Keine Zeit für Europas Seele
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Auf der Berliner Konferenz „Europa eine Seele geben“ sprachen hochkarätige Referenten über Europas Identität. Zur Diskussion hatten sie allerdings keine Zeit.
Über 500 Teilnehmer, ein Staraufgebot an EU-Kommissaren, Spitzenpolitikern und Kulturschaffenden aus vielen Ländern Europas – sie alle kamen vom 17.-19. November 2006 nach Berlin, um darüber zu reden, wie man „Europa eine Seele geben“ kann. Angekündigt war ein intensiver Gedankenaustausch über den Nutzen und die Kraft der Kultur als Voraussetzung für eine erfolgreiche europäische Einigung.
Durchgestylt
Ein großes Ziel, ein immenser Anspruch. Die von kommerziellen Agenturen bis ins letzte Detail durchgestylte Konferenz versammelte zahlreiche für die europäische Verständigung und Einigung engagierte Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker, Bronislaw Geremek, George Soros und Wim Wenders. Eine optimale Bedingung also, um den Dialog zwischen Kultur und Politik zu intensivieren.
Kommissionspräsident José Manuel Barroso beschwor diesen Gedanken, als er in seiner emotionalen und persönlichen Eröffnungsrede Werte wie Freiheit, Humanismus und Toleranz als Basis der Gesellschaft bezeichnete. „Lasst uns die Freiheit verteidigen, indem wir unser Recht geltend machen, von einem demokratischen, toleranten und in Frieden vereinten Europa zu träumen,“ appellierte er. Mehr denn je gelte es, die kulturelle Dimension der europäischen Einigung zu stärken.
"Keine Kulturlobby"
Volker Hassemer, einer der Initiatoren der Konferenz, betonte, dass seine Sorge der Kultur Europas gelte, nicht dem Wohlergehen der Kultur. „Wir sind keine Kulturlobby, wenn wir sagen, dass Europa für sein Fortkommen seine kulturellen Kräfte nutzen muss,“ betonte er. Er und seine Mitstreiter verstehen sich als Impulsgeber. Sie wollen mit Hilfe der Zivilgesellschaft Europa von unten her Auftrieb verschaffen.
Doch allen ambitionierten Zielen und wohlklingenden Deklarationen zum Trotz: die Grundidee der Konferenz, Politik und Kultur ins Gespräch treten zu lassen, wurde kaum beherzigt. Denn für einen konstruktiven Gedankenaustausch sind nicht nur optimale Rahmenbedingungen nötig. Eine elementare Voraussetzung ist es auch, nicht nur Sonntagsreden über den Wert der Kultur abzuliefern, sondern sich Zeit zu nehmen, auf kritische Argumente der anderen einzugehen.
Die Struktur der Veranstaltung ließ dafür allerdings kaum Raum. Typisch waren Podiumsdiskussionen, in denen einige hochrangige aktive und ehemalige Politiker in Ruhe ihr jeweiliges Hohelied auf die europäische Kultur anstimmen konnten. Doch andere hochrangige Diskutanten, die aus allen Teilen Europas angereist waren, wurden mit einer Redezeit von teilweise einer Minute abgespeist. Gegenüber Persönlichkeiten wie Avi Primor, dem früheren israelischen Botschafter in Deutschland, ist das unwürdig. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.
Natürlich kann man argumentieren, dass solche Veranstaltungen ohnehin vor allem die Gelegenheit bieten, während (opulenter) Empfänge und Kaffeepausen Kontakte zu knüpfen. Doch die Politiker, zumeist nur für ihren eigenen Vortrag angereist, waren da längst über alle Berge. Positive Ausnahmen bildeten, wie so häufig, einige Europaabgeordnete. Allen voran Hans-Gert Pöttering, der auch dem so genannten „Steering Committee“ der Initiative vorsitzt, und der ehemalige französische Kulturminister Jacques Toubon.
Begriffswirrwarr
Zudem entstand ein Begriffswirrwarr, der während der Konferenz zu Recht immer wieder kritisiert wurde. Sprachen die Redner von „Europa“, wenn sie die„EU“ meinten? Was verstehen sie unter „Kultur“ oder „europäischen Werten“? In vielen Statements blieb das ambivalent. Viel wurde auf der Konferenz über die Bedeutung von Übersetzungen gesprochen. Doch es wäre besser, die Begriffe erst einmal klar zu definieren, bevor man sie übersetzen lässt.
Nun entscheidet die Einbindung der Konferenz in einen politischen Prozess über den Erfolg der Initiative. An prominenter Unterstützung, das haben die drei Konferenztage in Berlin gezeigt, mangelt es nicht. Ideen für eine Konkretisierung in spezifischen, nachhaltigen Projekten liegen auf dem Tisch.
Dem Initiatorenteam ist dabei alles Gute und vor allem ein langer Atem zu wünschen. Denn wie Wim Wenders es in der wohl mitreißendsten Rede der Konferenz auf den Punkt brachte: Kultur ist „der Kitt, der Klebstoff, der Zusammenhalt europäischer Gefühle!“ In einen Binnenmarkt hat sich bisher noch niemand verliebt.