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Karim Zéribi: 'Frankreich kann sich nicht ins eigene Gesicht sehen'

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GesellschaftPolitik

Auch wenn die aktuelle französische Regierung drei Politiker mit Migrationshintergrund zählt, so bleibt deren Anteil doch sehr gering. Interview mit Karim Zéribi, einem ehemaligen Berater des Innenministers Jean-Pierre Chevènement.

Ist die Rassendiskriminierung ein Problem in Frankreich?

In Frankreich gibt es ganz klar ein Problem hinsichtlich der eigenen Identität. Frankreich kann sich nicht ins eigene Gesicht sehen und ignoriert auf diese Weise seine einzigartige, multikulturelle Dimension. Frankreich hat verschiedene Einwanderungswellen erlebt, seien es Spanier, Italiener, Polen, Maghrebiner oder Afrikaner. Allerdings scheint es Probleme mit der Akzeptanz der beiden letztgenannten Gruppen zu geben. Man kann sich einen Mohamed oder eine Fatima kaum als vollständig integrierte französische Staatsbürger vorstellen. Der Wille zur Veränderung muss aus der Gesellschaft selbst kommen und darf sich nicht auf Quoten beschränken. Nicht nur Nadia und Mourad müssen kämpfen: die gesamte französische Gesellschaft muss sich mobilisieren. Es handelt sich dabei nicht um einen gemeinschaftlichen Kampf, sondern um einen Kampf für die nationale Gemeinschaft.

Welche Stellung beziehen Sie zur aktuellen französischen Integrationspolitik?

Unser Land sollte aufhören, die anderen belehren zu wollen. Die Staatsform der Republik und der Laizismus sind außergewöhnliche Leitbilder. Aber die Realität sieht meistens anders aus. Wenn man die angelsächsischen Länder betrachtet, stellt man eine multikulturelle Dynamik fest: ein Integrationmodell, das mir nicht unbingt zusagt. Momentan erleben wir, dass sich eine hochqualifizierte Elite der 'Minderheiten' herausbildet. Der Begriff der 'Minderheiten' ist allerdings nicht korrekt. In der Republik wird nicht von 'Minderheiten' gesprochen, sondern von Bürgern und Bürgerinnen. Die eigentliche Herkunft tritt in den Hintergrund. Sich allein über seine Herkunft zu definieren ist problematisch für Menschen, die sich marginalisiert, vergessen und isoliert fühlen. Ich bin weder für eine positive Diskriminierung, noch für die Einführung von Quoten. Wenn man die Besten aussuchen würde, ihre Kompetenzen, Verdienste und ihr Charisma anerkennen würde, hätte die kulturelle Vielfalt überall ihren festen Platz. In Frankreich herrscht immer noch die Reproduktion der sozialen Klassen vor. Es ist eine Republik, die auf Kooptation und Netzwerken basiert. Das entspricht allerdings nicht den Versprechen, die uns in der Schule gemacht wurden. Durch harte Arbeit könnten wir den sozialen Aufstieg schaffen, hieß es dort.

Warum messen sie der Republik soviel Bedeutung bei?

Die Republik verspricht eine brüderliche Behandlung aller Bürger und lehnt das Prinzip der Ghettobildung ab. Sie ist die Inkarnation der kulturellen und sozialen Vielfalt. Die Republik steht im Gegensatz zum Kommunitarismus und befürwortet ein Miteinander statt ein Nebeneinander. Das französische Problem - ähnlich wie in Großbritannien, den Niederlanden oder den USA – ist die zunehmende Ghettoisierung, Diskriminierung und die fehlende Anerkennung von Minderheiten. Es gibt angelsächsische Initiativen - den amerikanischen Traum vom Melting Pot - der uns als Inspirationsquelle dienen kann. Aber es gibt keinen republikanischen Traum. Von nichts ausgehen und zu allem fähig sein, sich sagen, dass man alles erreichen kann: das ist mein Traum.

Warum sprechen Sie von einem republikanischen und nicht von einem französischen Traum?

Für mich ist die Republik ein universelles und kein rein französisches Konzept. Die Geschichte unserer Nation sollte sich nicht auf unser Land beschränken. Ich träume von einem republikanisch geprägten und laizistischen Europa. Aber wir müssen erst den Beweis erbringen, dass die Republik bei uns funktioniert.

Ist Sarkozy nicht ein positives Beispiel republikanischer Integrationspolitik?

Er hat einen ungarischen Migrationshintergrund, der sich im Hinblick auf die französische Geschichte von den anderen Einwanderunggruppen unterscheidet. Man wird ihm niemals aufgrund seiner Abstammung den Prozess machen. Die Lage ist jedoch komplizierter für einen Franzosen maghrebinischer oder afrikanischer Herkunft. 1962? Das war erst gestern; die Kolonialgeschichte ist noch sehr jung. Eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte hat leider bis heute nicht stattgefunden. Dabei wäre sie dringend nötig, um gelassener mit der Zukunft umzugehen.

Sie sagen, es gäbe ein Identitätsproblem in Frankreich. Was genau erwarten Sie vom Minister für Immigration, Integration, nationale Identität und Ko-Entwicklung?

Er soll mir definieren, was es heute bedeutet, Franzose oder Französin zu sein. Der Franzose von heute hat keine blauen Augen oder blonden Haare, er ist kein streng katholischer Gallier. Franzose sein bedeutet gemeinsame Wertvorstellungen zu haben, für die Werte der Republik und des Laizismus einzutreten. Es bedeutet seine Herkunft nicht zu verleugnen.

Als Deutscher beunruhigt mich ein Ministerium, das vom Uno-Sonderberichterstatter für Rassismus kritisiert wird...

Sobald die Notwendigkeit besteht, werden wir eingreifen. Vage Annahmen können keine Grundlage für politisches Handeln sein.

Translated from « La France ne se regarde pas en face »