Künstler während des Festivals selbst zu Wort. In ihren Antworten auf die nicht enden wollenden Fragen des Publikums kamen ihre Wut, ihr Ärger, ihre Sorgen um die Zukunft, aber auch ihr (schwarzer) Humor und außergewöhnliches Engagement zum Vorschein. Viele arbeiten noch immer unter widrigen Bedingungen, mit finanziellen und inhaltlichen Einschränkungen. Neben den Bildern aus Fernsehen und Internet erlaubten die vorgestellten Filme einen tiefer gehenden Einblick in die gesellschaftlichen Umwälzungen im arabischen Raum. Fast alle anwesenden Filmemacher betonten, dass die Regierungen zwar gewechselt haben, Verwaltung und Bürokratie aber weiterhin nach alten Mustern funktionieren würden. Für sie hat der Prozess der Demokratisierung gerade erst begonnen, der alltägliche Kampf geht weiter – mit künstlerischen Mitteln.