Kosovo - Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln: Kapitel 2
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Lea SauerWar der Kosovo zu Beginn der 2000er Schauplatz für Organhandel mit den Organen inhaftierter Serben, die von kosovarischen Guerillakämpfern gefangen gehalten wurden? Hier nun das zweite Kapitel unserer Serie, in dem es diesmal um eine bunte Stadt, verbeulte Mercedes-Wagen und ein seltsames gelbes Haus geht.
Es war einmal ein gelbes Haus…
Auf dem Balkan herrscht manchmal bleierne Stille. Und das Gold. Und seit dem Ende des Krieges auch eine regelrechte Omertà zwischen den Einwohnern über die Verbrechen, die von den Ex-Mitgliedern der l'UÇK (Befreiungsarmee des Kosovo) begangen worden sind. Die Guerillakämpfer haben erst vor kurzem die politische Bühne verlassen und der Großteil der einstigen Rebellen sind letztendlich die Köpfe der politischen Macht geworden, sowohl in Albanien, als auch im Kosovo. Nur statt Kampfanzug, Vollbart und Kalaschnikow, tragen sie heute italienischen Anzüge, dunkle Sonnenbrillen und fahren in großen schwarzen Linousinen.
Die albanische Hauptstadt Tirana erinnert mit seinen ockerfarbenen Fassaden, seiner faschistisch anmutenden Architektur und den von Palmen gesäumten Terrassen an Rom im Frühling. Als ich eines Aprilabends dort ankomme, scheint die Stimmung zu kochen: Jugendliche treiben sich dort zu jeder Tages- und Nachtzeit herum und das Hupen der im Stau stehenden alten Mercedes-Wagen aus den 80ern durchstößt das Trommelfell. Sonst eher trostlos und grau, kleidet sich die Stadt nun in das flashy Gewand von Edi Rama, ursprünglich gelernter Maler, heute Bürgermeister der Stadt und seit September 2013 auch Premierminister des Landes. Seit seiner Wahl zum Bürgermeister im Jahr 2000 hat er Grünflächen neu bepflanzen und die Ufer der Lana, die die Stadt durchläuft, reinigen lassen. Aber vor allem hat er eine bunte Schocktherapie angewandt, um „den Bewohnern“, wie er sagt, „ihre Moral zurückzugeben“: Die Fassaden der alten Plattenbauten wurden in zitronengelb, lebendigem rot oder apfelgrün angemalt - den Farben eines urbanen Bilderbuchs.
Diese Flut an Farben trägt kaum dazu bei, dass man die Schrecken der schwarzen Kriegsjahre vergessen kann. Die ersten Gerüchte über den Organhandel in Albanien tauchten bereits direkt nach dem Ende des Krieges auf. Ein schreckliches Verbrechen, welches von serbischen Häftlingen ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurde. Diese Häftlinge wurden in geheimen Inhaftierungslagern gefangengehalten. Schwierig zu erreichen waren diese, in den Bergen im Norden, sprichwörtlich an der Grenze zum Kosovo. Laut Zeugenaussagen sollte der Handel mit den Organen die Schwarzgeldbestände der Befreiungsarmee aufbessern, um so ihre Kämpfe zu unterstützen.
Einer der als erstes Wind von der Sache bekam, war ein albanischer Journalist, der zufällig am gleichen Tag geboren wurde, an dem der blutige Diktator Enver Hoxa 1986 starb. In der schwitzigen Atmosphäre einer Kantine irgendwo in Blloku, dem Viertel der ehemaligen Nomenklatura, formt Arben Ringe aus Zigarettenqualm. Er arbeitete zu Beginn der 2000er als redaktioneller Koordinator für den amerikanischen Radioreporter Michael Montgoméry, der sich damals für die bewegte Vergangenheit der Kosovoregion interessierte. Die Aufgabe erschien schwierig, wenn nicht gar unmöglich für Arben: „In Albanien ist es unmöglich Informationen zu eventuellen Kriegsverbrechen zu erlangen, die von den Soldaten der albanischen Befreiungsarmee begangen wurden. Kein Albaner würde je etwas schlechtes über die UÇK sagen. Denn sie, diese Patrioten, sind es, die die Albaner von der serbischen Unterdrückung befreit haben. Egal was sich im Krieg abgespielt hat, die Guerillakämpfer der UÇK gelten als Helden und werden auch immer so gesehen werden.“
Montgoméry schaffte es einige ehemalige Kämpfer dazu zu bringen als Zeugen auszusagen. Sie waren sichtlich von Schuldgefûhlen gezeichnet. Auf seinen Tonbandaufnahmen erzählt ein ehemaliger Fahrer der UÇK, dass er mehrere Serben in ein merkwürdiges, gelbes Haus gebracht habe, nicht weit entfernt von Burrel im nördlichen Gebirge Albaniens. Dabei habe der Fahrer von seinen Vorgesetzten die Anweisung erhalten, die Gefangenen keinesfalls zu verletzen. Nach der Ankunft wurde die körperliche Unversehrtheit von den Ärzten kontrolliert. Der Zeuge berichtet außerdem von Unterhaltungen mit anderen Fahrern, die er führte. Dort fielen die Worte "Organe, Nieren und ihr Transport zum Flughafen". Laut einer weiteren Quelle passierten regelmäßig Lastwagen die albanische Grenze. Sie waren voll mit Serben. Und sie kehren leer in den Kosovo zurück. Wiederum ein anderer Augenzeuge berichtet, dass die UÇK „ein Vermögen mit dem Organhandel macht“. Wo sie doch, nach dessen Aussage, „45 000 Dollar“ pro Körper erhalte.
Arben begleitete Montgoméry damals nach Burrel, um die gesammelten Informationen zu bestätigen und die Zeugen ausfindig zu machen. Er selbst hat Schwierigkeiten die Geschichte zu glauben. „Burrel ist ein gottverlasener Ort irgendwo in den Bergen, die Straßen sind schlecht, es gibt keine Infrastruktur. Die These, dass hier, zu den Hochzeiten des Kosovokonflikts, Organe entnommen und dann zum Flughafen nach Tirana überführt wurden und somit auch die Milizen überall gewesen sein müssten, scheint mir an den Haaren herbeigezogen.“
Sie finden trotzdem das besagte „gelbe Haus“, ein großer Hof in der Nähe von Burrel. Aber aus Mangel an Beweisen, stellen sie die Untersuchungen schließlich wieder ein. Dann 2003 gibt Montgomery die Verantwortung endgültig ab. Im Glauben, dass die internationalen Beamten, die in den Kosovo geschickt wurden, um das Land nach dem Konflikt zu leiten, die nötigen Mittel haben werden, um die Untersuchungen fortzusetzen, übergibt er seine Informationen der MINUK, der Übergangsorganisation der Vereinten Nationen zum Wiederaufbau des Landes.
Du hast gerade das zweite Kapitel unserer Reihe gelesen, die den Spuren des Organhandels im Kosovo nachgeht. Lies in den folgenden Wochen exklusiv hier bei Cafébabel, wie es weiter geht im Thriller um Organhandel, dem Kosovokrieg und den Menschen, die dahinter steckten. Für mehr Informationen klicke hier.
Translated from Cadavre exquis au pays des merles noirs : chapitre 2