Kann man Europas Alltags-Demokratie messen?
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hartmut greiserNach dem Eurobarometer und dem 'Glücks-Index' wurde am 31. Januar der Index zur 'Alltags-Demokratie' gestartet. Er soll die Demokratie in 25 europäischen Ländern 'messen'.
"Man muss schon beinahe einen Stein durch ein Fenster werfen, um die Leute auf Belgien aufmerksam zu machen." Das war die Begründung für Lehrer Gerrit Six' Versuch, das Königreich Belgien im September 2007 für 14 Millionen US-Dollar auf der Online-Plattform Ebay zu verkaufen. "In europäischen Ländern macht man sich große Sorgen wegen der zunehmenden Politikmüdigkeit der Bürger", sagt Kirsten Bound, die im unabhängigen Londoner Think-Tank Demos forscht.
"Das Misstrauen gegenüber der Politik und den Politikern wächst", bestätigt auch die quirlige Jacki Davis, zuständig für Kommunikation am Zentrum für Europäische Politik. "Ich fand es ziemlich überraschend, dass nach der Eurobarometer-Befragung der Europäischen Kommission im letzten Jahr 61 Prozent der Ansicht waren, die Stimme ihres Landes sei wichtiger als ihre eigene (35 Prozent); die Leute hören auf das, was ihre eigenen Politiker sagen." Die EU macht ihre Sache aber ganz gut; aus der gleichen Umfrage geht hervor, dass mehr Menschen (48 Prozent) der EU vertrauen als der eigenen Regierung (34 Prozent). "Die Regierenden sollten ihr Volk nicht nur dann befragen, wenn ein Vertrag ratifiziert werden muss", ergänzt Davis treffend.
"Trotzdem gibt es jede Menge weiterer Hinweise dazu, dass die Menschen mehr Mitspracherecht bei Entscheidungen über Themen, die ihr eigenes Leben betreffen, verlangen und bekommen." Hier kommt der 'Everyday Democracy Index' (EDI) ins Spiel, der am 31.1.2008 seinen Start erlebte. Kirsten Bound bringt Licht ins Dunkel.
Was ist der EDI?
Der EDI 'misst' den Zustand der Demokratie in einem Land mit Hilfe von Daten aus 25 Mitgliedsländern. Wir haben allerdings nicht in jedem Land eigenes Material erheben können, sondern haben eine Reihe bereits vorhandener seriöser Daten verwendet. Wir messen, wie die Menschen die Möglichkeit einschätzen, ihren Alltag selbst zu bestimmen - am Arbeitsplatz, innerhalb ihrer Familien, bei dem, was der Staat für sie tut - und an der Wahlurne. Die Länder, die am meisten für die Selbstbestimmung der Menschen in ihrem Alltag tun, gehören zu denen mit dem höchsten Maß an persönlichem, politischem Einsatz. Die Länder, die sich am Ende der Liste befinden, sind meistens ehemalige kommunistische Staaten, in denen die Demokratie noch relativ jung ist.
Nur irgendein weiterer Index?
Es gibt verschiedene Demokratieindizes. Am bekanntesten ist wahrscheinlich die jährliche Umfrage 'Freedom in the world' von Freedom House. Aber solche Untersuchungen sind selten sehr differenziert, wenn man zum Beispiel eine Frage wie „Hat dieses Land eine Demokratie oder nicht?“ betrachtet. Wenn man sich hauptsächlich für den Unterschied zwischen Belgien und Burma interessiert, dann mag das in Ordnung sein. Der EDI ist sinnvoller, wenn man sich für den Unterschied zwischen Finnland und Frankreich interessiert. Wenn man verstehen will, wie eine Demokratie in Ländern wie den EU-Mitgliedsstaaten - die alle über die grundlegenden Möglichkeiten für freie und faire Wahlen verfügen - erfahren wird, dann bedarf es einer etwas differenzierteren Annäherung an das Thema.
Wie messen Sie das Gefühl individueller Autonomie der jeweiligen Bürger eines Landes?
Unsere Grundidee: nur indem man Menschen zu mehr Autonomie verhilft, kann man ihre Haltung zu Politik beeinflussen. Dann muss man eine Maßeinheit dafür finden, wie man Länder vergleicht. Wir wollen herausfinden, was wirklich hinter der Platzierung des einzelnen Landes steckt. Es gibt zum Beispiel eine sehr enge Beziehung zwischen einem Länderwert auf dem EDI und der Gesamtbetrachtung von individuellem Glück und der Zufriedenheit mit der eigenen Lebensführung. Ein großer Graben existiert zwischen Demokratien in skandinavischen Staaten und Großbritannien, das hinter Frankreich und Deutschland nur auf Platz 9 landete. Macht also Demokratie glücklicher oder sorgt Glück für mehr Demokratie?
Wie würde der EDI aussehen, wenn er von Forschern in Ost- oder Zentraleuropa erhoben würde - ohne Einfluss einer westeuropäischen Forscherperspektive?
Interessante Frage. Eine Sache möchten wir anders machen: wir möchten den Index mit Hilfe der Öffentlichkeit verfeinern. Dazu haben wir die Webseite www.everydaydemocracy.co.uk eingerichtet, auf der die Nutzer uns mitteilen können, was sie anders machen würden. Sie können verfolgen, wie der Index aufgebaut wird und was passiert, wenn man Indikatoren entfernt und den Grad der Bedeutung ändert, der den verschiedenen Ausprägungen zugeordnet wurde.
Die Antwort von 'Freedom House'
“Es entspricht ganz einfach nicht der Wahrheit zu sagen, dass 'Freedom in the World' den Frieden nur nach schwarz-weiß Kriterien misst.
Natürlich bezeichnet unser Index Länder als "frei", "teilweise frei" und "unfrei". Aber wir veröffentlichen auch detailliertere Messungen, die für den interessierten Leser leicht zugänglich sind. Zum Beispiel benoten wir jedes Land in Bezug auf die Gewährleistung politischer Rechte und Bürgerfreiheiten auf einer Skala von 1 bis 7.
Wir bewerten Länder außerdem nach verschiedenen Indikatoren wie Wahlen und freie Meinungsäußerung, die es dem Leser tatsächlich ermöglichen, zwischen Finnland und Frankreich zu differenzieren - Finnland liegt übrigens knapp vor Frankreich."
Arch Puddington, Leiter Recherche, Freedom House
(Intext-Foto: Freedom House, inc)
Demos ist ein unabhängiger Non-Profit-Think-Tank, der eine große Bandbreite an Untersuchungen zu Fragen mit sozialem und öffentlich, politischem Hintergrund durchführt. Die Finanzierung erfolgt projektweise aus amtlichen, privaten und karitativen Quellen. Der EDI befindet sich noch in einem Prototyp-Stadium und wird von Demos selbst getragen.
Translated from Democratic index for Europe