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Kehrtwende zum Konsens

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Der überraschende Sieg der Sozialisten nach den Anschlägen von Madrid wird die politische Landkarte Europas umgestalten. Einige Fragen, wie die der EU-Verfassung, erscheinen jetzt in einem völlig neuem Licht.

Mit einem klassischen Eigentor trug die Volkspartei José Maria Aznars selbst einen guten Teil zum überraschenden Regierungswechsel in Spanien bei. In den Prognosen der letzten Woche noch als klarer Sieger gehandelt, verspielten die Konservativen mit ihrer Informationspolitik nach den verheerenden Anschlägen von Madrid viele Sympathien. Die Taktik, die ETA trotz fraglicher Faktenlage für den Terrorakt verantwortlich machen zu wollen, um auf die Richtigkeit des eigenen Regierungsprogramms hinzuweisen (in welchem die Bekämpfung der baskischen Separatisten eine hohe Priorität zukommt), ging nach hinten los. Der spanische Wähler wusste die Lage offenbar besser einzuschätzen und sanktionierte das in der öffentlichen Meinung als manipulativ angesehene Verhalten Aznars Regierung knallhart: extrem hohe Wahlbeteiligung von 77%, nur 37,64% für seine Partei, gleich bedeutend mit einen Verlust von 35 Sitzen im Parlament.

180 Grad-Wendung

So ist es nun also an den Sozialisten mit ihrem Spitzenkandidaten José Zapatero, in dieser Ausnahmesituation das Ruder zu übernehmen. Was aber bedeutet dieser Linksruck für die politische Landschaft Europas? Mit einem komfortablen Vorsprung ausgestattet (lediglich 12 Sitze fehlen zur absoluten Mehrheit), verfolgt die PSOE an mehr als einer Stelle ein regelrechtes Kontrastprogramm zur vorherigen Regierung. In jedem Fall wird sich Europa auf eine radikal andere Außenpolitik einstellen müssen: als allererstes muss man mit dem Ende der bedingungslosen Unterstützung für die USA rechnen, wie das spektakuläre Wahlversprechen des Abzugs aller spanischen Truppen aus dem Irak leicht erkennen lässt. Zapatero wünschte sich schon im Wahlkampf “eine Regierung, die in der Lage ist, die unilateralen Aktionen von Herrn Bush zu diskutieren”. Diese Abkehr bedeutet gleichzeitig eine Bewegung hin zu den Positionen der Achse Paris-Berlin, und man darf davon ausgehen, dass dies nicht der einzige Punkt bleiben wird, bezüglich dessen sich dieses Trio künftig besser verstehen wird.

Eine der Fragen, bei denen sich die Regierung Aznar bei seinen europäischen Partnern nicht zwingend beliebt gemacht hat und bei der man auf einen baldigen Fortschritt hoffen darf, ist die der europäischen Verfassung. Immerhin waren es die absolut unbeweglichen Positionen Spaniens und Polens bezüglich der Frage nach dem Abstimmungsmodus im Ministerrat gewesen, die die Unterzeichnung der EU-Verfassung im Dezember 2003 in Brüssel haben scheitern lassen. Die Regierung Aznar hatte in Nizza 2000 ein Stimmengewicht erhalten, das nur wenig unter dem der großen Länder wie zum Beispiel Deutschland lag (nämlich 27 zu 29 Stimmen), obwohl Spanien nur knapp halb so viele EU-Bürger beherbergt. Das in der EU-Verfassung vorgesehene Entscheidungsverfahren der doppelten Mehrheit sah nun vor, dass zur Gültigkeit eines Beschlusses im Ministerrat neben 50% der Länder 60% der EU-Bürger repräsentiert sein müssen. Damit wäre ein spanischer Machtverlust nicht zu vermeiden gewesen, welchen Aznar (ähnlich seinem polnischen Kollegen Miller) zu akzeptieren nicht bereit war.

Eine “absurde” Haltung

Durch die Wahl vom letzten Sonntag haben sich die Zeichen nun unerhofft geändert. Mit einem Schlag ist die EU-Verfassung spanisches Staatsziel geworden: “Unsere Priorität ist die Verabschiedung der Verfassung” sagt Enrique Baron Crespo, Vorsitzender der spanischen Sozialisten in Straßburg, der die bisherige Blockadehaltung schlicht für “ein bisschen absurd” hält. Auch der zukünftige Premier Zapatero hält ausdrücklichfest, dass er dafür arbeiten wird, “Europa zu vereinen und es mit einer Verfassung für alle auszustatten”. Grundlage kann dabei der Vorschlag der irischen Ratspräsidentschaft sein, der die Grenzen der doppelten Mehrheit auf jeweils 55% korrigiert und damit der Forderung Spaniens nach einer Erhöhung der Länderquote nachkommt. Obschon die Senkung des erforderlichen Bevölkerungsanteils den Spaniern nicht schmecken kann, zeigt sich Zapatero entgegenkommend: “wir sind für die Doppelmehrheit. Über die Prozente kann man diskutieren.”

Da auch Polen und Deutschland Bereitschaft zu weiteren Eingeständnissen signalisiert haben, rückt eine europäische Verfassung bereits vor Ablauf dieses Jahres in greifbare Nähe. Damit wäre der ursprüngliche Wunschtermin `irgendwann vor den Parlamentswahlen im Juni` zwar verfehlt; nachdem sich jetzt aber das Szenario eines vielleicht jahrelangen politischen Grabenkampfes mit den spanischen Konservativen gleichsam von selbst aufgelöst hat, wird das keinen Verfassungsfreund mehr ernsthaft ärgern.