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Kopftuch, Kruzifix, Weihnachtsbaum: Gretchenfrage quält Europa

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Gesellschaft

Wie halten es die Europäer mit der Religion? Die Schweizer verbieten neue Minarette, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verbietet Italien, im Klassenraum Kruzifixe aufzuhängen. Eine schwedische Schule lehnt Schleier ab, eine niederländische Schule den Weihnachtsbaum und eine Studie behauptet, Religion entstehe aus Unsicherheit.

De Volkskrant: „Kurzsichtig und engstirnig“; Niederlande

Die Fachhochschule in Den Haag will keinen Weihnachtsbaum aufstellen, da dies nicht dem multikulturellen ©bendylan/flickrCharakter der Schule entspreche. Die Kolumnistin Malou van Hintum fragt in der Tageszeitung De Volkskrant, ob die Schulleitung nun total verrückt ist: "Diversität in der Gesellschaft zu akzeptieren heißt, sie sichtbar zu machen statt zu verstecken. [...] Wir sind verschieden, wir denken verschieden, wir leben verschieden. Gebt einander so viel Freiheit und Raum wie möglich, um das auszudrücken. Das gilt insbesondere, wenn es um die festlichen Seiten einer Überzeugung geht, ob das die Prozessionen der Katholiken sind oder der heidnische Weihnachtsbaum, der geräuschlos in das religiöse Fest aufgenommen wurde und nun so manches säkulare Wohnzimmer, Klassenzimmer oder Schaufenster schmückt. [...] Die Hochschule untergräbt mit dem Weglassen des Weihnachtsbaums gerade den 'internationalen und vielseitigen' Charakter der Schule. Das ist nicht politisch korrekt. Das ist kurzsichtig und engstirnig. Und schrecklich langweilig."

(Artikel vom 09.12.2009)

Newsmill: „Bedeutet Religionsfreiheit auch Freiheit von extremen Ansichten im Umfeld von Kindern?“; Schweden

Eine Schule in Stockholm hat einer Schülerin verboten, mit Schleier am Unterricht teilzunehmen. Da in Schweden kein generelles Schleierverbot gilt, hat sich die Schülerin aus dem Stadtteil Åsö beim Ombudsmann für Diskriminierung beschwert. Die in Stockholm für Schulfragen verantwortliche Lotta Edholm kündigt im Meinungsforum Newsmill an, dem Fall nachzugehen: "Ich bin sehr skeptisch. Aber genau darum geht es in der Frage: Was darf man im Namen der Religion tun? Wie weit geht die Religionsfreiheit? Bedeutet die Religionsfreiheit auch die Freiheit von extremen Ansichten im Umfeld von Kindern? Ich will das geprüft haben. Wenn der Ombudsmann für Diskriminierung die Regeln in Åsö für falsch befindet, wird Stockholm diese Entscheidung vor Gericht prüfen lassen."

(Artikel vom 08.12.2009)

The Guardian: „Volkstümliche Religiosität ist eine Stütze“; Großbritannien

Zufriedene Menschen brauchen keine Religion, schreibt Sue Blackmore in ihrem Blog für die linksliberale Tageszeitung The Guardian: "Volkstümliche Religiosität wird von dysfunktionalen sozialen Bedingungen hervorgerufen. Zu diesem Ergebnis kommt die neueste soziologische Untersuchung von Gregory Paul. Ihm zufolge ist Religion weit davon entfernt, Gesellschaften einen Nutzen zu bringen, wie die 'sozioökonomische Hypothese der Moralschaffung' uns glauben machen will. Volkstümliche Religiosität ist ein psychologischer Mechanismus, um mit einem hohen Grad von Stress und Angst umgehen zu können. [...] 'Sie ist eine Stütze, die Menschen suchen, wenn sie sich in extremem Stress befinden, eine natürliche Erfindung des menschlichen Geistes als Antwort auf eine schädliche Umgebung'. US-Amerikaner, so sagt er, leiden unter enormem Stress und enormer Angst, weil sie keine flächendeckende Gesundheitsversorgung haben und riesige Einkommensunterschiede. Unter diesen Umständen bringt der Glaube an einen übernatürlichen Schöpfer und das Einhalten religiöser Riten Erleichterung. Im Gegenzug dazu ist das Leben der Mittelklasse-Mehrheiten in Westeuropa, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan sicher genug, ohne dass sie bei einem übernatürlichen Schöpfer Hilfe suchen müssen."

(Artikel vom 08.12.2009)

Komment: „Publizisten zur Vorsicht mahnen“; Ungarn

Das Minarett-Verbot in der Schweiz zeigt vor allem, wie viel Angst vor dem Fremden herrscht, schreibt der Historiker und Publizist Attila Novák auf der Meinungsseite Komment.hu: "Im Hinblick auf den europäischen Islam gibt es die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, also zwischen totaler Integration und totaler Ablehnung. Vor dem Hintergrund der historischen Beispiele aus Europa möchte ich all jene Publizisten zur Vorsicht mahnen, in deren Köpfen die Bilder islamistischer Terrororganisationen und friedlicher Muslime häufig untrennbar miteinander verwoben sind und die mithin dazu neigen, den Islamismus der gesamten islamischen Gemeinschaft überzustülpen. [...] Das Minarett-Gesetz in der Schweiz wird die radikalen Muslime nicht daran hindern, ihre Lehren zu verbreiten. [...] Das Gesetz offenbart nicht zuletzt die Angst vor dem Fremden, was mit Blick auf die Zukunft nichts Gutes verheißt."

(Artikel vom 08.12.2009)

Dnevnik: „Vier Minarette im Herzen Europas werfen Licht auf ein krasses Problem“; Bulgarien

Die Debatte um das Schweizer Referendum gegen Minarette zeige, dass Europa neue Integrationsmodelle für Muslime braucht, meint die Tageszeitung Dnevnik: "Beim Morgengrauen des Islam waren die Minarette Wachtürme, die mit Fackeln beleuchtet wurden, und später wurden sie zum Herbeirufen der Muslime zum Gebet benutzt. Heute werfen vier Minarette im Herzen Europas ihr Licht auf ein krasses Problem. [...] Die Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in Dänemark 2006, die scharfen Debatten nach der Rede von Benedikt XVI. in Regensburg ein Jahr später, der Film Fitna des rechtsextremistischen niederländischen Politikers Geert Wilders, und vorher der Mord am Regisseur Theo van Gogh gehören dabei nur zu den anschaulichsten Beispielen. Keiner hat erwartet, dass die Integration der muslimischen Immigranten in Europa leicht und konfliktfrei sein würde. Und in diesem Fall geht es nicht um deren Scheitern, sondern um ein Zeichen, dass man auf die Herangehensweisen zum Erreichen dieses Ziels achten sollte."

(Artikel vom 09.12.2009)

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