Kovoso - Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln: Kapitel 12
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. ChamlianWar der Kosovo zu Beginn der 2000er Handeslplatz für die Organe inhaftierter Serben, die von kosovarischen Guerillakämpfern gefangen gehalten wurden? Mit dem Ende unserer Untersuchung neigen sich auch die EU-Ermittlungen dem Ende zu. Trotzdem bleiben zahlreiche Fragen offen.
Nach mehr als drei Ermittlungsjahren ist das Urteil via Pressemeldung gefallen: Die EU „beendet“ offiziell ihre Untersuchungen zum Organhandel im Kosovo. Inmitten der Konflikte in der Ukraine und im Gaza-Streifen hatte der Staatsanwalt Clint Williamson am 29. Juli 2014 seinen Abschlussbericht eingereicht. Ein Schlag ins mediale Sommerloch, denn die Anklage wiegt schwer: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Ermittlungen durch die EU bestätigen die Aussagen von Carla Del Ponte und den Marty-Bericht. Während des Kosovo-Kriegs haben UÇK-Mitglieder in der Tat Serben getötet, um ihnen Organe zu entnehmen und sie zu verkaufen. Williamson zufolge „hat dies in äußerst begrenztem Umfang stattgefunden“. Weniger als 10 Personen fielen dem illegalen Organhandel zum Opfer. Nichtsdestotrotz bleibt es „ein grauenvoller Eingriff, eine furchtbare Tragödie. Der geringe Umfang mindert keineswegs die Barbarei des Verbrechens.“ Es werden Anklagen gegen ein Dutzend „höchstrangige“ Geschäftsführer der ehemaligen Guerilla in Erwägung gezogen. Ihre Namen wurden bisher noch nicht bekannt gegeben.
Das Gericht, vor dem Williamson seinen endgültigen Bericht präsentieren wird, soll im Zuge des Jahres 2015 tagen. In welchem Land ist noch unbekannt. Letzten April hat der Kosovo auf Druck seiner westlichen Partner in die Gründung eines internationalen Sondergerichts eingewilligt, das die Kriegsverbrechen, die im Kosovo begangen wurden, aufklären soll. Dieses Gericht wird voraussichtlich an die Gerichtsbarkeit von Pristina angegliedert werden und internationale Ermittler und Anwälte einbinden. Um zu verhindern, dass Zeugen unter Druck gesetzt werden, plädieren manche Stimmen für die Auslagerung der Institution. Der kosovarische Premier Hashim Thaçi hat versichert, dass dieses „ungerechte“ Gericht „die größte Provokation gegenüber dem Kosovo“ darstelle, aber auch, dass dessen Gründung unausweichlich sei. Ist der Kosovo bereit, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen? Unterdessen stellt die EU die Ermittlungen ein.
Gutes oder schlechtes Omen?
„Keine neue Ermittlung wird fruchten, wenn es keinen politischen Willen gibt. Die Situation im Kosovo darf sich nicht weiterentwickeln“, hatte Carla Del Ponte prophezeit. In rund einem Jahrzehnt wurden sechs Ermittlungen zum Organhandel im Kosovo eingeleitet, von Belgrad bis Brüssel via Pristina. Eine Verkettung aufeinander folgender Ereignisse: Vermutungen, die sich in der Luft aufgelöst haben, Beweise, die gestrichen wurden, strafrechtliche Verfolgungen, die eingestellt wurden, Einschüchterung und lautstarke Verleugnungen sowie unverständliche Ungereimtheiten und Wendungen in unvorhergesehenen Situationen. Versucht man sich ein globales Bild zu verschaffen, merkt man schnell, dass sich die Daten der Affäre in eine zeitlich perfekt abgestimmte Chronologie eingliedern. Fast als fielen die Enthüllungen stets zeitgleich mit diplomatischen Schlüsselmomenten zusammen. Der Kalender der Enthüllungen überlagert sich nämlich mit der geopolitischen Agenda der Region, insbesondere mit der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Als würde eine mysteriöse Deus ex-machina die Fäden der ziehen, die nie durch Zufall auftauchen.
Die Autonomie des Kosovos ist ein Fakt. Manche Juristen betonen dennoch, dass die a priori Anerkennung eines Organhandels, der strafrechtlich als Verbrechen gegen die Menschheit gewertet wird, den Unabhängigkeitsprozess sehr stark belastet und gefährdet habe. Denn wie ist es um die politische Legitimität von ehemaligen Guerilla-Kämpfern, die der Kriegsverbrechen beschuldigt werden, bestellt? Warum sollte man einen selbst-proklamierten Staat anerkennen, der von Kriegsverbrechern regiert wird? Welche Verantwortung trägt die internationale Gemeinschaft dafür, dass sie weitestgehend die Rebellen der UÇK unterstützt hat? Aber vor allem, wie soll man unparteilich über Kriegsverbrechen urteilen?
Frankenstein des internationalen Rechts
Mit seiner Unabhängigkeit, die nach wie vor nicht von der Gesamtheit der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird, bildet der Kosovo, als einw Art Frankenstein des internationalen Rechts, einen gefährlichen Präzedenzfall. Ja, es ist möglich Grenzen neu zu ziehen, militärisch zu intervenieren und eine bedenkliche Guerilla zu unterstützen, die sich, sobald sie an der Macht ist, jeglicher Kontrolle entziehen wird. Ja, es ist möglich, einen zerfallenden Staat zu privatisieren. Und ja, ein Jahrzehnt internationaler Präsenz vor Ort kann manchmal mehr Korruption mit sich bringen als jede Konsolidierung eines zerbrechlichen Status quo.
Fünfzehn Jahre nach dem Krieg ist die einzige Realität des Organhandels folgende: Hunderte vermisste Menschen, deren Überreste nach wie vor nicht geborgen werden konnten. Das Leid ihrer Angehörigen ist spürbar, ihr Warten unerträglich. Durch ihr Schweigen trägt die internationale Gemeinschaft zur Vertuschung eines unglaublichen Skandals bei, in dem eine verzwickte Situation mit einer juristischen Seifenoper verstrickt wird. In der Abwesenheit materieller Beweise, der Leichen und eines Zeugenschutzprogramms, stellt sich die Frage, inwiefern die Einberufung einer x-ten Sonderbehörde in der Lage sein wird, die komplette Wahrheit ans Tageslicht zu bringen.
Den Frieden zu gewinnen ist schwieriger als im Krieg zu siegen. Als eine Art Fata Morgana mit vagen Zeugenaussagen, versteckten Gesichtern und schwankenden Hinweisen oder doch eher als ein balkanisches Märchen mit variablen Wahrheiten veranschaulicht die Geschichte des illegalen Organhandels die offenen, nach wie vor unvergessenen Wunden, die Kosovaren und Serben noch lange quälen wird. Da die Affäre in einem Gerichtssaal nie geklärt werden konnte, dürfte sie bald Thema auf der großen Leinwand werden. Die Fiktion erlaubt es manchmal der Realität am nächsten zu sein. So macht der Regisseur Emir Kusturica das Thema zum Gegenstand seines nächsten Films.
Und was Ilir betrifft, er hat nie wieder Anrufe von mir entgegengenommen. Er war derjenige, der mir erzählt hatte, dass Kosovo vom serbischen Wort "kos" hergeleitet sei, was „schwarze Amsel" bedeutet. Und dass man während des „giro“, dem traditionellen abendlichen Familienspaziergang, in allen Ecken des Landes hören könne, wie der Gesang der Amseln mit dem des Muezzins verschmilzt. Erst lange nach unserem Treffen habe ich erfahren, dass seine Familie einem der mächstigen Mafia-Clans Albaniens angehöre, die Hashim Thaci nahe stehen. Er war derjenige, der mich darum gebeten hatte, über die Geschichte seines Landes zu schreiben.
Dies ist das 12. und abschließende Kapitel unserer Langformat-Serie zum Organhandel im Kosovo 'Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln'. Lies in den folgenden Wochen exklusiv hier bei Cafébabel wie es weiter geht im Politthriller um Kosovokrieg und das Geschäft mit den Toten.
Unter diesem Link könnt ihr die komplette Reportage auch als Multimedia-Content abrufen.
Translated from Cadavre exquis au pays des merles noirs : chapitre 12