Participate Translate Blank profile picture
Image for Kopenhagen: Slowlife mit Rückenwind

Kopenhagen: Slowlife mit Rückenwind

Published on

ImpactEUtooUmwelt

Ein paar Kilometer außerhalb von Kopenhagen, in einer Bucht namens Scanport, verbirgt sich Hawila, ein antikes, 25 Meter langes Segelschiff. Um es wieder seetüchtig zu machen, arbeitet eine Gruppe von jungen Menschen an seiner Restauration. An Deck kämpfen sie gegen den immer schneller werden Rhythmus unserer Zeit und setzen sich für die Umwelt ein. 

In Hawila landen Flugzeuge aus allen vier Himmelsrichtungen im Minutentakt. Hier, in der Mündung zum Baltischen Meer, sieht man mindestens genauso viele Containerschiffe wie Flieger am Himmel, die ihre tonnenschwere Fracht tagtäglich im Hafen be- und entladen. Doch nicht hier, sondern im alten Industriegebiet der Stadt, direkt neben dem Flughafen, versteckt sich das beeindruckende Segelschiff aus Holz, das neben den gewöhnlichen Sportjachten aussieht wie Piratenschiff, entsprungen aus einer anderen Zeit.

An diesem kühlen Nachmittag im März lädt der kühle Wind dazu ein, die Luke am Eingang des Schiffes schnell zu öffnen. Einmal herabgestiegen ist die Atmosphäre ruhig und friedlich. Während der Winterzeit ist die Gemeinschaft, die am Projekt „Hawila“ beteiligt ist, oft weit verstreut und findet erst ab Beginn der ersten Frühlingstage wieder zusammen. Wir treffen eine Gruppe Reisender, die gekommen sind, um ein paar Nächte auf dem Schiff zu verbringen, denn seit kurzem werden die Kajüten auch über AirB'n'B vermietet. Mit dem dazu verdienten Geld kann dann Material für die Instandhaltung des Schiffes gekauft werden.

Samuel Faucherre ist einer der Gründer des Schliffprojektes und erklärt uns, dass gerade die Ruhe vor dem Sturm herrscht. Sobald die Tage in Dänemark länger werden, beginnen die vielen kulturellen Aktivitäten, die von ihm und den freiwilligen Helfern rund um das Boot herum organisiert werden. Musikfestivals, Präsentationen, Workshops: Hawila verwandelt sich in einen Ort der Begegnung und des Austausches und soll seine Besucher auf umweltpolitische Probleme aufmerksam machen. Die Freiwilligen helfen außerdem bei der Restauration des alten Schiffes. Bis Ende 2017 wollen sie es wieder völlig seetüchtig gemacht haben, um Waren vom Norden in den Süden Europas zu transportieren, und zwar nur mit der Hilfe von Windkraft.

Eine vergessenen Fortbewegungsart aufleben lassen

Im Jahr 1935 erbaut, um große Eisblöcke zu transportieren, wurde der Zweimaster von seinem letzten Besitzer aufgegeben und zerfiel mehr und mehr in seine Einzelteile. 2015 kauften Sam und seine Bande das Schiff für den Preis einer dänischen Krone und schenkten ihm dadurch ein zweites Leben. Das Projekt soll bald eine Alternative zum gewöhnlichen Meerestransport bieten.

„Heutzutage sind 90% der internationalen Handelswaren mindestens ein Mal in der Produktionskette mit einem Schiff von A nach B transportiert worden“, erklärt der 29-jährige Samuel, Seemann und Nordpol-Wissenschaftler. Der aus der Bretagne stammende junge Mann fügt hinzu, dass die 15 größten Containerschiffe der Welt die Luft in gleichem Maße verschmutzen, wie alle fahrenden Autos zusammen.

Das Ziel der Truppe sei es natürlich nicht, Ware so schnell und so billig wie mögliche überall in die Welt zu verschiffen. Die Gründer des Projekts Hawila haben sich stattdessen entschieden, ein lange vergessenes Fortbewegungsmittel wieder aufleben zu lassen - das Segelboot. Eines, das die Langsamkeit zelebriert und die Luft nicht verschmutzt. Sam erklärt: „Wir wollen mit regionalen Produzenten zusammenarbeiten, kleinen Communities, die nicht in die Massenproduktion eingestiegen sind.“ Schokolade, Olivenöl, Kaffee, Rum und Cider sind zum Beispiel ökologische Produkte, die transportiert werden sollen.

Über den Tellerrand hinaus

Von der kleinen Küche im Inneren des Bootes, in der gerade Kaffee gekocht wird, steigt man ein paar Stufen weiter hinunter in den Rumpf des Schiffes. Hier befindet sich der Gemeinschaftsraum, auch „Mess Room“ genannt. Er dient auch als Schlafsaal, mit Kabinen für 20 Personen, die sich um eine großen Tisch in der Mitte drängen. Das Licht ist gedämpft, alte Gitarren und Fotos der Hawila schmücken die Wände.

An Bord des Schiffes leben die jungen Freiwilligen mit der Einstellung, auch mal über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Die meisten Mitglieder der Crew kommen aus Europa und haben schon oft Erfahrungen mit dem Leben auf See gemacht. Viele von ihnen haben außerdem ein wissenschaftliches oder künstlerisches Studium abgeschlossen und suchen nun nach einer Lebensweise fern von der Konsumgesellschaft.

Sie haben auf der Hawila ein genügsames Leben gefunden und gehen „containern“ [das Suchen nach noch essbaren Lebensmitteln in Mülleimern von Supermärkten; A.d.R.], um ihre Lebenskosten so gering wie möglich zu halten. Das Team will außerdem irgendwann nur noch selbst hergestellten Strom benutzen und sich von selbst angebauten Lebensmitteln ernähren. Sam würde auch gerne ein paar Windräder am Heck des Schiffes installieren und Solarzellen am Dach anbringen, um die Instrumente an Bord sowie die Heizung und das Stromnetz zu versorgen. Im Marinelook und mit Mütze auf dem Kopf sieht man dem jungen Forscher an, dass er Lust hat, mit vielen weiteren Dinge zu experimentieren. Er träumt zum Beispiel von einem Gewächshaus und einem Hühnerstall.

Freiheit, Verantwortung und flache Hierarchien

Gabriele, ursprünglich aus Palermo, eine Stadt in Sizilien, segelte mehrere Jahre mit einem Schiff übers Meer. Nepal, Kamerun, Malaysia - der diplomierte Landwirt hat schon viel von der Welt gesehen. Jetzt, nachdem er wieder in Kopenhagen angekommen ist, möchte er mit Hilfe des Projekts vor allem neue Arten des Zusammenlebens entdecken. Er erklärt: „Das Leben auf dem Boot ermöglicht einem viele Freiheiten. Wir haben keine speziellen Regeln oder Grenzen. Aber gleichzeitig trägt jeder von uns ein Stück Verantwortung, sonst funktioniert das hier nicht.“

An einem Morgen steht Gabriele, ein Lockenkopf mit Drei-Tage-Bart, am Rumpf des Bootes. Es ist kühl, die Leute schlafen noch fest im Mess Room. „Wenn man in einem so begrenzten Raum lebt wie hier auf dem Schiff, lernt man, alles zu teilen. Man nimmt sich selbst ein wenig zurück und lernt, den anderen  besser zuzuhören“, erklärt er. Gabriele hat ähnliche Ziele wie die anderen Freiwilligen. Er möchte das Projekt nutzen, um etwas zu kreieren, an dem sich alle beteiligen können, auf gleicher Ebene, ohne Hierarchien.

Auf der Hawila arbeiten alle freiwillig. Das Ziel des Projektes sei es ja nicht, Profit abzuwerfen, erzählt Gabriele. Mit dem Wunsch unabhängig zu bleiben, hat das Team außerdem entschieden, sich ohne fremde Hilfe zu finanzieren. „Ich wollte eines Tages sagen können, dass wir uns selbst durchgeboxt haben, dass wir es alleine geschafft haben“, erklärt Sam.

„Die Cop 21? Das war Blödsinn“

Durch seine Arbeit am Nordpol konnte Sam sich ein eigenes Bild über den negativen Einfluss der Menschen auf die Umwelt machen. Enttäuscht von den Politikern, entschied er, selbst etwas für das Klima zu tun und nicht weiter zu warten. „Während der COP21 [Weltklimagipfel Ende 2015 in Paris; A.d.R.] hatte ich noch Hoffnung. Ich dachte, es würde sich was ändern. Aber das war alles Blödsinn, die Politiker haben wieder nur an ihre eigene Karriere gedacht.“ Dem jungen Seemann nach zu urteilen „müssen die Lösungen von unten kommen“. So ist auch das Projekt Hawila entstanden. „Ich wollte nicht einfach nur leben, konsumieren und sterben. Und vielleicht wird aus diesem Projekt letzten Endes auch gar nichts und es bleibt ein Tropfen auf den heißen Stein, aber dann haben wir es wenigstens versucht.“

Alina, die 2009 nach Dänemark kam, hat viele Jahre am Projekt Ecovillage mitgearbeitet, bevor sie sich der Hawila anschloss. Die belgisch-rumänische 29-Jährige ist in den USA aufgewachsen und überzeugt, dass der Erfolg des Projektes vom Austausch der Menschen untereinander abhängt. Alina sieht die kulturelle Vielfalt als Inspirationsquelle: „Damit bereichern wir uns gegenseitig.“ Und sie fügt hinzu: „Wir sind gemeinsam stärker, als wenn jeder alleine gegen das politische System kämpfen würde, das so schwer zu verstehen und zu beeinflussen ist.“ Von Hafen zu Hafen wollen die 'Hawilieros' Besucher deshalb durch kulturelle und künstlerische Events auf umweltpolitische Fragen aufmerksam machen und Alternativen anbieten. Gut, dass sie in den meisten Häfen kostenlos anlegen dürfen.

___

Dieser Artikel ist Teil unserer Reportagereihe 'EUtoo' 2015 zu 'Europas Enttäuschten', gefördert von der Europäischen Kommission.

Translated from Copenhague : la slow life a le vent en poupe