Karlspreis an Solana: „Wertvoller als der Nobelpreis“
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Am 17. Mai wurde in Aachen der Karlspreis verliehen - ein wahrhaft europäisches Spektakel.
Seit Wochen standen in Aachen die Sterne gut. An jeder Litfaßsäule prangte eine Europaflagge, die das große europäische Rahmenprogramm zum Karlspreis ankündigte. Dieses Jahr erhielt Javier Solana de Madariaga, seineszeichens außenpolitischer Beauftragter der Europäischen Union, die Auszeichnung.
Die Ehrung sei ihm „mehr wert als der Nobelpreis“, ließ Solana verkünden. Hervorgegangen aus einer Aachener Bürgerinitiative, wird der europäischste aller Preise jährlich an Persönlichkeiten und Institutionen verliehen, die sich besonders um „Europa und die europäische Einigung verdient gemacht haben“ – so wie seine bisherigen Träger: Konrad Adenauer, Jean Monnet, Helmut Kohl oder Bill Clinton.
Nicht frei von Kontroversen
Wer in letzter Zeit die 250 000 Einwohner große Euregio-Stadt Aachen besucht hat, dem mag ihr europäisches Flair einmal mehr ins Auge gestochen sein. Denn die Aachener bereiten sich auf ihr jährliches Großereignis vor – die Verleihung des Karlspreises. Plakate und Anzeigen laden zu der Vortragsreihe „Europas Gedächtnis“ ein, in der die Geisteselite zu Wort kommen soll. Außerdem gibt es Diskussionen und Ausstellungen rund um Europa, den Karlspreis und auch Karl den Großen selbst, der, als „europäischer Mythos“ bezeichnet, für die Auszeichnung Pate stand.
Karl der Große sei der erste Einiger Europas, heißt es im Manifest der Karlspreisgesellschaft, die die Ehrung 1950 initiierte. Aber die Verdienste Carolus Magnus’, wie sein lateinischer Name lautet, werden kontrovers diskutiert. Es ist unbestritten, dass seine durchaus erfolgreiche europäische Machtpolitik von Gräueln und Blutvergießen begleitet war.
Natürlich ist es kein angemessener Vergleich, diesen Umstand mit der Umstrittenheit so mancher heutiger Preisträger gleichzusetzen – aber es ist durchaus eine Ironie des Schicksals. So bemühte sich eine Aachener Bürgerinitiative im Jahr 2005, Henry Kissinger den Karlspreis aberkennen zu lassen, den er 1987 erhielt. Kissinger war von 1969 bis 1973 außenpolitischer Berater des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon und danach bis 1977 Außenminister der USA. Seine Außenpolitik ist vor allem durch die Verwicklung in den Putsch gegen den chilenischen Staatspräsidenten Augusto Pinochet 1973 in die Kritik geraten.
Auch Bill Clintons Ehrung im Jahre 2000 sehen einige Einheimische kritisch. „Er hat doch bloß ein Jahr zuvor den Jugoslawien-Krieg entscheidend mit vorangetrieben“, mokiert sich Esther Knab, 24, auf unserer Interview-Tour durch die Altstadt Aachens.
„Mit Solana setzen sie auf den richtigen Mann“
Den Krieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999 nimmt nun auch eine Bürgerplattform zum Anlass, gegen die Auszeichnung des Generalsekretärs des Ministerrates der Europäischen Union zu protestieren. Als damaliger NATO-Generalsekretär sei Solana immerhin für das „völkerrechtswidrige“ Vorgehen mitverantwortlich gewesen. Ebenso stehe er in seiner jetzigen Position für eine „zunehmende Militarisierung der europäischen Außenpolitik“, so die wichtigsten Kritikpunkte.
Das Karlspreisdirektorium hingegen sieht in dem spanischen Diplomaten einen Vermittler im Namen der EU „an allen großen Konfliktherden dieser Welt“ – auch und vor allem am Balkan. Dies und seine „beeindruckende persönliche Biographie“, die durch das Franco-Regime herbe Einschnitte erleben musste, mache Solana zu einem würdigen Träger des Preises. Auch Aachens Oberbürgermeister Jürgen Linden sieht in ihm den tüchtigsten „Arbeiter im Haus Europa“. Der 65jährige Professor für Physik stehe für die Verantwortung Europas für den Frieden in der Welt, so Linden weiter.
Eine Einschätzung, die die Aktivisten um „Kein-Karlspreis-an-Solana“ sicher nicht unterstützen. Im März haben sie eine Zeitungsanzeige geschaltet mit der Erklärung, dass der „Karlspreis zu Aachen“ nicht in ihrem Namen vergeben werde. Es sind solche Aktionen, die einmal mehr beweisen, wie intensiv sich die Stadt und ihre Bürger mit dem Karlspreis identifizieren.
Dennoch hören wir auch viele andere Stimmen. „Mit Solana setzen sie auf den richtigen Mann“, ist Christian Helmich, 35, überzeugt. „Sein Job verlangt, dass er sich stets und entschieden für das Projekt Europa einsetzt. Wie kann man ihn dann nicht als einen würdigen Empfänger dieser Auszeichnung sehen?“
Man mag von der Wahl des diesjährigen Karlspreis-Empfängers halten, was man will. Sicher ist nur, dass das bevorstehende Ereignis die Aachener wie jedes Jahr in europäische Diskussionen verwickelt.