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Ken Yamamoto: 'Mehr Menschen mit wichtigen Anliegen sollten sich in den Slam trauen'

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BrunchKultur

Die Grenzen der Sprache hat der japanisch-deutsche Poetry Slammer längst hinter sich gelassen: der überzeugte Europäer zu Multikulti-Kindern und ernsthaften Anliegen in Gedichten.

"In der Dämmerung

überreizt

von den Dämmerungen

ist das Gedicht

der einzige Ort,

an dem noch Klarheit herrscht"

*Zwielicht

Am Tag nach seiner Vorstellung beim Berliner Literaturfestival sitzt mir im Café ein ziemlich entspannter junger Mann gegenüber. Ken Yamamoto, Sohn eines japanischen Vaters und einer deutschen Mutter, gehört zu einer neuen Generation von Lyrikern. Liest man seine Texte, die er in seinem Blog veröffentlicht, mag man kaum glauben, dass hinter diesen Zeilen ein Dichter steht, der sich nicht nur im Stillen schöne Verse ausdenkt, sondern diese auch vor großem Publikum vorzutragen weiß. Trifft man ihn jedoch in Natura, wird sofort klar, dass er mitnichten ein menschenscheuer Poet, sondern ein unterhaltsamer junger Mann mit einer Message ist.

"Es war einfach toll", schwärmt er vom Poetry Slam am vorherigen Abend, "Künstler aus verschiedenen Ländern haben in ihrer Muttersprache vorgetragen - und es hat funktioniert". Dazu muss man wissen, dass das keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Beim Poetry Slam, einem literarischen Vortragswettbewerb, treten die einzelnen Teilnehmer in Konkurrenz zueinander auf. Sie präsentieren Ihre Texte einem Publikum, das sie anschließend bewertet. "Gerade wenn es keine Übersetzung gibt, muss viel mit Körpersprache gearbeitet werden. Die Verständigung geht über die Sprache hinaus, es geht mehr darum, eine Atmosphäre zu schaffen."

Dafür gibt es keinen besseren Repräsentanten als Ken Yamamoto selbst. Mit seinen Gedichten in deutscher Sprache geht er auf Tour in verschiedenen europäischen Ländern und trat neben Deutschland bereits in der Schweiz und Italien auf. Bisher gab es nie Verständigungsprobleme. Ich frage ihn, warum er denn hauptsächlich auf deutsch dichtet, hat er doch seine ersten Lebensjahre in Paris verbracht und somit die französische Lebensart und Sprache von klein auf eingeatmet. "Deutsch ist meine Muttersprache, da ich sie von meiner Mutter gelernt habe", so Yamamoto, "aber mit Frankreich verbindet mich immer noch sehr viel". Nach der Trennung seiner Eltern, mitten in der Pubertät, zieht er zunächst mit seiner Mutter ins deutsche Baden-Baden. "Die Hälfte der Familie ist aber in Paris geblieben. Französisch ist für mich die einzige Kommunikationssprache mit meinem Vater, da ich leider kein Japanisch spreche."

'People give a shit about poetry', teilt Ken Yamamoto seinem Hacker in seinem Blog mit. 'I wish I would be more important but sadly my (absent) success keeps me down to earth'. (Foto: www.kenyamamoto.com)

Eine Milliarde von Gedichten über die Liebe und das Leben

Ungefähr zu dieser Zeit kommt der junge Ken erstmals in Berührung mit Literatur. Er verschlingt eine Anthologie französischer Dichtung, die ihm seine Mutter schenkt. Kurz darauf folgen auch seine ersten Gehversuche als Dichter. "Es war natürlich pubertäre Poesie, doch mit der Zeit wurde sie qualitativ besser." Das Studium, das er mehr aus Pflichtgefühl statt aus Interesse begonnen hat, lässt er schnell fallen. Irgendwann ist er bereit, seine Gedichte live zu präsentieren. "Die Gedichte, die ich vortrage, sind aggressiver als die geschriebenen. Man muss das Publikum in seinen Bann ziehen." Yamamoto weiß um das Oxymoron 'vorgetragener Dichtung'. "Natürlich gibt es diese Diskrepanz zwischen dem intimen Moment des Schreibens und dem öffentlichen Moment des Vortragens. Es ist auch sehr schwierig, sich vor ein Publikum hinzustellen, wenn dein Gedicht stark autobiographisch geprägt ist". Die Inspiration schöpft Yamamoto aus seiner Umgebung: "Es sind nur wenige Themen... die Liebe, das Leben. Aus diesen wenigen Themen kann man eine Milliarde von Gedichten machen."

Jemand, der einen so interessanten Lebenslauf hat, der das macht, was er immer tun wollte - hat so jemand denn überhaupt noch Träume? "Aber natürlich! Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen, die ein wichtiges Anliegen haben, in den Slam trauen. Nichts gegen Comedy und Lachen, das ist völlig in Ordnung. Aber es wäre schön, wenn die Leute weniger Scheu hätten, Themen anzusprechen, die nicht unbedingt unterhaltsam sind."

Fünffache kulturelle Identität

Spätestens jetzt möchte ich wissen, was eine Person mit solch einem Anliegen und solch einem multikulturellen Hintergrund über Europa denkt. Als hätte er darauf nur gewartet, legt Yamamoto los (und verspricht dabei, sich kurz zu fassen, was ihm nicht ganz gelingt). "Dazu habe ich einiges zu sagen. Ich möchte aber zuerst mit Deutschland beginnen. Ich bin verheiratet mit einer Kolumbianerin, und die meisten meiner Freunde tragen Nachnamen, die von fremder Herkunft zeugen. Diesen Mix an Kulturen finde ich klasse. Deutschsein bedeutet für mich nicht dein Blut oder sonst irgendwas, sondern es ist deine kulturelle Identität." Sieht er sich denn als Deutscher? "Eigentlich fühle ich mich als kulturelle Mischung, aber als ich in Kolumbien war, habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass ich deutsch bin. Das hat mich ganz schön schockiert übrigens."

"I have a dream" sagt Yamamoto zwar nicht, doch was er sich wünscht, geht schon stark in diese Richtung: "Trotz solchen Phänomenen wie Angst vor Terror, die zwar nicht von ungefähr kommen, aber vieles verhindern, wäre es schön, wenn sich die Menschen in Deutschland nicht verschließen, sondern diese schöne Realität der kulturellen Vielfalt zu schätzen wüssten. Das gilt im Übrigen genauso für die Einwanderer und Kinder der Einwanderer, die sich leider noch viel zu oft ausgrenzen, wie manche meiner Freunde. Ich freue mich total darauf, wenn meine Kinder mal eine drei-, vier- oder fünffache kulturelle Identität haben."

Bier holen in Europa

Genau das lässt sich für ihn auch auf Europa anwenden: Europa muss noch viel stärker zusammenwachsen. Die europäischen Bürger sollten alles globaler und nicht nur national engstirnig sehen. Sie sollten sich auch als Europäer definieren. Bei ihm ist das längst passiert, und zwar anhand eines Schlüsselerlebnisses während eines Italienurlaubs - zur Zeit der Einführung des Euro. "Wir saßen mit einem Haufen verschiedener Europäer da und wollten Bier holen. Davor war das immer ein ewiges Zusammenkramen unterschiedlicher Währungen und dann: das mühselige Umtauschen. Diesmal war alles so einfach: "Hey, hier haste fünf Euro, von mir 'nen Zehner. Komm, lass uns Bier holen." Der Euro als Katalysator für ein europäisches Gemeinschaftsgefühl - das ist Basispolitik wie aus dem Bilderbuch, oder, besser gesagt, wie aus dem Gedichtband.