Kosovo - Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln: Kapitel 11
Published on
Translation by:
. ChamlianWar der Kosovo zu Beginn der 2000er Handeslplatz für die Organe inhaftierter Serben, die von kosovarischen Guerillakämpfern gefangen gehalten wurden? Angesichts der Tatenlosigkeit Europas mischt nun ein Amerikaner auf der diplomatischen Ebene mit. Warum ist der Kosovo eine amerikanische Kreatur geworden?
XI - Mit freundlichen Grüßen aus Brüssel
Im Dezember 2011 gibt die EU ihre Erschütterung über die Schlussfolgerungen von Dick Martys Bericht preis. Umso größer ist die Fassungslosigkeit, als der Kosovo der größte Empfänger der EG-Beihilfen ist: Rund 1 212 Millionen Euro hat das Land in den letzten fünf Jahren verschlungen. Das Ergebnis? Dürftig. Der kleine Staat kostet viel Geld. Er kostet die EU, die beweisen wollte, dass auch sie in der Lage sei, eine gemeinsame Außenpolitik in ihrer direkten Nachbarschaft zu führen, sehr viel Geld.
Nachdem die mehrheitlich von den Medien verbreiteten Vorwürfe die neue kosovarische Regierung dem Kritikfeuer aussetzten, konnte Brüssel nicht mehr tatenlos rumsitzen. Im Juni 2011 hat die EU eine Special Investigative Task Force (SITF) gegründet. Obwohl sie in Brüssel sitzt, steht die Zelle direkt unter dem Mandat der EULEX [EU-Mission für Rechtsstaatlichkeit im Kosovo; A.d.R.]. Seine Mitglieder genießen Immunität und arbeiten eng mit den anderen Mitgliedern der Mission zusammen.
Der Staatsanwalt, der an die Spitze einer 20-köpfigen Special Task Force gesetzt wurde, heißt John Clint Williamson. Er ist als amerikanischer Richter im Außenministerium in Washington tätig und Spezialist auf dem Gebiet Kriegsverbrechen. Er hat auch für die Vereinten Nationen und innerhalb des Internationalen Strafgerichtshofs, zusammen mit Carla Del Ponte, gearbeitet.
Obwohl Letztere ihre Dienste angeboten hatte, um die Ermittlungen der EU zu leiten, hat mir Del Ponte versichert, nie kontaktiert worden zu sein. Warum nun aber wurde ein Amerikaner an die Spitze einer europäischen Mission gehievt? „Herr Williamson stellte die beste Wahl dar, da er zwei wesentliche Eigenschaften hat: Er ist Staatsanwalt und ehemaliger Diplomat.“ Als ich ihn in der Nähe des Sitzes der Europäischen Kommission in Brüssel treffe, liefert mir Jüri Laas, Sprecher der SITF, die nötigen Hintergründe im Zeitraffer. „Wir mussten hinsichtlich seiner Nominierung auf einen Konsens zwischen den Mitgliedstaaten warten. Die Berufung eines Ad-hoc-Tribunals, das über die Gerichtsbarkeit für internationales Strafrecht verfügt, hätte noch mehr Zeit in Anspruch genommen und wäre kostspieliger gewesen. Die Special Task Force war die schnellste und wirtschaftlichste Lösung, um exklusiv den Vorwürfen des illegalen Organhandels mit den Organen serbischer Gefangener nachzugehen.“
Dick Marty hatte sich klipp und klar über die einzige, zu erfüllende Bedingung geäußert, damit eine neue Ermittlung zu Stande kommt: die Gründung eines Zeugenschutzprogramms. Als ich Laas zur Existenz eines solchen Programms befrage, weicht er aus: „Herr Williamson hat Kontakte auf höchster Ebene geknüpft und die albanischen, serbischen und kosovarischen Präsidenten sind nun damit einverstanden, ihren Beitrag zu den Ermittlungen zu zu leisten. Unser aktuelles Ziel ist es das Ermittlungsgeheimnis zu wahren.“
Williamson, der nur wenige Presseinterviews gewährt, übt sich in Geduld und hüllt sich vor allem gern in Schweigen. Die SITF wird voraussichtlich 2014 ihre Ergebnisse präsentieren - in Wahrheit wurde Williamsons Bericht aber schon im letzten Juli veröffentlicht. Auch das Datum wurde nicht rein zufällig gewählt: Für Juni 2014 war ursprünglich der Abzug der EULEX-Mission aus dem Kosovo geplant. Im Januar 2014 wurden zudem die offiziellen Verhandlungen zum EU-Beitritt Serbiens eröffnet.
Denn die Priorität der Europäischen Union auf dem Balkan ist es, den Erweiterungsprozess voranzutreiben: Serbien in die EU zu integrieren, im Versuch einen Kompromiss zwischen Serben und Kosovaren auszuhandeln, ohne eine der beiden Parteien zu brüskieren. Seit der Eröffnung eines historisch-politischen "Dialogs" zwischen Pristina und Belgrad im April 2013, welcher von der Hohen Vertreterin für die GASP, zum damaligen Zeitpunkt noch Catherine Ashton, mit Häppchen und Presseerklärungen gefeiert wird, gibt es keinen Platz für nervenaufreibende Themen. Der europäische 'Zwerg' schweigt höflich über die eventuellen Gewalttaten, die durch die akuelle Regierung des Kosovo begangen wurden.
In der lichtgedämpften Member's Bar des Europäischen Parlaments erzählt eine EU-Abgeordnete, ohne Blatt vor dem Mund im Off-Modus. „Die Europäische Union hat immer noch nicht die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, weil sie ganz einfach in der Region nicht mit geeinter Stimme spricht. Und die europäischen Staaten haben im Kosovo alle unterschiedliche Interessen, wie in allen Protektoraten.“ Ebenso wie Russland haben Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern sich geweigert, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, aus Angst vor den Konsequenzen im Hinblick auf ihre eigenen nationalen Minoritäten, die regelmäßig Gegenstand autonomistischer Forderungen sind. Den heutigen Kosovo als 'Protektorat' zu bezeichnen, ist eine höfliche Metafer.
Der EU-Abgeordneten zufolge stellt die Abwesenheit eines Zeugenschutzprogramms eine der Haupthürden dar. „Die Länder, die an der EULEX-Mission beteiligt sind, wollen ein derartiges Programm aus finanziellen Gründen nicht ins Leben rufen. Es kostet viel zu viel Geld, einen Zeugen und seine Familie umzusiedeln und ihm eine neue Identität zu geben. Außerdem hat Marty in seinem Bericht keinen einzigen Beweis geliefert, keine Namen, keine Zeugen. Darüberhinaus darf man nicht vergessen, dass es einen Krieg gegeben hat. Doch Dick Marty konzentriert sich nur auf einen der Aspekte dieses Verbrechens. Ich glaube, dass es politisches Kalkül und Manipulation seitens der Staaten gibt, die den Kosovo nicht anerkannt haben.“
In der Organhandel-Affäre hat es nie richtige Beweise gegeben, so in etwa lautet das Brüsseler Motto. Der EU-Abgeordneten weiterhin zufolge, „sind diese Mutmaßungen schlicht und ergreifend der Spiegel eines zerfallenden Staates. Die Bevölkerung hat Angst. In Wirklichkeit ist es aber so, dass wir keine Wahl haben: Es gibt im Kosovo keine politische Alternative zu Hashim Thaçi, den wir gut kennen und der weiterhin der Liebling der USA bleibt.“ Zu verstehen wie folgt: Wenn auch der Kosovo eine amerikanische Kreatur bleibt, sind es die Europäer, die sich die Finger schmutzig machen.
Dies ist das 11. Kapitel unserer Langformat-Serie zum Organhandel im Kosovo 'Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln'. Lies in den folgenden Wochen exklusiv hier bei Cafébabel wie es weiter geht im Politthriller um Kosovokrieg und das Geschäft mit den Toten.
Unter diesem Link könnt ihr die komplette Reportage auch als Multimedia-Content abrufen.
* | *
Translated from Cadavre exquis au pays des merles noirs : chapitre 11