Kosovo - Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln: Kapitel 8
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. ChamlianWar der Kosovo zu Beginn der 2000er Schauplatz für Organhandel mit den Organen inhaftierter Serben, die von kosovarischen Guerillakämpfern gefangen gehalten wurden? Wir begeben uns auf die Suche nach einer Antwort an einer alten Front, im nördlichen Teil des Kosovos, wo der Vorsitzende der Vereinigung der Familienmitglieder verschwundener Serben uns ein Interview gewährt. Zwischen zwei Tanks.
Auf der Brücke von Mitrovica
Fünfzehn Jahre nach dem Konflikt sind immer noch tausende von Menschen als vermisst gemeldet. Der offiziellen Zahl des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zufolge sind es 1799. Nicht weniger als 22 offizielle Vereinigungen halten die Erinnerung an die so genannten „Missing persons" wach: Es gibt die Familien „albanischer" und die Angehörigen „serbischer" Verschwundener. Der Vorsitzende der Vereinigung der Familienmitglieder verschwundener Serben, Milorad Trifunovic, willigt zu einem Treffen ein: in Mitrovica, im Norden des Landes.
Die mehrheitlich von Serben besiedelte Region entzieht sich der Kontrolle der Behörden von Pristina und bleibt Schauplatz sporadischer Gewaltausbrüche. Die im üppigen Grün der Hügel eingenistete alte Stadt und Enklave von Mitrovica setzt weiterhin Spannungen zwischen den serbischen und kosovarischen Volksgruppen frei. Offizielle Gebäude werden regelmäßig mit Plastikbomben in die Luft gesprengt, sogar Attentate und Progrome finden statt. Die letzten Kommunalwahlen, die im Dezember 2013 unter strenger Überwachung stattfanden, mussten neu durchgeführt werden.
Der Ibar-Fluss in Mitrovica, vormalige Front im Kosovokrieg, trennt heute noch die südlich gelegenen albanischen Viertel von den serbischen Siedlungen im Norden. Auf der Brücke von Mitrovica hält Fadil, mein albanischer Dolmetscher, plötzlich an. „Hier gehe ich nicht weiter". Besorgt zeigt er mit dem Finger auf das andere Ufer: Eine Barrikade und ein improvisiertes mit serbischen Flaggen markiertes Lager, wird von offenbar zersausten und alkoholisierten Paramilitärs bewacht. Fadil weigert sich, weiter zu gehen. Außer Geschäftsmännern, ein paar internationalen Angestellten und Schaulustigen benutzt niemand die Austerlitz-Brücke, um das andere Ufer zu erreichen, es sei denn, es besteht die absolute Notwendigkeit. Nach einer zehnminütigen Diskussion willigt Fadil dann ein, das Interview mitten auf der Brücke zu übersetzen. Unweit des KFOR-Panzers und der italienischen glatt gegelten Carabinieris, die das Gebiet überwachen.
Mit Schnurrbart, Trainingsveste und Gold-Panzerkette kommt Milorad Trifunovic langsam in Pantoffeln herangetrottet. In einem lauten Monolog, der lediglich durch die Klingel seines Handys unterbrochen wird, lässt sich Trifunovic nicht lange bitten, um vom Krieg zu erzählen, „seinem Krieg". Der ehemalige Bergarbeiter, der für das große Kohlebergwerke der Region, dem Konglomerat Trepča, arbeitete, ein Restaurant, Geld, eine Familie, gute Beziehungen und „die Voraussetzungen für eine politische Karriere" hatte, musste miterleben, wie sich sein Leben innerhalb von fünf Minuten vehement veränderte. Das war im Juni 1999.
„Die Bombardierungen der NATO im Kosovo haben die Situation in der Region furchtbar verschlimmert und regelrecht zu Abrechnungen geführt", vertraut er uns an. Nach der Bildung des internationalen Protektorats im Juni 1999 gab es viele Entführungen. "Ungefähr 25 000 Serben wurden verjagt, 2 000 umgebracht, 1 000 sind verschwunden. Milošević ist nicht der Einzige, der eine gründliche ethnische Säuberung praktiziert hat", fasst Trifunovic seufzend zusammen.
Sein Haus, das damals als Hauptquartier der KFOR diente, wurde „von Albanern verbrannt, vor den Augen der internationalen Gemeinschaft, die keinen Finger gerührt hat." Sein Bruder verschwindet mit 35 Jahren, mit neun weiteren Arbeitskollegen. „Wir haben nichts gehört, wir warten immer noch. Und selbst wenn es bald fünfzehn Jahre her sein wird, behalten wir trotz Allem die Hoffnung, dass er irgendwo noch am Leben ist."
Diejenigen, die nach wie vor keine Informationen über ihre Angehörigen haben und weiterhin in erstarrten Erinnerungen leben, sind die Zielscheibe eines echten „Erpressungsgeschäfts geworden, das sich im Umkreis entwickelt hat. Es sind Banditen, die die Verzweiflung der Familien ausnutzen, um an Geld zu kommen." Trifunovic hat viele Bekannte, denen man in den letzten Jahren hat glauben lassen, dass ihre Söhne, Brüder, Väter noch am Leben seien und man ihnen den Ort an dem sie gefangen gehalten werden gegen Geld verraten würde. „Sobald sie das Geld erhalten haben, tauchen diese Kriminellen natürlich wieder unter."
Gegen Ende der 2000er Jahre hört Trifunovic zum ersten Mal vom illegalen Organhandel in der Region. Es sind zunächst Gerüchte, danach ein Verdacht, der auf einer schmutzigen Realität basiert. „Während des Konflikts", erinnert sich Trifunovic, „sind wir häufig entlang der Straßen auf die Leichen von Kämpfern gestolpert. Eher ältere. Die Körper der jungen gesunden Leute hingegen wurden nie gefunden."
Trifunovic behauptet, dass er einen der Zeugen kennt, der im ersten Bericht der UNMIK zitiert wird. Es ist ein albanischer Nachbar, ein „ehemaliger Chauffeur der UÇK". Auf die Frage, wo ich ihn auffinden könne, lacht er mir ins Gesicht. Bevor er mit finsterer bedrohlicher Miene fortfährt: „Wollt ihr, dass er mich umbringt? Oder dass er selbst hingerichtet wird? Seit langem vertrauen wir keinen Ausländern mehr. Hier manipuliert jeder die Wahrheit. Die Serben verrotten im Gefängnis während die Albaner ihre Straflosigkeit bewahren, unter der schützenden Hand der Amerikaner und westlichen Mächte."
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Translated from Cadavre exquis au pays des merles noirs : chapitre 8