Kosovo - Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln: Kapitel 10
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. ChamlianWar der Kosovo zu Beginn der 2000er Handeslplatz für die Organe inhaftierter Serben, die von kosovarischen Guerillakämpfern gefangen gehalten wurden? Diese Frage ist nach der erschütternden Zeugenaussage eines ehemaligen UÇK-Soldaten in aller Munde. Wie eine anonyme Stimme ein großes Echo beim Konzert der Großmächte hinterließ.
Der Zeuge X
„Mir wurde ein Skalpell gereicht. Ich habe meine linke Hand auf seine Brust gelegt und zum Schnitt angesetzt. Das Blut hat gespritzt. Er hat angefangen zu schreien, er hat uns angefleht ihn nicht umzubringen, ihn nicht zu töten, und dann ist er in Ohnmacht gefallen. Ich weiß nicht, ob er ohnmächtig oder tot war, ich war in keinem Normalzustand mehr.“
September 2012: Zur Prime Time strahlt der Hauptsender des öffentlich-rechtlichen serbischen Fernsehens die schockierende Zeugenaussage dieses ehemaligen Soldaten der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) aus, dessen Gesicht und Stimme unkenntlich gemacht wurden. Die Erzählung, diese erschreckende Erzählung, die das Land erschüttert, wird als das wichtigste Beweisstück einer „parteilosen und unabhängigen“ Ermittlung gehandhabt, die von Belgrad und der serbischen Staatsanwaltschaft gegen die Kriegsverbrecher geführt wird. Außer der Verfolgung der Kriegsverbrecher zielt die Mission dieser serbischen Spezialeinheit auch darauf ab, das Negativimage des Landes im Balkan und darüber hinaus zu schmälern. Vor allem aber sollen in Serbien diejenigen zufrieden gestellt werden, die nach wie vor Zweifel an der Parteilosigkeit des UN-Kriegsverbrechertribunals (ICTY) haben. Der Generalstaatsanwalt des Strafgerichtshofs Vladimir Vukčević wiederholt, er wolle „diejenigen wiederfinden und bestrafen, die dieses ungeheuerliche Verbrechen begangen haben, die unschuldige Serben gekidnappt und umgebracht haben, um ihre Organe illegal zu verscherbeln - ein wahrhaftiger Völkermord.“
In Belgrad, in einem Büro, in dem sich die Akten reihenweise stapeln, behauptet Bruno Vekaric, der stellvertretende Staatsanwalt, dass seine Dienste sechzehn Monate damit zugebracht haben, die Glaubwürdigkeit des "Zeugen X" zu überprüfen. Dieser war Partisan der UÇK, der in einem Gefangenenlager in Albanien ausgebildet wurde und sich 'spontan' bei der serbischen Staatsanwaltschaft gemeldet habe, weil er „im Kosovo des Todes bedroht wird“. Nun verfügt dieser Mann über den Status eines „geschützten Zeugen“ und steht damit „der internationalen Justiz zur Verfügung“. Er ist bereit seine Geschichte all denjenigen zu erzählen, die gewillt sind zuzuhören. Wenn die serbische Presse, die prompt Unterstützung von den internationalen Medien erhalten hat, es nicht verfehlt hat, diesen erschreckenden Bericht des anonymisierten Zeugens zu unterstreichen und neue spektakuläre Enthüllungen in Sachen illegalen Organhandels anzukündigen, so haben sich doch viele Fragen über den ausgewählten Zeitpunkt der Veröffentlichung gestellt.
Die Zeugenaussage wird also am 10. September 2012 ausgestrahlt, nur einen Tag nachdem der Kosovo die volle Souveränität erlangt hat. Selbst der amerikanische Präsident, Barack Obama hatte seine Glückwünsche gesendet. Seit der einseitigen Unabhangigkeitserklärung im Jahr 2008 und trotz der Beschleunigung der politischen Verhandlungen zwischen den serbischen und kosovarischen Regierungen, spaltet die Unabhängigkeit des Kosovos weiterhin die internationale Gemeinschaft. Nach Tatarstan, Tschetschenien, Abkhazien, Süd-Ossetien, Transnistrien und Berg Karabagh sowie jüngst auch der ukrainischen Krim ist der Kosovo nicht die erste Provinz, die ihre Autonomie mehr oder minder über unilaterale Wege einfordert und sich damit den Ärger der Großmächte einhandelt.
So weigert sich etwa Moskau den Kosovo anzuerkennen, diese 'amerikanische Kreatur', während der Kreml Serbiens Initative und die des Sondergerichtshofs für Kriegsverbrechen direkt unterstützt. Russland zögert auch nicht, die Eröffnung internationaler Ermittlungen durch die UNO stark zu machen. „Indem Moskau Serbiens Ermittlungen unterstützt, erweckt der Kreml den Eindruck, dass er verhindert, dass man sich im Kreise dreht“, hatte mir Dick Marty erklärt. „Letztendlich aber bewegt sich nichts. Im Gegenzug verschließen die USA die Augen über das, was in Georgien oder Tschetschenien vor sich geht. Es ist ein Austausch von Gefälligkeiten.“ Bruno Vekaric gibt zu, „dass es einen echten politischen Konflikt um dieses Verbrechen gibt. Nicht nur die Strippenzieher in der Region, sondern auch außerhalb, fürchten, dass die Aufklärung des Verbrechens die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovos durch die internationale Gemeinschaft verlangsamen könnte.“
Seine Landsfrau Nataša Kandić, eine unermüdliche serbische Menschenrechtsaktivistin und Vorsitzende der NGO für humanitäres Völkerrecht in Belgrad, ist da ganz anderer Meinung: „Die Sonderkammer für Kriegsverbrechen in Belgrad hat es nie geschafft Anklage gegen die ehemaligen Polizeichefs und die serbische Armee zu erheben. Das käme damit gleich, die Verantwortung des serbischen Staats für diese Verbrechen in den Vordergrund zu stellen, und davon will man hier nichts hören.“
„Die serbische Staatsanwaltschaft stellt häufig die Geschichte des illegalen Organhandels in den Vordergrund und droht mit dem Marty-Bericht, der zu politischen Zwecken instrumentalisiert wird“, fährt Kandić fort, während mich ihre Augen hinter ihrer runden Brille anstarren. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass der illegale Organhandel stattgefunden hat. Aber Marty selbst hat nur Beweise in zehn Fällen“, bemängelt sie. Für sie ist es nicht gewöhnlich, dass ein Zeuge im Rahmen solch sensibler Ermittlungen öffentlich zur Schau gestellt wird wird. Kandić zufolge ist die Glaubwürdikeit des Zeugen X fragwürdig. „In den letzen Jahren hat all das, was die Sonderkammer gemacht hat, die politische Position der serbischen Regierung gegenüber dem Kosovo bestätigt. Mit dem neuen Kabinett, das nach den Präsidentschaftswahlen 2012 gebildet wurde, [bei der Gelegenheit wurde der ehemalige Premierminister Boris Tadic durch Ivica Dačić ersetzt, A.d.R.] wusste Vukčević nicht konkret, was er erwarten könne. Um sein Überleben zu sichern, war er dann übereifrig.“ Nataša Kandić findet sehr klare Worte: „den Zeugen X in die Medien zu bringen ist überhaupt nicht professionell. Das trägt nur zur Wiederbelebung des Schmerzes und Leids der Familien und Angehörigen der Verschwundenen bei. Außerdem benachrichtigt der Medienrummel eventuelle Beteiligte an den Verbrechen darüber, dass sie im Visier der Justiz sind. Sie könnten dadurch flüchten und sich absetzen.“
Dies ist das 10. Kapitel unserer Langformat-Serie zum Organhandel im Kosovo 'Verborgene Leichen im Land der schwarzen Amseln'. Lies in den folgenden Wochen exklusiv hier bei Cafébabel wie es weiter geht im Politthriller um Kosovokrieg und das Geschäft mit den Toten.
Unter diesem Link könnt ihr die komplette Reportage auch als Multimedia-Content abrufen.
Translated from Cadavre exquis au pays des merles noirs : chapitre 10