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Keine Zeit für Selbstzweifel

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Kultur

Das Studium an der Filmhochschule im polnischen Łodz ist eine Schule fürs Leben.

Dara ist müde. Den ganzen Tag hat sie nach einer passenden location für ihren Semesterfilm gesucht. Nun hat sie eine Wohnung mit einem weitläufigen Badezimmer gefunden; in dem die Geschichte einer Teenagerliebe spielen soll. Das gesamte Drehbuch muss umgeschrieben werden - einen Monat vor Drehbeginn. Die 21-jährige junge Frau mit der ungewöhnlich kehligen Stimme ist mit 18 Jahren aus New York nach Łodz gekommen, um hier Regie zu studieren.

Die Filmhochschule mit dem klingenden Namen , Telewizyjna i Teatralna ist nicht unbedingt die erste Wahl der Studenten. Łodz ist zwar die zweitgrößte Stadt Polens, doch scheint die Zeit seit dem Fall der Mauer stehen geblieben zu sein. Zerfallene Häuser, aufgerissene Straßen und verlassene Fabrikgebäude, städtebauliches Symbol der vergangenen Textilindustrie, bestimmen das trostlose Stadtbild. Für die Entwicklung des polnischen Kinos war die Stadt jedoch ein wichtiger Motor: Sie zog die Kreativen der Filmszene an. 1954 saß schon Roman Polanski auf den breiten Treppen vor dem Vorführsaal. Auch Krzysztof Kieślowski, Regisseur der Trilogie Drei Farben, studierte in den sechziger Jahren in Łodz. Besonders erfolgreich waren die Kameramänner. Ihre Namen, normalerweise schnell vergessen, werden auf der Piotrkowska - dem einzigen renovierten Straßenzug der Stadt - durch einen 'Walk of Fame' geehrt: Piotr Sobocinski (Drei Farben: Rot), Pawel Edelmann (Oscar-Nominierung für Der Pianist) oder Sławomir Idziak (Oscar-Nominierung für Black Hawk Down) sind hier mit einem Stern verewigt.

Hauptsächlich Stress

Wie sie durch die gefürchtete Aufnahmeprüfung gekommen ist, weiß Dara selbst nicht mehr so genau. "Ich musste aus einem Hut einen Zettel ziehen, auf dem das Wort 'INSANE' stand. Ausgehend von diesem Wort sollte ich dann ein Stück inszenieren." Unter dem prüfenden Blick der Kette rauchenden Professoren. Danach folgt die eigentliche Aufnahmeprüfung. Ein Jahr lang müssen alle ausländischen Studenten einen Polnischkurs belegen. Absolvent Jan Wagner aus Deutschland kennt den Stress der ersten Jahre: "Man muss nicht nur diese unglaublich komplizierte Sprache lernen, Grundkurse in aller erdenklichen Fächern belegen und nebenbei seine Filme drehen. 

©Avi Levin

Ich bin eigentlich der totale Zweifler. Aber mit diesem Programm bleibt einfach keine Zeit für Selbstzweifel.

Jeder Student kann aufgrund schlechter Filme von der Schule geworfen werden." Diese ureigene Angst eines jeden Filmemachers steht ihm ins spitze Gesicht geschrieben. "Es entsteht ein Konkurrenzdruck, der für einige sehr produktiv sein kann; für andere ist er unüberwindbar. Ich bin eigentlich der totale Zweifler. Aber mit diesem Programm bleibt einfach keine Zeit für Selbstzweifel.“

Eine Schule fürs Leben?

©Avi LevinDer kleine Campus mit dem verstaubten Archiv, in dem die Filmrollen bis unter die Decke gestapelt sind, wirkt wie aus vergangenen Zeiten. Auch die Mitarbeiter geben sich wenig aufgeschlossen. Das eigentliche Kapital sind die internationalen Studenten, die aus Japan, New York und Schweden kommen, um hier zu studieren. Leszek Dawid, ehemaliger Regie-Student und nun selbst Dozent an der Filmhochschule, erklärt, dass die Schule eine Menge an Vorteilen zu bieten hat. So wird bei Material und Herstellung auf höchste Qualität geachtet: Alle Filme und Kameraübungen werden auf 35mm gedreht, um die Genauigkeit der Studenten gegenüber ihren Filmen zu fördern. Hinzu kommt die ganz individuelle Betreuung der Studenten. Deren persönliche Entwicklung ist sogar in der offiziellen Beschreibung der Schule festgeschrieben. Für Leszek Dawid bedeutet das, aus jedem seine individuelle Lebensgeschichte hervorzuholen. Auf die Frage, ob er eine Art Therapeut sei, winkt er lachend ab. "Nein, ich versuche nicht, die Studenten zu heilen. Ich gebe ihnen lediglich das filmische Handwerk, mit dem sie ihre Geschichte ausdrücken können."

Die Stadt als Filmkulisse

©Avi LevinDie Stadt mit ihrem morbiden Charme des Vergangenen, in der die Zeichen des Kommunismus unübersehbar sind, hält ungewöhnliche Kulissen für eigenwillige Filme bereit. Eindrucksvoll geometrische Plattenbaulandschaften und die menschenleeren Fabrikgebäude bieten den trostlosen Raum, in dem die Geschichten über erste Lieben, arbeitslose Jugendliche und deutsche Zivildienstleistende erzählt werden. Kazimierz Karabasz, Dokumentarfilmer und Professor an der Filmhochschule, lehrt seine Studenten, ihrer Umgebung und den Bewohnern eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die normale Wirklichkeit kann durch eine liebevoll beobachtende Kamera einen unverwechselbaren Protagonisten hervorbringen, der gleichzeitig etwas über die Menschheit im Allgemeinen aussagt. In Łodz schwirren Tausende dieser Geschichten umher.

Dara trinkt noch ein Glas Wein. Trotz Stress, Müdigkeit und den bevorstehenden Dreharbeiten versucht sie Ruhe zu bewahren. "Ich habe mir eine dickere Haut zugelegt und habe gelernt, mich anzupassen und mit Leuten umzugehen. Studieren in Łodz ist eine hilfreiche Erfahrung fürs Leben."