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Kellnern für die Queen

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Gesellschaft

Seit der EU-Erweiterung suchen immer mehr junge Polen ihr Glück in Großbritannien. Sie packen, kellnern und hoffen auf die große Karriere.

Im Bedienstetentrakt des Londoner Science Museum steht ein korrekt gekleideter Mann pakistanischer Abstammung vor einer Gruppe junger Polen und gibt Anweisungen: Die Krawatte ordentlich richten, die Schürze über die Knie, keine Ohrringe und Ketten, die Haare aus dem Gesicht. „Zur Toilette wird nur gegangen, wenn ich es erlaube. Wen ich heimlich essen sehe, der darf sofort nach Hause gehen.“ Agnieszka blickt auf ihre polierten Schuhe. Ihre Freundin Magda war fünf Minuten zu spät dran und bekam statt des erhofften Gehalts die Erlaubnis, sofort wieder nach Hause zu fahren. Eine bekannte Persönlichkeit der Londoner High Society richtet in den repräsentativen Museumshallen ein Dinner für 300 Gäste aus. Verspätungen werden da nicht geduldet.

Agnieszka ist froh, dass sie heute für den Empfang eingeteilt ist und danach bis zwei Uhr nachts bedienen darf. Bei dem britischen Mindestlohn von 5,50 Pfund pro Stunde verdient sie so an einem Abend 49,50 Pfund. In Polen ist das ein Viertel eines wöchentlichen Lehrergehalts. Nachdem sie in Wroclaw ihre Ausbildung zur Optikerin beendet hatte, kam Agnieszka Olszowka vor eineinhalb Jahren nach London. Um ihren Akzent loszuwerden, arbeitet sie für die polnische Firma Silver Catering. Die harte Arbeit und die langen Schichten machen Agnieszka nichts aus. So hat ihre Chefin Kamila schließlich auch einmal angefangen.

Ein Traumgehalt

Kamila Wiesniewska-Galka war 1998 „Miss Polen“. Damals reiste sie um die Welt, trank Champagner und verdiente viel Geld. Im selben Jahr schloss sie ihr Informatikstudium ab. Drei Jahre später folgte Kamila ihrem Freund nach London. Sie verdingte sich als Kellnerin und servierte bei Empfängen, auf denen sie früher vorgestellt worden wäre. Heute steht die 30-jährige am Mitarbeiter-Eingang des Science Museum und checkt eines ihrer drei Handys. Sie trägt ein violett-braun kariertes Tweed-Jäckcken über ihrem orangefarbenen Rolli. Kamila ist nun eine Dame der oberen Gesellschaft, niedergelassen hat sie sich standesgemäß im Londoner Reichenviertel South Hampsted.

Einige der fast 650 Kellner, die für sie arbeiten, hatten sogar die Ehre, auf dem traditionellen Polo-Turnier der Queen zu servieren. Zwei Drittel von Kamilas Angestellten sind Polen, die über Freunde und Verwandte oder eine polnische Zeitungsanzeige zu ihr gekommen sind. Kamila inseriert nicht in englischen Zeitungen. Kein Brite würde für 5,50 Pfund so hart arbeiten. Für Polen, Tschechen und Slowaken ist das ein Traumgehalt. Darauf spekulierte vor zwei Jahren auch die britische Regierung.

Angst vor der polnischen Invasion

Als im Mai 2004 zehn mittel- und osteuropäische Länder der Europäischen Union beitraten, ergriffen die Briten die Gelegenheit, an billige Arbeitskräfte zu kommen. Als eines von nur drei Ländern der EU bot Großbritannien den neuen EU-Bürgern eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis. Laut dem Migrations-Bericht der britischen Regierung bewarben sich daraufhin bis Juni 2006 fast eine halbe Million Arbeiter aus den neuen Ländern der Union in Großbritannien erfolgreich um Arbeit. Der britische Arbeitgeberverband schätzt, dass mindestens weitere 100 000 ohne Registrierung beim Arbeitsamt einwanderten. 82 Prozent der Migranten sind laut Regierungsstatistik zwischen 18 und 34 Jahre alt.

Jeder zweite der offiziell registrierten Einwanderer kommt aus Polen. Wie die meisten Einwanderer arbeiten sie in Fabriken, als Warenhausarbeiter oder Packer. Doch sie servieren den Briten auch den morgendlichen Tee und die abendliche Pint. Der Ausdruck polish waiter („polnischer Kellner“) ist zu einem festen Begriff geworden. Die Boulevard-Zeitungen warnen schon vor einer „polnischen Invasion“ durch schlecht ausgebildete, junge Osteuropäer, die sich in Großbritannien eine goldene Nase verdienen wollten.

Polnisches Potenzial

Doch in Wahrheit stellen die neuen Migranten kaum Ansprüche an das Sozialsystem. Die meisten der Polen in Großbritannien sind gut ausgebildet. Viele haben einen Universitätsabschluss und wissen nicht, ob und wann sie zurückgehen. Dr. Olgierd Lalko, Vorsitzender des polnischen Kultur- uns Sozialverbands in Großbritannien, kann die Geschichte vom „polnischen Kellner“ nicht mehr hören. „Diese Angst vor Überfremdung ist doch lächerlich. Mit Exil-Polen hat es hier noch nie Probleme gegeben“, sagt er.

Sicher kämen eine Menge Polen, weil sie als billige Arbeitskraft vergleichsweise viel Geld verdienen könnten. Aber es gebe eben auch eine Generation von Migranten, die während des Krieges von den Deutschen vertrieben worden sei und sich nach Kriegsende in Großbritannien eine neue Existenz aufgebaut habe.

Wie Lalko trinkt auch die 31-jährige Ania Lichtarowicz lieber Tee als Wodka. Sie hat am angesehenen Londoner King’s College studiert. Heute ist sie Senior-Reporterin bei der BBC. Ania gehört zu einer gut ausgebildeten europäischen Elite – so wie viele junge Polen. Einige wollen später bei der Europäischen Kommission arbeiten, andere im Management internationaler Konzerne oder bei den Vereinten Nationen.

Zurück zur Heimaterde

Was kann Polen diesen jungen Leuten noch bieten? Das fragen sich viele Politiker in Warschau. Die polnische Senatsabgeordnete Ursula Gacek möchte durch eine Gesetzesinitiative die jungen Auswanderer wieder in die Heimat zurücklocken. Einige ihrer Kollegen sind nach London gefahren, um gut ausgebildete Polen für ihre Wahlkreisarbeit zu werben. Bis zu 500 Pfund pro Woche haben sie geboten. Noch ist dafür keiner nach Wroclaw zurückgekommen.

Mit solchen Peanuts lässt sich Kamila Wisniewska-Galka natürlich nicht locken. Das ist aber auch gar nicht nötig. Viel wohler als in England fühlt sie sich immer noch in Posnan: „Wir Polen sind so sehr mit dieser Erde verwachsen, dass wir alle irgendwann zurückkehren.“ Doch spätestens seit dem EU-Beitritt sind auch jenseits der Oder die Zeiten vorbei, in denen man auf ewig an seine Scholle Land gebunden war. Junge Polen gehen heute nicht nur ins Ausland, um die Königin von England zu bedienen. Auch wenn sich britische Boulevardblätter das gerne so zusammenreimen.