Kraftloser Wahlkampf in Polen
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Am 25. September wählt Polen ein neues Parlament und zwei Wochen darauf seinen Präsidenten. Doch es geht mehr um die Vergangenheit statt um Visionen, wie der Rücktritt des linken Kandidaten Cimoszewicz zeigt.
Wahlen sind geheim - Wahlkämpfe sind es eigentlich nicht. Es ist das erste Mal seit den ersten freien Wahlen in Polen 1989, dass die Wahl eines neuen Parlaments (Sejm) und die des Präsidenten zeitlich so nahe zusammen fallen. Doch die Kampagnen der Kandidaten steckten lange im Sommerloch fest. Zumindest der Herbst scheint etwas heißer zu werden: Der noch im Juli als neuer Präsident gehandelte Wlodzimierz Cimoszewicz von der Allianz der Demokratischen Linken (SLD) hat sich am 14. September aufgrund eines drei Jahre alten Finanzskandals überraschend aus dem Rennen zurückgezogen, während der als Außenseiter gestartete liberalkonservative Donald Tusk (Bürgerplattform, PO) inzwischen in den Umfragen mit über 40% führt.
Niedergang der Solidarnosc
Die Vergangenheit interessiert die Polen mehr als die Zukunft. Seit die streikenden Danziger Werftarbeiter vor 25 Jahren die Initialzündung für eine Freiheitsbewegung setzten, die 1989 zu freien Wahlen und schließlich zum Fall des Kommunismus in ganz Europa führte, sind die Polen auf der Suche nach der eigenen Identität. Die einst die gesamte Gesellschaft einende Kraft der Solidarnosc offenbart 25 Jahre später ein Trauma: die von 10 Millionen auf 600 000 Mitglieder zusammengeschmolzene Bewegung nährt das Einheitsgefühl der Polen schon längst nicht mehr. Der Anführer der Bewegung und später erste frei gewählte Präsident Polens Lech Walesa gilt für viele als Verräter der Ideale der Solidarnosc und will nun sogar aus der Gewerkschaft austreten.
Schnüffelei statt Politik
Das Land ist mit sich selbst beschäftigt: die Aufarbeitung des Kommunismus, die Aufdeckung ehemaliger Spitzel und Geheimdienstmitarbeiter, sowie Korruptionsskandale, zum Beispiel um Ex-Premier Miller, bestimmen den politischen Alltag. Die legitime Aufklärungsarbeit verkommt dabei immer häufiger zur kleingeistigen Schnüffelei, während die mediale Aufarbeitung von Skandalen politische Debatten dauerhaft überlagert.
Politik bedeutet in diesem Zustand mehr die Verwaltung von Staatsaufgaben, als die Veränderung von Lebensbedingungen. Dabei liegen die Probleme auf der Hand: fast jeder fünfte Pole ist ohne Arbeit, die beste polnische Universität findet man in internationalen Rankings auf Platz 400, im Korruptionsindex von Transparency International (pdf) liegt Polen mit Peru auf gleicher Augenhöhe und in der Provinz Lubelskie, mitten in Europa, hungern Kinder. Doch eine konstruktive Vision und ein pragmatisches Programm kann momentan weder eine Partei, noch ein Präsidentschaftskandidat liefern. In den Umfragen für die Sejmwahlen sieht es nach einem Kopf an Kopf Rennen zwischen der populistisch-konservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) und der liberal-konservativen PO (Bürgerplattform) aus, während die populistische Samoobrona (Selbstverteidigung), die linke SLD, die Sozialdemokraten sowie die nationalkonservative Liga polnischer Familien sich auf dem absteigenden Ast befinden.
Zwillinge an der Spitze Polens?
Im Kampf um das Amt des Präsidenten schien es lange Zeit auf den Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski (PiS) oder den ehemaligen Premier- bzw. Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz (SLD) hinauszulaufen, zwei ehemalige Warschauer Juraprofessoren, bis Gerüchte um Unregelmäßigkeiten bei der Steuererklärung letzterem die Luft aus den Segeln nahmen. Die Wahl Kaczynskis zum Präsidenten könnte bei einem gleichzeitig guten Abschneiden der PiS seinen Zwillingsbruder Jaroslaw zum Premierminister machen, was die Grenzen zwischen beiden Ämtern nicht nur optisch verringern würde, sondern auch programmatisch. Gefährlich könnte ihm allenfalls der Historiker Donald Tusk (PO) werden, laut Wahlplakat „ein Mann mit Prinzipien“. Er ist der einzige Kandidat, dessen Umfragewerte momentan deutlich steigen und er wird u.a. von Lech Walesa und dem renommierten Herzchirurgen Zbigniew Religa unterstützt – obwohl letzterer selbst für das Amt des Präsidenten kandidiert.
Letztlich entscheidet wohl wieder die Vergangenheit über den neuen Präsidenten und nicht die Perspektive für die Zukunft. Der im kollektiven Bewusstsein verankerte Geist der Solidarnosc könnte die Frage stellen, wo die Kandidaten im Sommer 1980 standen. Kaczynski schloss sich damals spontan den streikenden Arbeitern in der Leninwerft an und Tusk unterstützte die Solidarnosc durch im Untergrund erscheinende Publikationen. Cimoszewicz wäre wohl spätestens bei dieser Frage sowieso aus dem Rennen gewesen: er hielt sich in den USA auf und feilte dort an seinen Englischkenntnissen.