Knast haben
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...wie heißhungrige Europäer sprachlich ihren Appetit stillen und dabei trotzdem eine gute Figur machen.
Diät, im Deutschen ein harmloses Wort. Ehrlicher ist das französische régime, mit seinem Ruch von Regierungsform. Bewaffnet mit Kalorientabellen und eisernem Willen in den Kampf gegen das Untier in den Eingeweiden. Erst zieht es, dann zwackt es, dann kommt der "scharfe Hunger" (ostry głód), wie er in Polen heißt.
Zur Steigerung werden europaweit die großen Beutegreifer bemüht. Einen "Wolfshunger" hat man in Polen (welczy głód), in Frankreich (une faim de loup)und in Italien (una fame da lupi) und in Deutschland Bärenhunger. In Spanien ist man hungriger als der "Hund eines Blinden" (más hambre que el perro de un ciego) oder wird gar desmayado ("ohnmächtig") vor Hunger. In Italien sieht man nichts vor Hunger (non ci vedo dalla fame) und der Hunger kann schweinemäßig werden (una fame porca).
Dieser innere Allesfresser ist's, der einen nachts zum Kühlschrank treibt. Die tagsüber vermiedene Fressattacke - jetzt ist sie da. Ob von der französischen fringale (einer ehemaligen Pferdekrankheit, die Hunger verursachte), der spanischen avidez oder den englischen munchies (Heißhunger besonders nach Cannabis-Konsum) gepackt: Das Opfer schlingt das Essen herunter (to wolf down) und ein messbares Ergebnis ist quasi sicher.
Doch auch wer widersteht ist in Gefahr. Die Lust am Sieg über die Lust kann zum Selbstläufer werden. In Frankreich ist daher seit kurzem die "Verführung zur Magersucht" (l’incitation à l’anoréxie) eine Straftat.
Völlig fremdbestimmt erfolgt das Kalorienzählen im Knast, dem Gefängnis. Hier herrscht eine ganz spezielle Form von 'Gegessen wird was auf den Tisch kommt'. Im Osten Deutschlands beschreibt man daher mit: "Mann hab’ ich Knast, ich könnt ein ganzes Schwein verdrücken!" die Sehnsucht nach einem Mahl im Stile eines gewissen kleinen Dorfs in Gallien.