Keine neue Revolution im Iran
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''Teheran erlebt die größten Proteste der Opposition seit der iranischen Revolution. Mancher sieht bereits das Ende der Islamischen Republik gekommen, doch näher als der Vergleich zu den Ereignissen 1978 liegt die Parallele zu den Studentenunruhen 1999.
Diese scheiterten nach einigen Tagen, weil anders als zur Zeit der Revolution die Jugend nicht bereit war, für die Freiheit ihr Leben aufs Spiel zu setzen.''
Mittwoch, den 17. Juni 2009
Abends steigen die Anhänger der Opposition auf die Dächer der Stadt und [rufen der untergehenden Sonne 'Allahu akbar' entgegen|http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-1177/i.html|de] und von den anderen Dächern schallt es 'Marg-e diktatori' zurück, indessen in den nächtlichen Straßen die Sicherheitskräfte des Regimes patrouillieren: Es ist nicht Zufall, dass die Anhänger Mussavis diesen Ruf gewählt haben, um gegen die Fälschung der Wahl, die sie um ihren Sieg gebracht hat, zu protestieren. Denn mit diesem Ruf begann die Islamische Revolution 1978, als sich das Volk gegen die Diktatur des Shahs erhob.
Die Botschaft, welche die Anhänger Mussavis mit diesem symbolischen Akt vermitteln wollen, ist klar: Auch dieses Regime ist Unrecht und so wie damals das Volk die absolute Herrschaft des Shahs gestürzt hat, werden auch wir heute die absolute Herrschaft des Rechtsgelehrten zu Fall bringen. Mancher Kommentator sieht bereits den Beginn einer neuen Revolution, [spricht von Krieg in den Straßen|http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,630463,00.html|de] und meint das Ende des Regimes gekommen. Doch sind solche Vergleiche rechtens, um die Proteste der enttäuschten Wähler zu beschreiben?
Näher liegt der Vergleich zu den Unruhen Mitte Juli 1999, als es vor fast genau zehn Jahren nach der Schließung der Reformzeitung Salam in Teheran zu Protesten von Studenten kam, die von den informellen Sicherheitskräften brutal nieder geschlagen wurden. Einige der Bilder dieser Tage scheinen direkt aus jener Zeit zu stammen: Die protestierenden Studenten, die von Bassijis und Hezbollahis auf Motorrädern mit Schlagstöcken und Fahrradketten verfolgt werden. Die verängstigten Menschen, die in Läden und Wohnungen entlang der Vali Asr Allee flüchten.
Nicht ein anderes System, sondern eine bessere Politik
Auch das Bild des Jungen, der ungläubig, erschüttert, anklagend das blutige Hemd eines verletzten Freundes in die Luft hält, findet sich heute wieder. Und selbst der Sturm auf das Studentenwohnheim, mit dem die Unruhen damals begannen, und bei dem die Schläger des Regimes Studenten verprügelten und Zimmer verwüsteten, hat sich am Sonntag und erneut am Dienstag mit dem Sturm auf Wohnheime der Teheraner Universität wiederholt. Mehrere Tage dauerten die Proteste und Unruhen damals an – die genaue Zahl der Toten ist bis heute unbekannt.
Damals wie heute sahen ausländische Korrespondenten und Kommentatoren den Beginn einer neuen, diesmal säkularen Revolution gekommen. Doch damals täuschten sich die Beobachter. Die Studenten, selbst der radikale Flügel der reformorientierten Studentenorganisation Daftar-e Takhim-e Vahdat, wollten nicht das Ende der Islamischen Republik, sondern nur eine andere, freiere, offenere Politik. Und in ihrer großen Mehrheit waren die Studenten nicht bereit, ihre Freiheit oder gar ihr Leben für die Sache zu riskieren.
Die Proteste scheiterten damals, weil die Regierung Khatami sich gegen die Studenten wandte und sich hinter die Ordnungskräfte stellte. Die Studenten waren auf die Straße gegangen, um von Khatami die versprochenen Reformen einzuklagen, doch als die Proteste – womöglich provoziert durch die Bassij-Milizen – in Gewalt umschlugen, rechtfertigte Khatami ihre blutige Niederschlagung. Die Jugend fühlte sich verraten – zurecht – und zog sich in der Folge weitgehend aus der Politik zurück.
Mussavi ist seit dreißig Jahren eine Stütze des Systems
Heute haben die Proteste zwar die Unterstützung der Reformer um Mussavi, Karrubi und Khatami. Doch anders als damals haben die Reformer keine Macht. Akbar Hashemi Rafsanjani, nach Revolutionsführer Ali Khamenei der zweit mächtigste Mann im Staat, der die Kandidatur Mussavis unterstützt hat, hält sich bisher auffallend zurück. Dennoch: noch ist alles offen. Noch ist vorstellbar, dass Khamenei unter den unerwartet heftigen Protesten – den größten Demonstrationen der Opposition seit der Revolution – nachgibt und eine Wiederholung der Wahl anordnet.
Doch darf sich niemand der Illusion hingeben, dies sei der Beginn einer neuen Revolution. Weder Khatami, noch Mussavi und erst recht nicht Rafsanjani wollen den Sturz des Regimes, die Änderung des Systems. Denn sie selbst sind Teil des Systems, gehören zu seinen Gründern und seit dreißig Jahren zu seinen Stützen. Vor allem aber sind die Demonstranten, viele von ihnen aus dem Teheraner Bürgertum, ebenso wenig wie vor zehn Jahren bereit, ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel zu setzen. Dafür ist die Not dann doch nicht groß genug.