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Krista Sager: Grüner Realismus für Europa

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Die politische Einstellung von Krista Sager, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, hat sich in den letzten dreißig Jahren von radikaler Auflehnung zu staatstragendem Pragmatismus gewandelt - wie bei vielen linken Politikern ihrer Generation.

Krista Sager gönnt sich einen kleinen Urlaub: Gestern ging’s auf den Eiffelturm und in den Louvre, am Abend seht ein Besuch in der Oper auf dem Programm. Die Fraktionschefin der Grünen im deutschen Bundestag hat selten die Gelegenheit, sich vom politischen Tagesgeschäft auszuklinken, doch zwei Tage Paris nach einer Fernsehdebatte bei Arte sind drin. Aber die Politik in Deutschland schwingt immer mit: „Ich mache keine Reisen mehr, wo ich nicht schnell zurückkommen kann, und wo ich nicht telephonisch erreichbar bin.“

Wir treffen Krista Sager, 51, in einem kleinen Hotel auf der schicken linken Seite der Seine. Le Figaro und International Herald Tribune liegen in dem in mattem grün gehaltenen Frühstückssaal aus, Bambusgestecke sorgen für wohnliche Atmosphäre. Befrackte Kellner schwänzeln um die bürgerlichen und gutbetuchten Gäste. Die Ankunft junger Menschen ohne Maßanzug, dafür in Jeans und T-Shirt löst Verwirrung aus beim Personal, doch als wir die grüne Spitzenpolitikerin schließlich gefunden haben, versenken wir uns schnell in ein langes Gespräch, das die steifnackigen Lakaien vergessen lässt.

Europäische Mischung

Während ihr Mann sich in die Zeitungslektüre vertieft, erzählt mir Krista Sager, sie sei „ganz besonders europäisch gemischt“: Ihr Großvater aus dem rumänischen Herrmannstadt war Siebenbürger Sachse und Sohn eines Deutschen und einer Ungarin. Ihr Vater wiederum lernte seine dänische Frau als deutscher Soldat während der Besatzungszeit kennen: „Das war ja eigentlich fast unmöglich, dass die zusammenkamen. Die kriegten auch erst nach dem Krieg eine Heiratserlaubnis“. Für Krista Sager, die zweisprachig dänisch und deutsch aufgewachsen ist, ist der zweite Weltkrieg der politische Bezugspunkt geblieben, auch im Hinblick auf die europäische Konstruktion: „Es ist für mich keine Selbstverständlichkeit, dass man die alten Feindschaften überwunden hat. Als Kind habe ich immer meine Mutter gefragt, ob es denn sein könnte, dass mein [deutscher] Bruder und mein [dänischer] Cousin mal gegeneinander in den Krieg geschickt werden. Das hat mich sehr geprägt.“

Doch Europa ist mehr als ein Friedensprojekt: „Es geht auch um Demokratie und Freiheit – gerade im Hinblick auf die Osterweiterung – und um Wohlstand.“ Ein europäisches Wirtschaftswunder wie es Spanien, Griechenland oder Irland erlebt haben, sei auch für die neuen EU-Mitgliedsstaaten möglich: „Irland war jahrhunderte das absolute Armenhaus Europas, und heute hat dieses Land das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen in der Union. Warum soll eine solche Entwicklung nicht auch für die osteuropäischen Länder gelten?“ Doch im Gegensatz zum amerikanischen Modell stütze sich die europäische Gemeinschaft nicht nur auf „Wirtschaft und Individualität“. Und was sind nun die europäischen Werte? Da sieht Krista Sager noch Klärungsbedarf: „Wir sollten versuchen ein wertegestütztes europäisches Modell zu definieren, was sich auch in einer sozialen und ökologischen Verantwortung sieht.“

Türkei rein, Russland raus

Trotz der vagen Definition des „europäischen Modells“ soll sich die EU laut Frau Sager zum Exportschlager entwickeln: „Europa kann eine große Strahlkraft entwickeln für Regionen, wo klar ist, die können nicht Mitglied werden, zum Beispiel was den Umgang mit jahrhundertealten Feindseeligkeiten angeht wie im Nahen Osten.“ Während sich das Gespräch aufheizt, wird unser Kaffee kalt. Ich gieße nach. „Jeder Region also ihre eigene Union. Doch wo sehen sie denn die Grenzen der existierenden EU?“ – „Einen Beitritt von Russland, Israel oder nordafrikanischen Ländern schließe ich aus. Die Ukraine ist ein schwieriges Thema, weil eine Beitrittsperspektive das Land zerreißen könnte. Doch ich glaube, dass es wichtig ist, eine Brücke über den Bosporus zu bauen und die Türkei zu integrieren.“

Das überzeugte Europäertum, das Krista Sager vertritt, ist für die deutschen Grünen nicht immer selbstverständlich gewesen: „Anfang der 80er Jahre waren die linken Parteien eher antieuropäisch. Die Sozialistische Volkspartei in Dänemark hatte ihren europäischen Durchbruch sogar erst letztes Jahr. Doch die Grünen haben sehr viel früher begriffen, dass es auch eine Konsequenz der deutschen Geschichte ist, Frieden, Demokratie und Menschenrechte durch die Erweiterung der Gemeinschaft zu sichern. Vor allem [der deutsche Außenminister] Joschka Fischer hat die Partei stark vorangetrieben. Heute sind die deutschen Grünen ein Motor für den europäischen Prozess, und Deutschland ist ein verlässlicher Partner für Israel – das war beides in den 80er nicht selbstverständlich und ist sehr stark von Fischer durchgesetzt worden.“

Marsch durch die Institutionen

Die Entwicklung der Grünen von einer ideologisierten Oppositionsgruppe zu einer staatstragenden Regierungspartei spiegelt sich auch in der politischen Biographie von Krista Sager wieder: In den 70er Jahren war sie im „Kommunistischen Bund Westdeutschland“ aktiv - was in der offiziellen „poltischen Vita“ dezent verschwiegen wird. „Es ist eine völlig andere Zeit gewesen. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen waren hart und polarisierend. Heute lebt der Diskurs vielmehr das, was er auch einfordert: Toleranz und den Versuch, Kompromisse zu machen.“ Aus der Auflehnung gegen ein „fast antidemokratisch“ verstocktes Deutschland wurde ein realpolitischer Marsch durch die Institutionen, der Krista Sager an die Spitze der Grünen, in Fernsehtalkrunden bei Arte und in jenes mintgrüne Hotel in Paris mit seinen konservativen Frühstückszeitungen gebracht hat. Der politische Kompromiss ist die Maxime von Krista Sager geworden: „Kompromisse haben nichts mit Feigheit oder Schwäche zu tun, sie sind das Wesen einer liberalen, freien Gesellschaft. Das ist auch ganz wichtig für den europäischen Prozess: Die Unfähigkeit zum Kompromiss ist die Unfähigkeit, dieses Europa gestalten zu wollen.“