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Kein Schwein kennt Barroso

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Der europäische Rat, der Gipfel der Staatschefs in Brüssel, konnte keinen neuen Kommissionspräsidenten benennen. Statt undurchsichter Fürstentreffen braucht Europa einen transparenten politischen Wettstreit.

Schließlich haben sie sich doch geeinigt, unsere werten Staats- und Regierungschef. Nach langem Ringen hat der Vertragsentwurf über eine europäische Verfassung die Zustimmung der 25 Ratsmitglieder gefunden. Doch damit ist noch nichts gewonnen: Die Zustimmung der nationalen Parlamente und der Bevölkerungen einiger Staaten bleibt ungewiss, vor allem in Ländern wie Großbritannien und Polen, wo die Bürger bei der Europawahl an ihrer Europaskepsis keinen Zweifel gelassen hat. „Historisch“ war die Einigung auf den Vertragstext nicht, historisch wird allenfalls das Inkrafttreten der Verfassung sein – und das bleibt abzuwarten.

Die Macht dem Parlament

Hat man sich auch unter der weisen Verhandlungsführung Irlands auch mühsam über die Verfassung geeinigt, auf die wichtige Entscheidung der Nachfolge Romano Prodis als Kommissionspräsident wartete man vergeblich. In den tagelangen Händeln hinter verschlossenen Brüsseler Türen zeigte sich das ganze Malheur der Union: Die undurchsichtigen Machtspiele der Staatschefs legen sich wie ein Filzteppich zwischen die Bürger und ihre europäische Exekutive. Wie soll ein politisches Europa entstehen, mit dem sich der Bürger identifizieren kann, wenn alle paar Stunden ein neuer Name durch die gepolsterten Türen der Brüsseler Tafelrunde nach außen dringt - Barnier, Barroso, Vitorino, Cox – Namen, von denen die meisten Europäer noch nie etwas gehört haben. Die verworrenen Rangeleien der Europafürsten offenbaren uns vor allem eines: Wenn die EU nicht in einzelstaatlichem Vorteilsdenken verharren und innereuropäische Grabenkämpfe, wie abermals zwischen Transatlantikern und Föderalisten, überwinden will, muss dem Parlament als demokratischem Organ und Ort öffentlicher Debatte ein Schlüsselplatz eingeräumt werden – nicht nur bei der Bestimmung des Kommissionspräsidenten. Ohnehin braucht der Kandidat, so er endlich gefunden wird, die Zustimmung des europäischen Parlaments. Hans-Gerd Pöttering, Fraktionsvorsitzender der EVP hatte durchaus Recht, sich in das Brüsseler Postengeschacher einzumischen und mit Chris Patten einen Namen zu nennen, der die Unterstützung der größten Gruppe im Parlament aufweisen kann – auch wenn er damit den Ärger des französischen Präsidenten auf sich gezogen hat: "Ich bin nicht Mitglied der EVP und nicht an ihre Entscheidungen gebunden" nölte Jacques Chirac, der ob seiner allzu aristokratischen Attitüde wohl vergas, dass er durchaus Mitglied der UMP ist, die sich wiederum in der EVP-Fraktion befindet.

Nun kann man zu Chiracs Argument, dass der Kommissionspräsident aus einem Land kommen müsse, das sowohl in der Euro-Zone als auch im Schengen-Raum liegt (und damit kurzerhand Kandidaten aus 14 EU-Ländern ausschließt) stehen, wie man will – der Wille des Volkes, repräsentiert durch das Parlament, steht über der Einzelmeinung eines Landesfürsten. Die Parteien hätten bereits vor der Wahl die Chance ergreifen sollen, sich für einen Kandidaten auszusprechen: Wer in Deutschland SPD wählt, soll wissen, welchen eventuellen Kommissionspräsidenten die SPE unterstützen wird, wer für Forza Italia stimmt, hat ein Recht, über die Politik der EVP-Gruppe vor der Wahl informiert zu sein. Im Europa der 25 soll der Wettstreit der Ideen und Konzepte das politische Leben bestimmen und nicht nationales Vorteilsdenken und Bismarckscher Bündnisklüngel. Das ergebnislose Brüssler Postengeschacher führt zu der Europaskepsis, die wir nach der Wahl bedauern durften.