Károly Makk, tiefer Blick in die Welt der Gefühle
Published on
Translation by:
anne-dörte balksKároly Makk, der bekannte ungarische Regisseur, hat 1971 in Cannes die goldene Palme gewonnen. Das europäische Kino dürfe nicht aufhören, die Gesselschaft verändern zu wollen, sagt er.
An der Stirnseite eines volkstümlichen Hauses in Budapest leuchtet ein grelles Neonschild: « Alex’ Süßwarenladen ». Hier warte ich auf Károly Makk, den berühmten ungarischen Regisseur. Der Ort ist nicht gerade bekannt für seinen Komfort. Er ist eine Mischung aus einem Süßwarengeschäft der 70er und einer Jagdhütte. Nur die Rufe der Bedienung durchbrechen die Stille. Károly Makk tritt ein. Er trägt ein legeres blaues Hemd, sein weißes Haar, das sein zerknittertes Gesicht umrahmt, riecht nach süßlichem Parfum. Statt direkt auf mich zu zu gehen, nickt er erst Leuten an anderen Tischen zu. Er kommt oft hier her. « Dies ist ein Süßwarengeschäft, das nie aus der Mode kommt», sagt er. « Ich lebe in der Nähe und bin mit den drei Bedienungen sehr vertraut. Deshalb besuche ich diesen Ort fast jeden Tag. »
Freude am Leben...
Károly Makk ist eines der Aushängeschilder des ungarischen Films. Er wurde 1925 in Ostungarn geboren und wuchs in der Pusta in Berettyóújfalu auf. Sein Vater arbeitete in der ersten Hälfte des 20. Jahrunderts in dem Kino des Ortes. Der junge Károly verbrachte seine Jugend damit, zwischen Filmrollen der größten Stummfilme der Zeit herumzutollen.
Sein Leben und seine Arbeit sind geprägt durch die turbulenten Ereignisse des 20. Jahrhunderts: den Zweiten Weltkrieg, den Kommunismus und schließlich die ersten freien Wahlen in der Geschichte Ungarns im Jahr 1990. Während der Jahre der kommunistischen Kontrolle über die Kultur arbeitete Makk in staatlichen Studios. Die marxistische Ideologie überwachte und prägte die bildenden Künste und die Medien. Makk konnte in seiner Arbeit politische Themen nicht direkt ansprechen. Stattdessen ging es in seinen Filmen um Gefühle, die alle Menschen teilen. Er hielt fest, wie die kommunistische Unterdrückung sich auf Ehrlichkeit, Liebe und Glauben wirkte. Makks Filme zeichnen nicht den Horror des Totalitarismus, sondern die Menschlichkeit, die auch in solch schweren Zeiten immer bleibt. « Ich liebe das Leben mit all seinen Problemen und Miseren », sagt er. « Das ist etwas unumgängliches. Man kann nicht immer nur auf der Sonnenseite des Lebens wandeln. Man muss sich mit dem Leben als Ganzem abgeben. »
...und an Filmen
Die gleiche Lebensfreude taucht immer wieder in Makks Filmen auf – beginnend mit der klassischen Komödie Lilomfi aus dem Jahr 1945. Mehr als zweidutzend Filme hat Károly Makk gedreht. Die meisten sind über die Grenzen Ungarns hinweg bekannt. In A Very Moral Night (1977) und The Gambler beweist er ein erstaunliches Gespür für Details und sein Talent für lyrische Fotografie. Love (1960) und A Long weekend in Pest and Buda (2003) zeigen seine Fähigkeit, menschliche mit historischen Problemen zu verknüpfen. In diesen Filmen versuchte er «die liebenswerten Muster einer rückständigen Gesellschaft nachzuahmen, in der Gelächter und Freude die wichtigsten Elemente sind. » Er glaubt, dass seine Filmen so dazu beitragen können, die Schicksalshürden im Leben leichter zu nehmen und die guten Dinge wertzuschätzen.
Károly Makk ist ein Mentor der neuen Generation ungarischer Regisseure. Er vergleicht die Herausforderungen der junge Generation mit der Situation des Films nach dem Zweiten Weltkrieg. « Die Schönheit des italienischen Neorealismus versuchte die geheimen Wünsche der Gesellschaft aufzudecken. Das erinnert an das, was heute im europäischen Film geschieht. » Mit kehliger Stimme erzählt er von seinen Erinnerungen an die großen europäischen Filmfestivals. Diese Leidenschaft hält seine Liebe zum Kino am Leben. Er selbst erklärt das so : « Der Kinofilm ist das passendste Medium für unsere Zeit. Manchmal machen wir die Dinge im Film ganz instinktiv, wie im realen Leben. Wenn man einen Film dreht, ist das gefährlich und schön zugleich. Alles, was auf Zelluloid gebannt wird, bleibt für immer gleich – und der Schöpfer des Films muss sein ganzes Leben damit klar kommen, dass er Eventualitäten zu etwas Bleibendem umformt. »
Immer in Bewegung
Károly Makk redet und isst dabei seinen ungarischen Sahnekuchen. Seine Augen blitzen durch den Raum. Jeden Neuankömmling lächelt er an. Dann packt er Geschichten über Vittorio de Sica und Alain Delon aus. Beide kennt er persönlich. Man kann sich leicht vorstellen, wie dieser sanfte Mann seine Schauspieler dazu bringt, Freude an seinen Produktionen zu haben – selbst zu Zeiten, in denen die Redefreiheit eingeschränkt war.
Zur Demokratie hat Makk ein ambivalentes Verhältnis. « Demokratische Wahl ist der Tod von Entscheidungen. Kein Konsens wird je die Probleme einer Gesellschaft lösen. » Seiner Meinung nach sind es die historischen Umstände, die große Filme hervorbringen. Solche Umstände verhindern, dass Filme einfach nur konsumiert werden.« Amerikanische Filme sind so beliebt, weil sie das Leben vereinfacht in Gut und Böse teilen », glaubt Makk. « Das europäische Kino hingegen hat sich immer mit den Schwachen und Verlierern beschäftigt, individuelle Schicksale analysiert und das Kino mit Literatur vereint. Europäische Filmkunst zeugt vom Geist der Einsamkeit und kann Filme gegen soziale und politische Ausgrenzung machen. » Laut Makk hat sich dies im letzten Jahrhundert auch auf das kulturelle Leben Europas ausgeweitet.
Als wir schließlich zum Ende unseres Gesprächs kommen, der Kuchen aufgegessen und der Kaffee ausgetrunken ist, frage ich ihn, warum er zur Zeit keine Filme macht. Er sieht mich mit traurigen Augen an. « Zur Zeit drehe ich nicht. Aber sicherlich finde ich in der Zukunft Wege, wieder zu arbeiten. Selbst wenn ich nicht an einem Film arbeite, schwirren ständig Idden, Bilder und Kulissen durch meinen Kopf. Das ist der eigentliche Film. » Vielleicht sind es die weisen, lachenden Augen Károly Makks, die, vor der Linse einer Kamera, seine besten Filme gedreht haben. Mit einem Blick in die Tiefe menschlicher Gefühle.
Translated from The image of loving life: Károly Makk