Krakaus Identitätskrise: Kommunismus umhüllt die Moderne
Published on
Translation by:
NinaEs ist ein symbolisches Jahr für Polen. Vor zehn Jahren trat es der EU bei und vor 25 fiel die Berliner Mauer. Krakau beweist, dass die Geschichte nicht eingestaubt ist: eine populäre Marktnische für Touristen sind die Kommunismus-Touren. Ist es falsch, die dunkle Seite der Geschichte zur Unterhaltung von Touristen zu nutzen?
Der Trabant rüttelt, brummt und hustet. Er kämpft sich die große Straße von Krakaus Altstadt zum Stadtviertel Nowa Huta, das im sozialistischen Stil erbaut wurde, hoch. Nichts an diesem Auto mit 26 Pferdestärken, das hauptsächlich aus Plastik gemacht ist und mit einer fahrradähnlichen Federung ausgestattet ist, wirkt stabil. Es ist nicht die bequemste Art zu reisen, besonders nicht auf den holprigen Straßen Polens, aber Touristen sind bereit, für eine Fahrt in dieser sozialistischen „Rakete" durchaus einige Zlotys zu zahlen. Warum? Es ist alles Teil des kommunistischen Abenteuers, das vom Reiseunternehmen Crazy Guides angeboten wird.
Während sich die Ukraine noch immer in der unangenehmen Lage zwischen Europa und Russland befindet, hat Polen bereits vor zehn Jahren, als es der Europäischen Union beigetreten ist, Stellung bezogen. Der polnische Nationalstolz ist einer der stärksten in Europa. Besonders unter den älteren Generationen hat die Idee einer supranationalen Organisation, aufgrund Polens 40 Jahren als sowjetischer Satellitenstaat, noch negative Konnotationen. Warum sollten sie wieder Teil einer Bruderschaft von Völkern sein, wenn sie nun endlich ihre eigene Identität alleine finden können? Umfragen zeigen, dass 60% der Polen sich als „nur polnisch", 35% sich als „zuerst polnisch, dann europäisch" betrachten und nur 4% finden, dass die europäische Identität vorrangig sei. Gleichzeitig zeigte vor Kurzem eine andere Befragung, dass nur einer von drei Polen denkt, dass eine freie Marktwirtschaft besser als eine Planwirtschaft, wie es in der sozialistischen Ära der Fall war, sei. Fast dieselbe Anzahl glaubt, dass die Einführung des Euros negative Folgen hätte.
Einen Wodka täglich…
Während aber einige Polen möglicherweise noch vom Sozialismus träumen, sind Touristen darauf begierig, mehr über diese vergangene Periode zu erfahren. An diesem nebligen und kalten Morgen im März fahren der Reiseführer Jurek Alice und Simon aus Newcastle (England) in seinem Trabant herum: das Auto ist gelb und mit verschiedenfarbigen Blumen bemalt. Die erste Station in Nowa Huta ist das Restaurant namens Stylowa, das einst das kulturelle Zentrum des Viertels war. Ein Stammgast sitzt an der Bar und trinkt sein erstes Bier des Tages, nachdem er früher am Morgen schon drei Wodka getrunken hat. Die beiden Frauen hinter der Bar teilen üblicherweise ein oder zwei Wodka mit ihm, was die Bedienung nicht unbedingt schneller macht. An einem Tisch, an dem eine kleine Lenin-Statue über allen Gästen wacht, hält Jurek einen kurzen Vortrag über die Zeit von 1945 bis 1989 in Polen. Er veranschaulicht sie mit Propaganda-Fotos und Geschichten, die ihm seine Großeltern erzählt haben. Er selbst ist zu jung, um sich selber an die sozialistische Ära zu erinnern.
Nowa Huta wurde von der UdSSR in den 1950er Jahren erbaut, zusammen mit und um große Stahlwerke. Es war ein Aushängeschild für die neue sozialistische Regierung und ein überzeugendes Propagandamittel. Die breiten Straßen sind geblieben, wenn auch mit anderen Namen, und die Gebäude sind in grauen Staub gehüllt, wegen den Fabriken, deren Schornsteine einst ständig geraucht haben. Für Krakauer ist dies kein „place to be", aber Crazy Guides wusste schon vor 10 Jahren, dass Touristen an diesem anderen Krakau interessiert sein könnten. Ihre Flugblätter, die man in fast jedem Hotel und jeder Bar in der Stadt findet, sprechen von einer „privaten Kult-Tour", „Stalins Geschenk an Krakau" und „den guten alten Tagen". Jakub, Koordinator bei Crazy Guides, erklärt: „Das Thema Kommunismus ist sehr eingängig und man findet auf der Welt nur wenige Orte wie Nowa Huta. Unsere unkonventionellen und enthusiastischen Reiseführer fügen zudem eine persönliche Note hinzu." Crazy Guides startete 2004 als Ein-Mann-Firma und arbeitet nun mit 11 verschiedenen Reiseführern zusammen.
Keinen Unsinn Bitte
Simon und Alice haben die Tour gebucht, weil es nach etwas „Lustigem und ein bisschen Anderem" klang. Und Simon fügt hinzu: „Das Auto war sehr ansprechend". Simon hat Glück, weil es auf Anfrage möglich ist, das Auto für eine Weile selber auf einer verlassenen Waldstraße zu fahren. Das ist alles Teil des Abenteuers, wie auch die Wohnblöcke, zu deren Besichtigung Jurek seine „Gruppe" als nächstes einlädt. Crazy Guides mietet diese Wohnung aus anderen Gründen, als die anderen 80.000 (20.000 weniger als 1989) Einwohner von Nowa Huta: Diese besondere Wohnung ist wie ihr eigenes Museum und nur mit Möbeln aus den 50ern und 60ern eingerichtet. Wenn man die Wohnung betritt, so fühlt man sich, als ob die Bewohner gerade vor ein paar Minuten gegangen seien: Auf dem glänzenden Couchtisch aus Holz liegt eine originalgetreue Zeitung und in der Küche steht der Teekessel auf dem Herd. Der Wodka-Brenner in der Badewanne ist eine nette Geste.
Simon und Alice wirken beeindruckt, berühren alles und öffnen die Schränke. Die meisten Leute, die diese Tour machen sind Europäer, berichtet Jurek, aber es kämen praktisch keine seiner Landsleute. Laut Jurek besitzt Nowa Huta keinen guten Ruf, und die Polen glauben, dass man ihnen nichts Neues zeigt. Dies bringt auch die Frage hervor, ob es politisch korrekt ist, von dieser dunkleren Seite der polnischen Geschichte zu profitieren. „Wir werden kritisiert", bestätigt Koordinator Jakub, als wir wieder beim Hauptsitz von Crazy Guides ankommen. „Aber üblicherweise von Leuten, die keine Ahnung haben, was wir auf unserer Tour zeigen und erzählen. Von außen könnte es so aussehen, als ob wir zu viel Spaß hätten und den Kommunismus verherrlichen würden. Aber wir versuchen, nicht zu politisch zu sein und solange unsere Reiseführer keinen Unsinn erzählen, können sie ihre eigene Meinung äußern. Ihre Geschichten sollen den sozialen Aspekt der sozialistischen Ära hervorheben, welcher noch immer Teil unseres kollektiven Gedächtnisses ist."
Autobus czerwony - ein altes polnisches kommunistisches Lied
Pittoresk
Ist Polens Identität ein Gemisch aus den sieben Jahrhunderten als Großreich und den vier Jahrzehnten als sozialistisches Land? Ist es die Fusion dieser beiden Perioden, welche Polen zu dem machen, was es heute ist? Zu dem Polen, das der Europäischen Union beigetreten ist? Laut Alice und Simon ist es gerade dieser Kontrast, der eine Stadt wie Krakau so interessant mache. „Als ich an Polen dachte, dachte ich an all die britischen Junggesellenabschiede, die hier gefeiert werden", erzählt Alice. „Jetzt weiß ich, dass man in Krakau so viel machen kann, wofür wir nicht einmal genug Zeit haben." Überschattet das Bild von Nowa Huta die andere Seite von Krakau als Stadt der Könige? Simon zögert. „Eigentlich hätte ich es gerne, wenn ich mich in einigen Jahren an Krakau als Stadt mit beiden Seiten erinnere. Aber um ehrlich zu sein, werde ich es am meisten mit der Altstadt assoziieren. Es ist einfach viel malerischer, wie Sie wissen." Auch die Reiseführer von Crazy Guides sind „ehrlich gesagt, ein bisschen gelangweilt" von der Kommunismus-Tour. „Wir glauben, dass wir dieses Konzept in jede andere Gegend der Stadt exportieren können", sagt Jakub. „Unsere Stärke liegt, offen gesagt, eher in den persönlichen Geschichten, als in dieser großartigen sozialistischen Umgebung."
Translated from Krakow's Identity Crisis: Communism Clutches to Modernity