Kunst in Osteuropa: Versprechen der Vergangenheit im Centre Pompidou
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Simone BrunnerIm Centre Pompidou in Paris lässt die Ausstellung Les Promesses du Passé, Une histoire discontinue de l'art dans l'ex-Europe de l'Est Arbeiten von Künstlern aus Osteuropa zu Zeiten des Kommunismus und zeitgenössischen osteuropäischen Künstlern dialogieren. Ein Rundgang in Zickzack.
Walter Benjamins geschichtsphilosophischem Aufsatz Über den Begriff der Geschichte entnommen, beschwört der Titel der Ausstellung Les Promesses du Passé, Une histoire discontinue de l'art dans l'ex-Europe de l'Est (dt: Die Versprechen der Vergangenheit, Eine unstete Geschichte der Kunst des ehemaligen Osteuropas), die noch bis zum 19. Juli im Centre Pompidou in Paris zu sehen ist, die Gegenwart und unsere Fähigkeit diese zu konstruieren herauf, ohne dabei die Vergangenheit verleugnen oder sublimieren zu wollen.
Das Werk von Monika Sosnowska möchte gerade dieses Sublime, Erhabene darstellen. Die 38-jährige polnische Künstlerin führt den Museumsbesucher durch ein immenses Zickzack-Labyrinth von weißen Stellwänden, hinter denen mehr und mehr Fotografien, Zeichnungen, Plastiken und Videoprojektionen zum Vorschein kommen - ohne jegliche chronologische Logik. In ihrem Werk will Sosnowska die Arbeiten junger Künstler mit denen ihrer Vorreiter in einer gemeinsamen Thematik konfrontieren. Dabei sind zwei Fragestellungen für sie fundamental: Wie kann man die Linearität der Geschichte durchbrechen? Und wie lassen sich die heutigen Ost/West-Gegensätze in Europa darstellen?
Der Zickzack-Rundgang durch die Ausstellung versucht weiterhin mit Hilfe von 7 Unterthemen der künstlerischen Begegnung Antworten auf diese Fragen zu finden: „Jenseits der modernen Utopien“; „Die Fantasmen der Totalität“; „Anti-Kunst“; „Öffentlicher Raum/privater Raum“; „Weibliche Feministin“; „Mikropolitische und kritische Gesten der Institutionen“; „Überdenken der Utopie“. Und auch wenn selbige etwas undurchsichtig herbeikommen, so illustrieren die sieben Themen dennoch die Absicht von Monika Sosnowska: die Vergangenheit Osteuropas mit Hilfe der Gegenwart zu überdenken. Während der Parcours im Zickzack die Diskontinuität der Geschichte symbolisiert, nimmt die Szenographie den Kanon der modernistischen Architektur des Kommunismus wieder auf, diese urbane Utopie, deren Versprechen und Misserfolge heutzutage allseits bekannt sind. Die in Ryki geborene Künstlerin beabsichtigt, „in einer postminimalen und konzeptuellen Ader“ der Kunst, den Kanon, der die Städte Osteuropas rekonstruiert und dekonstruiert hat, wieder zu entdecken.
Vergangene Ambitionen…
Im Rahmen der Thematik "Jenseits der modernen Utopien" kann man einen regenbogenfarbenen Körper bestaunen, dessen Hände in einem Toilettenbecken stecken! Es handelt sich dabei präziser um den Körper des polnischen Künstlers und Performers Cezary Bodzuanowski und dessen Werk Rainbow Bathroom aus dem Jahr 1995 (siehe Bild oben). Daneben finden sich Werke wie Damni i colori des albanischen Videokünstlers Anri Sala. In Salas 2003 realisierten Film kommentiert der Künstler und Bürgermeister von Tirana, Edi Rama ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen das Projekt, das er vor einigen Jahren für seine Stadt vorgesehen hatte. Während die Kamera Edi Rama durch die heruntergekommenen Straßen von Tirana folgt, erzählt der Protagonist von seiner Berufung als Bürgermeister und Künstler: „Die Frage ist, wie man diese Stadt wieder bewohnbar machen kann.“ Dem fügt Rama bedauernd, aber realistisch an: „Ich denke, die Ambition, aus diesem Ort eine Stadt zu machen, in der man sich aus freien Stücken entscheidet zu leben, ist eine Utopie…“ Die Ausstellung stellt sich demnach gemeinsam mit Edi Rama die Frage, was aus den Ambitionen der Vergangenheit gewoden ist.
Erst im weiteren Verlauf des Museumsrundgangs wird klar, inwiefern sich die verschiedenen Themen wie Puzzleteile ergänzen. Im Teil „Phantasmen der Totalität“ setzt sich das Video Kardynal selbstironisch mit der Frage der Kollektivlast auf das Individuum auseinander; das Video des Polen Pawel Althamer zeigt dessen Taufe - nicht in Wasser, sondern in Schlamm.
An der Grenze des Irrsinns befindet sich der Film des Rumänen Ion Grigorescu. Sein Streifen Der Boxer, der 1977 zunächst im rumänischen Untergrund die Runde machte, zeigt den Künstler nackt im Boxkampf gegen sich selbst. Ion Grigorescu illustriert mit seinem Film „die Schizophrenie des Lebens im kommunistischen Rumänien“.
An einer Stelle rührend dann wieder störend, präsentiert die Ausstellung ausschließlich rebellische Werke. In der Ecke „Öffentlicher Raum/privater Raum“ zeigt sich diesbezüglich der Protest offen politisch. Die Mikroaktionen von Jiri Kovanda im öffentlichen Raum zeugen vom Klima der Zensur und der Gleichschaltung der Individuen in den 1970er Jahren in Prag.
Gegen den Strom der Masse zu marschieren und diese Bilder unsterblich zu machen ist wie die Transformation eines ersten und elementaren Niveaus der Freiheit in ein politisches Manifest. Das Plakat der Ausstellung ist übrigens eine Fotografie der Dreharbeiten zum Film NP 1977 des Serben Neša Paripovic. Darin sieht man den in Belgrad geborenen Künstler durch die Straßen seiner Heimatstadt marschieren - immer grade aus, ohne sich um die Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellen, zu kümmern.
Ein kultivierbares Erbe
„Öffentlich/Privat“ waren für die Bewohner östlich des Eiserenen Vorhangs zwei sehr unterschiedliche Begriffe. In dieser Phase berührt der Besucher einen ganz zentralen Punkt der Ausstellung. Was bedeuten die Begriffe Ost/West zwanzig Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes? Hat der Verlauf der Geschichte die Unterschiede ausradiert? Die Werke der jungen Künstler, die im Centre Pompidou gezeigt werden, sind diesbezüglich nicht sehr optimistisch.
Die Israelin Yaël Batana beispielsweise nimmt die Codes der zionistischen Ideologie in ihrem Film Wall and Tower (2009) wieder auf. Ein gemeinsames Ideal, eine Quelle der Hoffnung für die von der Geschichte gebeutelten Juden; diese imaginäre Rückkehr nach Warschau weckt die Angst vor den großen politischen „Messen“, von denen wir die offiziellen Bilder und Filme nur allzu gut kennen. Vergangenheit und Gegenwart begegnen sich in diesen Räumen rastlos in einem Dialog zwischen den Kunstfiguren des kommunistischen Europas der 1970er Jahre und deren Erben. Ohne Nostalgie wird in Les Promesses du Passé gezeigt, dass eine Tabula rasa der Vergangenheit weder möglich noch wünschenswert ist. Heutzutage in Prag, Tirana oder in Budapest zu leben bedeutet gezwungenermaßen, die Überbleibsel einer Vergangenheit aufmerksam zu betrachten, die durch die Versprechen eines Regimes geprägt sind, das vor allem an der Konstruktion von großen Utopien festhielt.
Ausstellung « Les Promesses du Passé », bis zum 19. Juli im Centre Pompidou. Place Georges Pompidou, 75004 - Paris. Täglich von 11 bis 21 Uhr (Dienstag geschlossen)
Fotos: Ausstellungsplakat ©Goranka Matic; Rainbow, "Bathroom, Lodz", 1995 ©Monika Chojnicka; Self-identification: ©Ewa Partum
Translated from L'art en Europe de l'est ? Toute une Histoire...